Der italienische Komponist Kristian Sensini (*1976) komponiert seit knapp 20 Jahren für verschiedene Medien. Zu ersten Experimenten mit elektronischer Musik schritt er gar bereits im Kindesalter. Mit HYDE’S SECRET NIGHTMARE im Jahr 2011 und ROCKS IN MY POCKETS drei Jahre später erreichte er eine internationale Hörerschaft. Zu seinen jüngeren Arbeiten zählt die Musik zum slowenischen Politdrama VSI PROTI VSEM (ALL AGAINST ALL) von Regisseur Andrej Košak, veröffentlicht im Jahr 2019. Der Film dreht sich um Wahlbetrug und den Verfall moralischer Werte – aktueller könnte ein Stoff kaum sein. Die Erzählung fokussiert auf Franta, den Bürgermeister des Städtchens Rovte. Vier Tage vor den Wahlen macht er eine desolate Figur während einer Fernsehdebatte, weshalb er zu korrupten Mitteln greifen will, um die Wahlen doch noch zu seinen Gunsten verbiegen zu können.
Dieser Stoff wird von Košak in kühlen, dokumentarischen Bildern wiedergegeben. Passend dazu liefert Kristian Sensini eine Filmmusik für ein kleines Ensemble, angeführt von Klavier, Flöte und Gitarren. Warme Klangfarben sucht man hier vergebens – so bleiern die Bilder sind, so schwer lastet die Musik, wobei tickende Rhythmen und repetitives Klavierspiel die Unruhe und Nervosität des moralisch verwerflichen Hauptcharakters reflektieren. Ein prädestinierter Sound für ein Polit-Thriller. Dazu kommen Synthi-Effekte und e-Bass. Mit diesem Setting scheint Sensini einen idealen Nährboden für seine musikalischen Ideen gefunden zu haben, denn sein Hintergrund – Klavier- und Flötenspiel, zeitgenössische klassische Musik und Jazz – kommen hier in jedem Ton voll zum Tragen. Seine betonte Vorliebe für experimentelles Musikschaffen von u. a. Frank Zappa, John Cage und Karlheinz Stockhausen kombiniert er hier mit Filmmusikansätzen des italienischen Kinos der 1970er Jahre, wobei er immer wieder auf Ennio Morricone verweist. Letzteres führt er in seinem kurzen Text im CD-Booklet aus. Diese Vergleiche sind tatsächlich nicht von der Hand zu weisen, wobei Sensini mit VSI PROTI VSEM zum Glück nicht an die musikexperimentellen Extremen der vorgenannten Komponisten geht. Seine Klangcollage verlangt dem Hörer zwar etwas Geduld ab, strapaziert jedoch nicht.
Nach dem eröffnenden «Franta’s Theme», das die Grundstimmung der folgenden Minuten vorgibt, muss man sich den melodiöseren Abschluss mit den beiden Stücken «All Against All» und «All the Major’s Women» mit den Spielminuten dazwischen schon bisschen verdienen. Das 13-minütige «Puzzle Pieces» kombiniert repetitive e-Gitarre- und e-Bass-Figuren mit darüber gelegten Klavier- und Flötensoli. Ab und an werden treibende Funk-Musikelemente angedeutet, die einem schon fast auf einen baldigen Big-Band-Feelgood-Moment à la OCEAN’S ELEVEN-Sound hoffen lassen, doch dann verkehrt Sensini die Klangfarben wieder in unheimliche, verschwörerische, unheilvolle Gefilde. Im Ergebnis ist Kristian Sensinis Musik für VSI PROTI VSEM (ALL AGAINST ALL) im filmischen Kontext stimmig ausgefallen. Abseits der Bilder büsst die Musik in meinen Ohren – die lieber der Romantik und sinfonischen Filmmusik statt der zeitgenössischen Musik und dem Jazz frönen – jedoch an Unterhaltungswert ein. Hiervon reichen für mich die vorgenannten, abschliessenden acht Minuten mit etwas ausgeprägteren Melodien aus. Wer jedoch Gefallen an modernistischen, nüchternen Klängen findet – mit Fokus auf solistische Transparenz statt vollsinfonischer Effekthascherei –, dem dürfte VSI PROTI VSEM durchaus zusagen.
Basil 27.11.2020
VSI PROTI VSEM (ALL AGAINST ALL)
Kristian Sensini
Kronos Records
41:39 Min.
9 Tracks