The Midnight Sky

Mit THE MIDNIGHT SKY (2020) liefert George Clooney in der Rolle des Regisseurs bereits seinen siebten Langzeitspielfilm ab – er hat mit UNSCRIPTED (2005) und CATCH-22 (2019) auch TV-Produktionen auf dem Regiestuhl betreut. Zudem spielt er hier auch erneut die Hauptrolle. Wieder mit dabei ist Komponist Alexandre Desplat, der nach THE IDES OF MARCH (2011), THE MONUMENTS MEN (2014) und SUBURBICON (2017) zum vierten Mal eine Regiearbeit von Clooney vertont. Seine Filmmusik zu THE MIDNIGHT SKY krankt an Überlänge, denn während den hier digital veröffentlichten 87 Minuten Musik hat es traumhafte Sequenzen drin, aber auch routiniertes, anonymes Underscoring und gar eher verdriessliche Action-Musik. Sprich, an stilistischer Bandbreite mangelt es dieser Filmmusik grundsätzlich nicht, aber die Stärken dieser Desplat-Arbeit liegen für mich erneut in den melodischen Dramamomenten, weshalb ich mir die Action- und Spannungsmusik zugunsten eines kompakteren Hörerlebnisses soweit möglich mehrheitlich wegprogrammiere.

Der Film MIDNIGHT SKY entführt den Zuschauer ins Jahr 2046. Die Luft auf der Erde ist aus nicht weiter ausgeführten Gründen so toxisch, dass die Menschen entweder umgekommen sind, sich unter den Boden in Sicherheit gebracht haben, oder bereits mit Raumschiffen ins Weltall geflüchtet sind. Nur Augustine Lofthouse (Clooney) tummelt sich noch in einer Forschungsstation Nahe des Nordpols auf der Erdoberfläche. Schwerkrank – er ist auf tägliche Dialyse angewiesen – versucht er, das zurückkehrende Rausmschiff Aether, das einen bewohnbaren Exoplaneten entdeckt hat, von der Landung auf der Erde abzuhalten, denn hier wartet nur der Tod auf die Aether-Crew. Da er über den Funk in seiner Forschungsstation indes zu wenig Power hat, um die Aether zu erreichen, macht er sich auf den Weg durch die eisige Kälte, um in einer besser ausgerüsteten Forschungsstation ein zuverlässigeres Funkgerät zu benutzen. Doch bevor er dieses Unterfangen starten kann, muss er feststellen, dass er plötzlich nicht mehr alleine in der Forschungsstation ist, sondern dass das kleine Mädchen Iris – scheinbar von der Familie zurückgelassen – hier Unterschlupf gefunden hat. Nun muss er sich auch noch um die sehr stille, mysteriöse Iris kümmern. Zusammen machen sie sich auf den Weg zur anderen Funkstation, wobei ihre Reise durch das ewige Eis von einbrechenden Eisdecken, hungrigen Wölfen und Schneestürmen erschwert wird. Die Crew an Bord der Aether hat ihrerseits mit Meteoritenhagel und Funklöchern zu kämpfen.

Was sich wie eine rasante Abenteuergeschichte liest, fokussiert weniger auf Spektakel als auch existentielle Fragen mit entsprechend philosophischen Dimensionen. Angesichts schwerer Krankheit, eingesetzter Weltuntergangsstimmung und Meteoritenhagel sinnieren die Menschen über Leben und Tod. Die Grundstimmung des Films ist schwerfällig und es Reihen sich Fragen an Fragen, die nur in seltenen Fällen klar beantwortet werden. Man glaubt, vieles dem Subtext entnehmen zu müssen (zu können), mit ausbleibender Klarheit. So gesehen ist die Filmmusik von Alexandre Desplat das eigentliche Highlight von THE MIDNIGHT SKY, wobei, wie bereits erwähnt, auch hier Durchhänger existieren. Dabei beginnt das Album äusserst vielversprechend, indem Desplat im Stück «The Midnight Sky» ein wunderschönes, elegisches, melancholisches Hauptthema präsentiert, das sich mindestens so hartnäckig im Ohr festsetzt wie damals die Titelmelodie von THE IMITATION GAME (2014) oder das Pearls-Thema aus VALERIAN AND THE CITY OF A THOUSAND PLANETS (2017). Diese Titelmelodie wird von Desplat in der Folge verhältnismässig zurückhaltend eingesetzt, wobei das Wiederhören dann jeweils umso schöner ist – insbesondere im Stück «Crashed Plane». Zudem ist diese Melodie auch in «Evacuation», «Dead Birds» und fragmentarisch im langen «Is There Hope?» zu hören.

