von Klaus Post
Nach viel zu langer Pause folgt nun endlich Teil 2 unserer Fernando-Velázquez-Reihe.
Und wenn man sich seine Soundtracks so anhört, kann man zu folgenden Schlüssen gelangen. Zum einen fällt auf, dass Velázquez-Scores umso besser sind, je tiefschürfender der Film ist. Das klingt zunächst trivial, wird aber umso offensichtlicher, wenn man sich ein Drama wie A MONSTER CALLS zu Gemüte führt. Auch viele seiner Arbeiten fürs spanische Kino bestechen durch ihre Vielschichtigkeit und Subtilität.
Zum anderen erkennt man, dass Komödienmusiken nicht zwangsläufig zum besten im Schaffen des Komponisten gehören, wie man bei der Besprechung von LOS FUTBOLÍISMOS erkennt.
Dass die Komödie LAS LEYES DE LA TERMODINÁMICA (THE LAWS OF THERMODYNAMICS) dennoch zu Velázquez besten Arbeiten zählt, liegt daran, dass es eine außergewöhnlich intelligente Komödie ist. Aber dazu mehr in Teil 3 dieser Reihe.
Nun folgen erst einmal vier Besprechungen, die sowohl aus spanischen als auch aus internationalen Produktionen stammen.
Nun folgen erst einmal vier Besprechungen, die sowohl aus spanischen als auch aus internationalen Produktionen stammen.
GERNIKA
Fernando Velázquez
Quartet Records
75 Minuten
25 Tracks
Die spanische Stadt Gernika wurde 1937, während des spanischen Bürgerkrieges, von der deutschen Luftwaffe auf Seiten Francos in Schutt und Asche gelegt. Der Film GERNIKA erzählt diese dramatische Geschichte aus der Sicht eines amerikanischen Journalisten und einer spanischen Presse-Beauftragten.
Velázquez’ Score dazu wird getragen von einem melancholischen Hauptthema, das, wie so oft bei Velázquez, vieles auszudrücken vermag: Tragik, Drama, aber auch sanfte Gefühle.
Die erste Hälfte des Scores ist ruhig gehalten und geprägt von unterschwelliger Spannung einerseits und einer gewissen Resignation andererseits. Resignation, weil man ahnt, das drohende Unheil nicht stoppen zu können. Für den dramatischen Schlussakt des Films hatte Velázquez dann eine großartige Idee: mit dem 25-minütigen Track „Gernika Under The Bombs“ wollte er die filmisch grandios umgesetzte Bombardierungssequenz in einem Stück durch vertonen. Leider hat er bei der Umsetzung dieser Idee einen Teil ihres Potenzials verschenkt. Denn statt ein symphonisches Stück zu schreiben, das einen Schritt zurücktritt vom Handlungsverlauf, einen übergeordneten Blick auf das chaotische Geschehen behält und sich über diese üppige Zeitspanne hinweg aufbauen und entwickeln könnte, geht Velázquez musikalisch nah an die Handlung ran bzw. auf die einzelnen Geschehnisse während des Bombardements ein, so dass „Gernika Under The Bombs“ schließlich doch wirkt wie eine Aneinanderreihung einzelner Sequenzen. Dennoch haben die es musikalisch durchaus in sich. Denn es wechseln sich treibende oder spannende Passagen mit mal mehr mal weniger großem Drama und vollem Chor- und Orchestereinsatz ab, in denen auch immer wieder das Hauptthema effektiv angespielt und variiert wird, um die Tragödie musikalisch angemessen zu beschreiben.
Musikalischer Höhepunkt ist schließlich die Schlusseinstellung, in der man aus gewisser Entfernung die Überlebenden aus dem Flammenmeer der Stadt flüchten sieht. Orchester und Chor geben hier mit eindrucksvoller Intonierung des Hauptthemas alles, um das ganze Ausmaß der Verwüstung und der Tragödie zu untermalen. So wird dem über weite Strecken ruhigen Score noch ein wuchtiges Finale verliehen, bevor einen die nur vom Klavier gespielten „End Credits“ nachdenklich zurücklassen.
