Vol. 1 (1964‒1968) FSM Vol. 13, No. 2 CD 1: 50:50 / 17 Tracks CD 2: 62:40 / 26 Tracks CD 3: 76:59 / 41 Tracks CD 4: 74:21 / 32 Tracks CD 5: 75:43 / 29 Tracks Limitiert auf 2000 Stück
Die erste von offenbar mehreren geplanten Schifrin-Boxen aus dem Hause FSM beinhaltet frühe MGM-Filmscores aus der Feder des charismatischen Komponisten. Auf fünf CDs gibt’s eine Mischung aus Wieder- und Erstveröffentlichungen, werden aufschlussreiche Vergleiche zwischen Albumeinspielungen und Filmversionen geboten. Als Aufhänger dient mit The Cincinnati Kid der bekannteste der hier repräsentierten Titel.
Mit Schifrins Hollywood-Debüt Rhino! erwartet den Hörer gleich zu Beginn eine spannende Entdeckung. Abgesehen von einer raren, allerdings jazz- bzw. poporientierten Single, blieb dieser Score bislang unveröffentlicht, und da man auch den Film selten bis nie zu Gesicht bekommt, dürfte diese Musik selbst für die meisten Schifrin-Fans absolutes Neuland sein.
Nach nur zwei Scores in seiner argentinischen Heimat war Rhino! erst die dritte Filmvertonung des damals 32-Jährigen, und es handelt sich bereits um eine Komposition mit viel Potenzial. Das aggressive und rhytmische Rhino-Thema sowie ein mit der richtigen Dosis Exotik garniertes Safari-Thema setzen im Prologue das passende Ambiente. Bei Avantgarde (oft mit Cembalo), exquisiter afrikanischer Percussion, bedrohlichem Blech, Flötensoli, orchestralem Jazz (sehr schön in Dance of the Rhinos) und ein wenig Romantik und Humor ist Schifrin sichtlich in seinem Element. Abgesehen von ein paar monotonen Schlagzeugpassagen vermag es diese stimmungsvolle Musik vortrefflich, in ihren Bann zu ziehen.
Die zu Once a Thief erschienene LP enthält nur zum Teil Musik aus dem Film, die dann auch noch kommerzialisiert ist, beispielsweise mit der extra fürs Album engagierten Jazzsängerin Irene Reid. Daneben gibts Stücke aus Joy House mit Schifrins Jazzklassiker The Cat sowie The Man from U.N.C.L.E., dessen mit markantem Blech und Klavier gesättigter The Man from Thrush zu den immer wieder gern gehörten Evergreens des Komponisten gehört.
Die Filmversion hingegen baut auf dramatischen und suspensvollen, mehr bildbezogenen Jazz im grossen und kleinen Rahmen. Besonderen Anspruch fordert ausserdem das delikate, barocke Liebesthema. Mit viel Feinfühligkeit von Gitarre, Frauenvokalise, Holzbläsern und insbesondere der von Schifrin so geliebten Flöte vorgetragen, kommt hier die romantische und poetische Ader des Argentiniers vorzüglich zum Tragen.
Die Entstehung von The Cincinnati Kid ist recht kurios. Da Produzent Martin Ransohoff und Regisseur Norman Jewison konträre Ansichten bezüglich der Musik hatten, beschloss Schifrin, auf Nummer sicher zu gehen und quasi zwei Scores zu schreiben, um beiden Bossen genehm zu sein. Für das Finale schrieb er sogar gleich sechs verschiedene Versionen. Die Präsentation des kompletten Scores ist dreigeteilt: der LP-Schnitt (bestehend aus Filmtracks und speziell fürs Album eingespielten Stücken), bisher unveröffentlichte Filmtracks und eine Bonussektion mit Alternates sowie Material, das nicht von Schifrin stammt.
Die Musik dürfte vielen von besagtem LP-Schnitt oder auch von der Aleph-Neuaufnahme her bekannt sein. Das polyvalente Hauptthema (für den von Steve McQueen gespielten Kid), dem der grosse Ray Charles seine Stimme leiht und im Instrumentalen wiederholt eine melancholische Mundharmonika, ist Dreh- und Angelpunkt dieses Scores. Das elegante Liebesthema kommt oft durch die Sologitarre zu Gehör. Es gibt New-Orleans-Jazz, Tanznummern und für einen Hahnenkampf einen aufpeitschenden Hoedown, bei dem man förmlich die Federn fliegen sieht. Für den Spannungsaufbau während der Pokerszenen sorgen an den Nerven zehrende, tickende Klänge, die im Original noch ein wenig intensiver und perfider ausgestaltet sind als in der Neuaufnahme.
The Cincinnati Kid wurde Schifrins erster grosser Triumph in Hollywood, und das völlig zu Recht, denn diese emotionsreiche und trotz Stilvielfalt nicht in Beliebigkeit abrutschende Komposition gehört definitiv zu seinen Topfilmmusiken.
Eine weitere Erstveröffentlichung ist die Musik zum Agententhriller The Venetian Affair. Hier verwendet Schifrin ein 22-köpfiges Orchester ohne Streicher und Blechbläser, dafür mit vielen Zupf- und Schlaginstrumenten wie Zither, Salterio, Sitar, Tamboura und Zimbel. Damit erzeugt er eine düstere, unbehagliche und spannungsaufbauende Stimmung, die ‒ auch im Bereich des Jazz ‒ schon mal ins Experimentelle abdriftet. Für den Wiedererkennungswert des Scores sorgt das mysteriöse Hauptthema mit osteuropäischem Einschlag und für Wohlfühlmomente das aparte Liebesthema, einmal mehr gern von Gitarre und Flöte betreut und im Finale gesungen von Julius LaRosa, der Frank Sinatra sehr gut studiert hat.
Auch bei Sol Madrid wird das LP-Programm der Filmeinspielung gegenüber gestellt, wobei in diesem Fall beides identisch ist, wenn auch fürs Album arg zusammengeschnitten. Der Score ist eine sehr heterogene Angelegenheit, reicht neben Schifrin-typischer Dramatik von Mariachi-Musik über Freejazz, Rock, lateinamerikanische Tänze bis zum Rodrigo nachempfundenen Adagietto for Guitar and Orchestra. Einen Höhepunkt bildet das psychedelische Turn On, Search Out mit elektronischem Cembalo, Orgel, Novachord und elektrifizierten Flöten.
Den Abschluss dieses Sets, das jeden, der die chamäleonhafte Musik Lalo Schifrins zu schätzen weiss, erfreuen dürfte, bilden eine Handvoll zusammengewürfelter Themen, darunter Medical Center mit Moog-Martinshorn und für eine Single-Veröffentlichung zwei überarbeitete Stücke aus The Venetian Affair. Da ein paar dieser Themen aus den 1970er-Jahren stammen, hoffen wir mal, dass sich die nächste Schifrin-Box mit eben dieser Dekade beschäftigen wird.
Andi, 9.6.2010
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