25 ans de musique de films

Review aus The Film Music Journal No. 17/18, 1999

Nationalhymnen sind stets in zwei Grundausführungen vorrätig: militärisch und elegisch. Ich empfehle letztere, sie sorgen bei kollektiven Veranstaltungen für umfassende Rührseligkeit. Sollte Frankreich irgendwann seine verbleibenden imperialistischen Kolonien aufgeben, könnte es gleich eine perfekte Nationalhymne aus der Feder Michel Magnes hinterlassen: ANGÉLIQUE ist so ziemlich das francophil pathetischste, was sich denken läßt: bitte alle mitsummen, die Feuerzeuge schwenken und heulen, ohne zu wissen warum. „Es ist, als stieße man eine sehr schwere, in den Angeln ächzende, dem Druck widerstrebende Holztür auf, um ins Helle zu gelangen.» Soweit Jean Amery zu Beginn seines Selbstmordbuchs «Hand an sich legen».

Ebenso wie dieser Schriftsteller kurz nach Drucklegung fand auch Michel Magne im Jahr 1984, es sei an der Zeit, die jämmerliche irdische Existenz zu beerdigen. Exitus. Als Hinterlassenschaft aus einem Vierteljahrhundert im Zeichen der Filmmusik hat uns die EMI Ende 1998 noch eine Doppel-CD beschert, welche diesen hauptsächlich durch seine opernhaft wuchernde Partitur zu LES MISÉRABLES (1982) prominenten Franzosen endlich auch einem breiteren Publikum zuführt. Fast zweieinhalb Stunden spiegeln die immense Kreativität innerhalb eines Dreiecks aus modischem Sixties-Jazz, herzensschwerer Romantik und purer Kindsköpfigkeit wider. Letztere siegt in der Disziplin Scherzkekseweitwurf, wenn Magne zu Beginn von LES CHINOIS À PARIS erst ein paar Takte aus Bachs d-moll-Toccata verhackstückt, um ebenso unvermittelt das Postkartenbild des ewig an seiner Harmonika ziehenden, baguettefressenden Baskenmützenparisers zu intonieren. Ein bißchen Johann Strauß darf es auch noch sein – etwas anderes als einen chinesischen Touristenbus auf europäischer Abhak-Route kann das kaum illustrieren.

Überboten wird diese Kasperei aber gleich im Anschluß von unfreiwilliger Komik; die nämlich überstrahlt die erste, musikalisch abgehaltene Englischstunde des französischen Sängers „Mr. Eye» (ja klar), verewigt im Soundtrack zu Roger Vadims DON JUAN 73. Buntgescheckt also bietet sich die Anthologie in zwei- bis vierminütigen Cues feil. Dem unterschiedlichen Alter der Aufnahmen entsprechend (1958-1984) variiert die Tonqualität ein wenig, doch klingen auch die älteren Einspielungen sehr präsent. Magne machte die ganzen Moden der sechziger Jahre mit, betreute neben ambitionierten Kunstfilmen auch Pornos (EMANUELLE 4, mit dem programmatischen Stück «Bach-anal» passend vertreten) und Pulp Serien wie die FANTÔMAS-Reihe oder eben ANGÉLIQUE samt Fortsetzungen.

Seine Musik lebt immer wieder von der schlitzohrigen Doppelbödigkeit, exemplarisch hierfür: «Le parc romantique» aus LE VICE ET LA VERTU. Obgleich die Einstiegstakte bereits die Zündschnur legen, explodiert im Hirn doch erst nach einigen Momenten die Einsicht, daß hier Wagners Tannhäuser-Musik genüßlich auf die Schippe genommen wird. Während die Bläser versuchen, das Thema gleichzeitig zu spielen und nicht zu spielen, kreischen die Geigen wie Polizeisirenen durchs musikalische Gelände. Mit Harte und Klavier wird Wagner endgültig in einem Pariser Nachtclub angesiedelt, ehe Magne das Thema nochmals anklingen läßt; das spitzbübische Lächeln in seinem Gesicht meint man dabei noch heute wahrzunehmen.

Mehr als vierzig Titel werden durch Bonustracks aufgestockt, darunter ein kurzes Rundfunkinterview, wie das reich getextete und illustrierte Booklet mit Französischkenntnissen rechnend. Offensichtlich setzt die Grande Nation nicht mehr darauf, es könnten sich Filmmusiksammler außerhalb des Landes für solch beeindruckende, unter der leutseligen Oberfläche von tiefer Einsamkeit zeugende Musik wie diejenige Michel Magnes interessieren. Seine Tonsprache allerdings bedarf keines Wörterbuchs.

Matthias  |  1999

25 ANS DE MUSIQUE DE FILMS

Michel Magne

EMI Odeon

144:32 | 52 Tracks