LOS FUTBOLÍSMOS
Fernando Velázquez
Quartet Records
77 Minuten
33 Tracks
LOS FUTBOLÍSMOS fängt vielversprechend an. Der Eröffnungstrack wartet auf mit üppiger Orchestrierung und einem getragenen, pathetischen Thema. Doch schon im nächsten Track wird man mit Schlagzeug-hinterlegten Easy-Listening-Klängen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück geholt.
Was folgt, ist eine leichtfüßige und leicht verdauliche Komödienmusik mit parodistischen Bond-Anleihen hier und da. Zwar schwelgt Velázquez anfangs noch überwiegend in seiner bewährten und famosen Orchestrierung und es wechseln sich ruhige mit spannenden und zum Teil auch gelungenermaßen pathosgeladenen Sequenzen ab. Doch mit fortschreitender Handlung nimmt das vermutlich als Augenzwinkern gedachte, parodistische Element überhand. Immer wieder werden dem Orchester noch Schlagzeug und E-Gitarre zur Seite gestellt.
Die Stilelemente selber setzt Velázquez wunderbar gekonnt ein und mit weniger Parodismsus und etwas mehr Eigenständigkeit wäre ein prima Komödien-Abenteuer-Score daraus geworden. Aber die mehr oder weniger subtilen Hollywood-Anleihen sowie die für Velázquez-Verhältnisse geringe Originalität lassen den Score schließlich ins zu Arglose und teils Klischeehafte abgleiten. Sogar einen Song, der wie eine „Je t’aime“-Parodie klingt, muss man in Track 24 über sich ergehen lassen.
Am Ende wirkt der Score insgesamt doch zu oberflächlich. Da erscheint der obligatorische Gute-Laune-Song zum Schluss sogar schon als angenehme Abwechslung.
A MONSTER CALLS
Fernando Velázquez
Quartet Records
71 Minuten
21 Tracks
A MONSTER CALLS ist die dritte Zusammenarbeit von Velázquez und J. A. Bayona und wieder ist es ein Volltreffer. Sowohl filmisch, als auch vor allem musikalisch. Der Film erzählt die aufwühlende Geschichte von Conor, einem Jungen, dessen alleinerziehende Mutter todkrank ist und der seinen Zorn und seine Verzweiflung über seine Situation scheinbar nur mit Hilfe eines imaginären Baummonsters in den Griff bekommt.
Genau so einfühlsam, wie Bayona die Geschichte erzählt, begleitet Velázquez sie musikalisch und stellt einmal mehr unter Beweis, wie gut er sich in die Geschichte und die Emotionen der Hauptfigur(en) hineinversetzen kann.
Eröffnet wird der Score vom sensiblen Hauptthema, das Velázquez, wie so oft und gekonnt, mit einem prägnanten Rhythmus-Lauf für Streicher unterlegt und ihm so im Main Title Arrangement (sowie nochmal kurz in den End Credits) eine hintergründige Dynamik verleiht.
Im weiteren Verlauf wechseln sich action- und spannungsgeladene Passagen (in denen das Monster in Aktion tritt) mit feinfühlig-melancholischen Abschnitten ab, die des Jungen Erlebnisse in der realen Welt widerspiegeln. Beides wird immer wieder durch wohl dosierte Chor-Einsätze ergänzt. Weil aber das Monster nur sporadisch auftritt, behalten die ruhigen Passagen die Überhand.
Und während der ganzen Zeit drängt sich die Musik nie rührselig oder oberflächlich in den Vordergrund, sondern entfaltet gerade durch ihre sensible Zurückhaltung ihre besondere Wirkung.
Unter diesem Aspekt sticht allerdings auf dem Album der kurze Track „Break Things“ hervor. Conor, der in seiner Rage einen Anfall von Zerstörungswut bekommt, wir dabei musikalisch von diesem Stück begleitet. Mit seinen harschen und brachialen Klängen wundert man sich, zu was ein Orchester in der Lage sein kann. Und doch fällt dieser Track keineswegs negativ auf, schon gar nicht im Film. Im Gegenteil fügt auch er sich passend in das Geschehen ein.
