von Phil Blumenthal
Woche 2 ist angebrochen und Phil zieht es durch. Schwierig ist es nicht: Goldsmith hat nicht nur eine fast unheimliche Anzahl an Filmen vertont, sondern zeigt auch, das wissen wir längst, eine unglaubliche Vielfalt in seinen Musiken.
KING SOLOMON’S MINES (1985) ging zu Recht nicht in die Filmgeschichte ein, dafür war die Cannon Produktion dieser Indy-Kopie einfach zu schlecht. Aber Jerry Goldsmith hat einen farbenfrohen Score geschrieben und für lange Zeit war es die letzte rein orchestrale Filmmusik des Komponisten. Nein, ich hätte den Film wohl nicht gesehen, hätte ich zu jener Zeit nicht als Platzanweiser im Kino mein Feriengeld verdient (und wäre nicht Goldsmiths Name auf dem Kinoplakat aufgetaucht). So sympathisch Richard Chamberlain auch war, so attraktiv sich das neue Gesicht, Sharon Stone, zeigte, es war nicht der Film, der ungewollt billig aussah, es war wieder einmal dieser magische Name, Jerry Goldsmith, der haften blieb. Wie einst bei SUPERGIRL musste er auch hier einen schlechten Nachahmer eines guten Originals vertonen, und wie immer machte er das mit Können. Goldsmiths Score ist eine pfundige, lockere Sache mit einem schmissigen Hauptthema, eingespielt mit dem Hungarian State Orchestra. Hätte sein oft verwendetes pick-up Ensemble, das National Philharmonic Orchestra ran dürfen, kaum auszudenken was hier interpretatorisch drin gelegen hätte. Aber irgendwie fügen sich die Budapester ganz gut in die allgemeine Szenerie des Films ein.
Viel zu kurz war die Milan LP mit ihren 34 Minuten. 1991 kam die Erlösung mit der Einstunden-Intrada Version, die weitere Mitstreiter nach sich zog (Prometheus 2006, Quartet Records 2014).
Oha, nochmals ein bis jetzt nicht gesehener «Goldsmith Film». THE LAST RUN (1971) war einer von drei Filmen, die Goldsmith für Richard Fleischer vertonte (TORA! TORA! TORA!, THE DON IS DEAD). George C. Scott spielt einen Fahrer, der für spezielle Aufträge engagiert wird und aus dem Ruhestand kommt, um bei einem letzten Coup mitzutun. Goldsmith schrieb einen recht kurzen Score, den er damals für eine MGM LP neu einspielte. Dieses 30 Minuten Programm figurierte später auch auf einer Chapter III CD (gemeinsam mit WILD ROVERS) und auf einer Film Score Monthly CD (2007, zusammen mit den TV-Musiken zu CROSSCURRENT und THE SCORPIO LETTERS). Der Song, den wir zu Beginn der CD zu hören bekommen, schaffte es übrigens nicht in den Film, dafür aber Jerrys knackige Actionstücke und das melodische Setting für die Lokalitäten (irgendwo in Europa), in denen der Film spielt – das Hackbrett übernimmt diese Aufgabe für das Hauptthema in «Main Title-The Last Run». Viel zu lange habe ich in diesen Score nicht mehr reingehört, der es echt Wert ist mal wieder aus dem Regal geklaubt zu werden.
Als Harrison Ford damals in seiner Blütezeit als Actionheld (zwei Jack Ryan Filme, THE DEVIL’S OWN, THE FUGITIVE) zum Präsidenten der USA aufstieg, seine Familie und seine Präsidentenmaschine gegen Gary Oldman in Wolfgang Petersens Blockbusterhit AIR FORCE ONE (1997) verteidigend, stieg auch Jerry Goldsmith an Bord. Doch zuvor tat Randy Newman einen seltenen Genreausflug, von seinem nicht verwendeten Score existiert sogar ein Bootleg und so schlecht ist nicht, was Newman da schrieb. Aber Goldsmith geht einen anderen Weg, einen heroisch-patriotischen für Präsi James Marshall, mit einer üppigen Ladung Orchesterstärke, nicht zuletzt in den vielen gewohnt lebhaften und zum Grossteil sinfonischen Actiontracks sowie einer Prise Russland für den bad guy Oldman. Mit Hilfe von Joel McNeely – Zeitdruck und viel Musik – entstand ein Score, der bei manch einem Fan in den Goldsmith Hitlisten weit oben steht.