Neben diesem Hauptthema präsentiert Alexandre Desplat funkelnden, mysteriösen, gläsernen Klängen im Stück «Aether Spaceship», das gegen Ende hin wahrlich heroische Blechbläser-Momente bietet – die Aether hat ja eigentlich auch einen neuen Planeten für die Menschheit entdeckt, womit ihr eine rettende Funktion zukommt. Diese Musik schwebt friedvoll, hypnotisch dahin, bis nach einem rufenden Trompeten-Soli dunkle Klänge überhandnehmen. Dieses musikalische Porträt der Aether macht auch das Stück «In the Milky Way» zu einem Albumhighlight. Hier besteht eine Verwandtschaft zum Stück «Iris in the Stars», das ebenfalls in mancher Best-of-Desplat-Playlist landen dürfte. Auch dieses wartet mit versöhnlichen, hoffnungsvollen Klängen auf – wenn auch sehr intim auf Klavier und mit Streicher und Synthi im Hintergrund vorgetragen. Hier präsentiert Desplat sein musikalisches Konzept für das Mädchen Iris, mit dem Hoffnung in die dunkle Welt von Augustine Einzug hält. Diese verhalten hoffnungsvollen Klänge prägen auch die Stücke «A Child» und «Changing Route». Zudem nehmen sie richtiggehend verspielten Charakter an im Stück «Peas Battle» – ein Stück, das ohne den filmischen Kontext deplatziert wirkt, nach der Sichtung des Films indes besser eingeordnet werden kann. Für den Albumabschluss präsentiert Desplat dann nochmals grosse Emotionen und musikalische Lichtblicke mit «Mourning», «There is Nowhere» mit eindringlichem Cello-Spiel, «A Ride Home» und glasklarem Trompetenspiel in «A New Life Ahead».

Soweit die Vorzüge diese Desplat-Musik – und das sind doch schon viele. Wenig Gefallen finde ich an der hier präsentierten Action-Musik. Die Stücke «Wolves Attack», «First Alert», «The Ice Breaks» und «Asteroids Rain» warten mit dissonanten Streichern, kurzen, spitzen Blechattacken, viel Synthi-Effekten und pochenden, klickenden Rhythmen auf. Daraus resultieren effektvolle Kontraste zu den vielen melancholischen Momenten, aber sie fordern mit ihren beharrlichen Synthi-Rhythmen. «The Ice Breaks» ist im Film sehr passend und steigert die Spannung dieser Sequenz ins unermessliche, aber als reines Hörerlebnis ist es eher verdriesslich. Zudem sind die vorgenannten schönen Passagen immer wieder von eher atmosphärischen Minuten durchsetzt – Stücke wie «Augustine’s Redemption», «Survivors», «Is There Hope?», «Blood Drops» und auch das finale Drittel des ansonsten bewegenden «Mourning» mäandern als Hörerlebnis umher. Zudem scheinen stellenweise überraschend Musikideen aus anderen Filmkompositionen durch. Beispielsweise aus INTERSTELLAR (2014) zu Beginn des Stücks «Sullivan’s Nightmare», A.I. (2001) in «There is Nowhere» (ab 1:01) und insbesondere «Princess Leia’s Theme» aus STAR WARS in «A New Life Ahead» (ab 1:10) – das sind jeweils nur Kürzest-Statements, aber daher irgendwie umso kurioser. Fazit: Die Filmmusik zu THE MIDNIGHT SKY bewirtschaftet ein breites stilistisches Feld, wobei die Handschrift von Komponist Alexandre Desplat stets erkennbar ist. Die Melancholie dominiert das Geschehen und macht für mich die eigentliche Stärke dieser Musik aus. Entsprechend programmiere ich für mich die Stücke «The Midnight Sky», «Aether Spaceship», «Iris in the Stars», «In the Milky Way», «A Child», «Crashed Plane», «Mourning», «There is Nowhere», «A Ride Home» und «A New Life Ahead» zu einer Suite zusammen.

Basil, 23.5.2021

 

THE MIDNIGHT SKY

Alexandre Desplat

ABKCO Music & Records, Inc.

86:48 Min.
26 Tracks