Der emotionale Höhepunkt des Scores ist allerdings „Montage“. Hier werden Erinnerungen an unbeschwerte Momente zwischen Mutter und Kind in einer Rückblende mit einer besonders feinfühligen Version des Hauptthemas hinterlegt, das sich in seinem Verlauf ganz behutsam steigert.
Als Bonus ist dieser Track in einer zweiten Version enthalten, der sehr dezent mit Originaldialogen der Mutter hinterlegt ist. Was normalerweise eher nervig und überflüssig ist, steigert hier dagegen durch seine zurückhaltende Umsetzung die emotionale Wirkung des Stückes enorm.
Eingerahmt wird der Score von zwei unterschiedlichen Versionen des Original-Songs „Tear Up This Town“ von Keane. Man kann sicher streiten, ob das nötig gewesen wäre, allerdings muss man fairerweise sagen, dass es schon deutlich schlechtere Pop-Song-Ergänzungen auf Score-Alben gab.
Unterm Strich liegt mit A MONSTER CALLS definitiv einer der besten Velázquez-Scores vor, der durch seine besonders sensible Melodik besticht.
HERCULES
Fernando Velázquez
Sony Classical
66 Minuten
25 Tracks
Nachdem Velázquez schon die eine oder andere englischsprachige Filmproduktion vertont hatte, war es für ihn 2014 endlich(?) soweit, dass er mit HERCULES einen Hollywood-Blockbuster vertonen durfte.
Und mit diesem Score stellte er zwei Dinge unter Beweis. Nämlich zum einen, dass selbst Weltklasse-Komponisten ihre musikalische Handschrift bis zur Unkenntlichkeit verzerren, wenn sie sich den musikalischen Dogmen Hollywoods untergeben. Zum anderen aber, und das ist die positive Sichtweise, stellt Velázquez seine Anpassungsfähigkeit an die Vorgaben der Filmverantwortlichen unter Beweis.
Und trotzdem muss unter diesen Umständen nicht zwangsläufig ein schlechter Score herauskommen. HERCULES erfüllt zwar gerade in den reichlich vorhandenen Action- bzw. Spannungspassagen die Anforderungen an das seit einigen Jahren vorherrschende Klangbild des oberflächlichen und unsensibel dröhnenden Orchesterbombasts. Aber er hat auch seine unterhaltsamen und melodischen Momente, vor allem während der ersten Hälfte. Und sogar ein simpel-pathetisches Hauptthema hat seinen Reiz, wenn es aus der Feder von Velázquez stammt. Diesbezüglich seien die Tracks „Son Of Zeus“, „Pirate’s Camp“, „Athens“, „Lord Coty’s Palace“ und „The Lion’s Tooth“ lobend erwähnt, die mit Variationen des Hauptthemas noch für Abwechslung sorgen.
Aber gerade die zweite Hälfte des Albums wird dann doch zu einer Geduldsprobe und musikalischen Tour de force. Hier reiht sich ein Action-Cue an den nächsten. Und einer wie der andere wird getragen vom scheinbar immer gleichen, treibenden Grundrhythmus, der sich vornehmlich aus Schlagwerk, Celli und Contrabässen ergibt. Abwechslung oder musikalische Entwicklung: Fehlanzeige.
Das Album hätte demnach auch kürzer ausfallen können, ohne, dass man etwas Substantielles verpasst hätte.
Bezeichnenderweise ist ausgerechnet der eine Bonus-Track, der nicht im Film vorkam, das beste Stück auf dem Album, nämlich das „Choir Theme“, ein rein chorales Arrangement des Hauptthemas, das jedoch mit knapp eineinhalb Minuten viel zu kurz ausfällt.
Am Ende ist HERCULES also kein typischer Velázquez-Score. Er erfüllt die Anforderung, die der Film an ihn gestellt hat. Somit ist das Ergebnis leider ebenso oberflächlich, wie der Film selbst und es bleiben nur wenig musikalische Momente in guter Erinnerung, die aber sorgen dafür, dass die Bewertung nicht noch schlechter ausfällt.
Und so tat bzw. tut Velázquez gut daran, bei seiner Projektauswahl auf derartige Blockbuster zu verzichten.