Review aus The Film Music Journal No. 31/32, 2004
Schifrins Beitrag zur Oscar gekrönten Insekten-Doku aus dem Jahre 1971 entzieht sich den üblichen Kriterien, da er unsere Hörgewohnheiten auf eine harte Probe stellt. Zumindest ich täte mich sehr schwer mit einer Bewertung, denn obwohl ich glaube, dass er auf den Film passt wie ein Handschuh, dürfte er als purer Score nur bei einem relativ kleinen Liebhaberkreis auf Anerkennung stossen.
Schifrin versuchte sich vorzustellen, wie und was Insekten hören und übertrug dies mittels der Instrumente auf die menschlichen Ebene. Daher kann man einen überwiegenden Teil des Scores nicht als Musik im herkömmlichen Sinn bezeichnen, denn Moog- und Yahama-Synthesizer sowie ein gewaltiger Aufmarsch an exotischen Klangkörpern entführen in eine bizzare, monströse Welt, die wohl nur in Verbindung mit den Bildern von fleischfressenden Pflanzen, aggressiven Wespen und zerstörerischen Ameisen wirklich einen Sinn ergibt.
Und doch versäumt es Schifrin nicht, dem Hörer zwischendurch auch erholsamePausen zu gönnen, indem er auf traditionellere Stilmittel zurückgreift. In Metamorphosis wird der Lebenszykluseines Schmetterlings von einem aparten Klanggebilde begleitet, das geprägt ist vom ebenso leichten wie fragilen Spiel der Harfe und der Holzbläser. In «The Acts of Love» reagiert Schifrin auf die unterschiedlichen Liebes-Rituale von Menschen und Spinnen mit einem schrägen Crossover aus Bossa Nova, Jazz, Rock und Klassik.
Es muss für Lalo Schifrin eine derart beglückende Erfahrung gewesen sein, sich ohne Rücksicht auf Konventionen totale künstlerische Freiheit nehmen zu können, dass er zunächst keine weiteren Filme mehr vertonen wollte, weil alles, was folgte, nur ein Rückschritt sein konnte. So dürfte denn seine kühne Vision von der Insektenwelt – was das Avantgardistische und Experimentelle betrifft – im Bereich der Filmmusik ihresgleichen suchen. In diesem Sinne verzichte ich aus eingangs erwähnten Gründen bewusst auf eine Bewertung der Hörqualitäten und beziehe mich auf das rein Funktionelle der Musik.
Ich kann die CD weder empfehlen noch von ihr abraten. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er sich auf diesen Trip einlassen will. Aber wer es möchte, sollte vielleicht nicht allzu viel Zeit verlieren, denn es wurden nur 500 Stück gepresst. Sollte der Liebhaberkreis doch grösser sein als vermutet, könnten die recht schnell weg sein.
Andi | 2004
THE HELLSTROM CHRONICLE
Lalo Schifrin
Aleph 029
58:25 | 10 Tracks