Varèse Sarabande musste für seinen 35 Minuten Auszug damals zurecht viel Häme einstecken. Immerhin wetzte das Label diese Scharte 2019 aus, ohne Robert Townson, und präsentierte die Musik in all ihrer Pracht auf einer fantastischen Doppel-CD, die von Goldsmith’isten gefühlt unendlich lange herbeigesehnt wurde. Zum Schluss darf noch geraten werden welcher der letzten fünf US-Präsidenten dem Helden aus AIR FORCE ONE am nächsten kommt… richtig, keiner!
Bleiben wir beim Thema Russland. Sean Connery spielt in THE RUSSIA HOUSE (1990) einen Verleger, der sich in eine Russin (Michelle Pfeiffer) verliebt und in eine Geheimdienstsache verstrickt wird. Ein romantischer Thriller von Fred Schepisi nach der Vorlage von John le Carré und einem Drehbuch von Tom Stoppard (EMPIRE OF THE SUN), stimmungsvoll, moderat und clever in verschiedenen Zeitebenen spielend. RUSSIA HOUSE gehört zu einer Handvoll Filmen, die ich mir immer wieder anschauen kann. Bereits zu seinen Kinozeiten verströmte er, trotz zurückhaltendem Erfolg, trotz Perestroika, einen Hauch old Hollywood. Filme, wie sie heute kaum mehr gemacht werden. In einer Nebenrolle ist übrigens der exzellente Klaus-Maria Brandauer zu sehen.
Schepisi und Goldsmith trafen den richtigen Ton um die Story um Barley und Katya musikalisch zu tragen. Es entstand einer der feinsten Scores der 90er Jahre, eine Mischung aus Jazz (das Sopransax wird von Branford Marsalis gespielt) und russischer Schwere, ohne musikalische Klischees zu bemühen. 61 Minuten schafften es auf die MCA Disc, 2017 erreichte uns mit 14 Minuten mehr Musik die La-La Land Ausgabe. Muss man haben – so oder so!
Jetzt wird’s ein wenig verrückt. LINK (1986) ist ein etwas verstörender Film über einen Orang-Utan, der bei Wissenschaftler Dr. Phillip (Terence Stamp) als Butler arbeitet und Amok läuft. Eine ganz junge Elisabeth Shue muss sich gegen diesen Wütling zur Wehr setzen. Richard (PSYCHO II – ebenfalls mit einem Jerry Goldsmith Score) Franklins Horrorthriller ist heute in der Versenkung verschwunden, auch im TV ist er kaum noch zu sehen. Und hätte es einst nicht VHS gegeben, wahrscheinlich hätte ich den Film bis heute noch nicht gesehen, obwohl… anstatt dem Horrorstreifen mit THE OMEN oder ALIEN Klängen zu Hilfe zu stehen, entschied sich Goldsmith für eine ganz andere Gangweise. Würde man alleine vom Score ausgehen, manch einer könnte das Gefühl bekommen, hier handelt es sich um einen Klamauk oder eine Komödie. Obwohl der Score orchestrale Elemente enthält, ist es Jerrys Elektronikkiste, die in LINK dominiert. Mit Streichern, Tierlaut ähnlichen Samples und den Simmons Drums kreiert Goldsmith eine verrückte, Kirmes/Zirkus-Musik, die nur unterbrochen wird von einem romantischen Streicherthema. Orchesterpuristen werden bei LINK die Augen verdrehen, Goldsmith-Fans werden Momente erleben, die zwischen Augenzwinkern und tödlichem Ernst hin- und herschwanken.
LINK bleibt LINK. Seit der LP und der langen Zeit hoch dotierten 1986er CD gab es lediglich Neuauflagen des Albums.
