Alexandre Desplat musste tatsächlich ein Jahr ohne Oscarnomination auskommen. Erstaunlich, denn zuletzt wurde der Franzose fast serienmässig mit Nennungen bedacht. Eine solche hätte man Every Thing Will Be Fine ohne Zweifel auch zugetraut. In Wenders Film dreht sich die Geschichte um einen Schriftsteller, der nach einem Streit mit seiner Freundin wahllos durch die Gegend fährt und bei einem Unfall ein Kind tödlich verletzt. Die folgenden Wochen gestalten sich für ihn (James Franco) wie Folter. Every Thing Will Be Fine ist mit Franco, Rachel McAdams, Peter Stormare und Charlotte Gainsbourg hervorragend besetzt.
In den Liner Notes erklärt Wim Wenders wie er sich die Musik zu seinem Film vorgestellt hatte, Stücke aus Marnie und Vertigo hörte und sich eratunte zeigte, wie der Film damit gewachsen sei, sich aber auch in eine völlig andere Richtung entwickelt habe. Also versuchte er Mahler und einige andere Filmmusiken, doch fühlte er sich dabei wie ein Dieb und, noch schlimmer, als ob er seinen zukünftigen Komponisten betrügen würde. Dann hörte er Vaughn Williams „Fantasia on a theme by Tallis“ in einer Einspielung von Simon Rattle und wusste sofort die richtige Musik gefunden zu haben. Die Szenen wurden episch, länger und länger, ja fast dreidimensional. Schliesslich: „Eventually I had to scratch everything and leave the film devoid of any temp score. At least it turned again into the honest story it tried to evoke, but more than ever in search of its very own voices…“. Und so kam schlussendlich Alexandre Desplat ins Spiel, dem er verschwieg von welchen musikalischen Vorhaben er geträumt hatte.
Desplats Musik für diesen Wim Wenders Film, übrigens auf dessen Label, Wenders Music, erschienen (ein Regisseur mit einem eigenen Label, das ist mal was anderes) hat in seiner Einfachheit etwas vom aktuellen Tun des Ennio Morricone, im Pianothema, öfters auftauchendes Hauptmotiv, insbesondere. Ebenso das Streicherthema in „Suicide Attempt“ beispielsweise, mit seiner repetitiven Art. Manchmal gemahnt der Score an den schwächeren, jedoch deutlich oberflächlicheren Suffragette, insbesondere in Stücken wie „The Fairground Disaster“. Erwähnenswert sind die vier Jahreszeiten, die Desplat in eigenen Tracks musikalisch beschreibt („Autumn“, „Winter“, „Spring“, „Summer“ und, in denen deutlich mehr Leben ist. Die oft in Moll gehaltene Musik – ja, hie und da schimmert sogar ein Fetzelchen Bernard Herrmann durch) ist nicht einfach zu geniessen, hat man aber die Muse dazu, zeichnet sich Desplats Arbeit als eindringlich, beherrscht und konsequent aus. Man kann sich durchaus die Tiefen, die der Protagonist im Film durchlebt, ohne diesen gesehen zu haben, ausmalen.
Eine wirklich gelungene Sache, eingespielt ausschliesslich von Klavier und Streichern mit dem Gothenburg Philharmonic Orchestra in Schweden. Gespannt darf man auf ein wieder sehr fleissiges 2016 sein, in dem Desplat so unterschiedliche Projekte wie The Secret Life of Pets (Animation), Florence Foster Jenkins (mit Meryl Streep als Opernstar), dem Nazi-Drama Alone in Berlin und nicht zuletzt Star Wars: Rogue Squadron betreut.
Phil, 12.3.2016
EVERY THING WILL BE FINE Alexandre Desplat Wenders Music 44:19 Min. / 20 Tracks
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