SUPERGIRL… oh SUPERGIRL (1986). Die billige Variante von SUPERMAN, zumindest was den Film angeht. Der Film war einfach nur schlecht. Trotz oder gar wegen Faye Dunaway, die sich als Superbösewichtin einen grossen Scheck abholte. Auch Peter O’Toole setzte im Cast einen Bekanntheitsgrad gen oben dazu. Nur wegen Jerrys Musik bin ich damals ins Kino gepilgert. Gut, Jeannot Szwarcs JAWS 2 war besser als erwartet und wer möchte nicht gerne Helen Slater durch die Luft peitschen sehen. Doch das SUPERGIRL stürzte böse ab. Mieses Drehbuch, noch miesere Effekte, Schauspieler, denen man die Frage «was mach ich bloss hier?» auf die Stirn geschrieben sieht. Selbige Frage stellte ich mir nach rund 30 Minuten ebenfalls, wäre da nicht:
Musikalisch kann man SUPERGIRL als Mischung aus KING SOLOMON’SMINES und POLTERGEIST II betrachten, vor allem was das Hauptthema angeht, ist der Aufbau zu KING nicht zu bestreiten, während die mehr action- und spannungsbepackten Stücke an den zweiten POLTERGEIST erinnern (Synthieinsatz und Spiel der Streicher). In der «Overture» sind alle wichtigen Themen versammelt, Supergirls Fanfare, das Liebesthema und das Motiv für Selenas monströse Kreation. Herausragende Stücke sind «Arrival on Earth/Flying Ballet» (mit Chor), «The Monster Tractor» aber auch das verspielte «A New School» und natürlich das tolle 12 Minuten Stück «The Final Showdown & Victory/End Title»).
Die Silva Screen ist klanglich höchstens mittelmässig, insgesamt zu leise, entgehen einem viele kleine, feine Details. Trotz swooshy Synthisound, den ab und an sogar Streicher und Holzbläser übernehmen, ist SUPERGIRL eine dufte, unterhaltsame Sache, richtig gut anzuhören und so viel besser als der dröge Film.
Varèse/Colosseum brachte eine LP mit rund 40 Minuten heraus (ich besitze die deutsche Fassung mit Tracktiteln wie «Wer ist sie?» und «Der unheimliche Bulldozer») und für einmal dauerte es nur sieben Jahre ehe Silva Screen eine 76 Minuten Version des Filmscores herausbrachte, die man momentan nur noch auf dem Gebrauchtmarkt erhält. Eine Neuveröffentlichung steht hoffentlich demnächst an (dann auch mit gutem Klang und einem anständigen Booklet bitte).
Nicht zu Unrecht rankt THE BLUE MAX (1966) bei vielen Fans des Komponisten ganz weit oben. Die Musik für dieses Fliegerdrama aus dem Ersten Weltkriegs mit George Peppard, James Mason und Ursula Andress (die Wassernixe aus DR. NO) ist grossartig. Bruno Stachel ist anders als die meisten deutschen Piloten damals aus besserem Hause, was zu einem krankhaften Ehrgeiz führt. Dazu verweigert er den unter Fliegern wichtigen Ehrencodex und bleibt so stets Aussenseiter und Einzelgänger. John Guillermins Film zeigt beachtliche Luftkampfbilder und einen von Streben nach Ruhm und Anerkennung zerfressenen Peppard. Leider kam Goldsmiths Musik im Film nicht besonders gut weg, wurde sie doch hin und her geschoben, Stücke wurden gekürzt oder gar nicht verwendet. Das ist mehr als schade für den Film und natürlich den Score. Den Film sah ich, er war ein paar Jährchen vor meinem irdischen Dasein in den Kinos, mit viel Verspätung – die Musik bereits von einer LP und einer gelungenen Konzertsuite kennend.
Auch THE BLUE MAX ist eine Goldsmith Musik, die diverse Veröffentlichungen sah. Die beste stammt von Intrada aus dem Jahr 2010 und ist leider längst vergriffen. Hier wird die Komposition klanglich auf höchste Höhen getrieben, so gut es das Ausgangsmaterial zuliess und der Hörer kann diesem substantiellen und auch ohne Film bestens funktionierenden Meilenstein frönen. Man lese dazu Andis hervorragende Rezension, besser könnte man THE BLUE MAX nicht beschreiben.
Zu meinen Filmfavoriten zählt Franklin J. Schaffners THE BOYS FROM BRAZIL (1978 – trotzdem es einige Stücke von Goldsmith nicht in den Film geschafft haben), in dem der Nazijäger Liebermann (Laurence Olivier) bei seiner Jagd auf badass Dr. Mengele (Gregory Peck) einem unheimlichen Komplott auf die Spur kommt, um mit Hilfe von geklonten Kinderausgaben Hitlers ein neues Drittes Reich auf die Beine zu stellen. Dazu sollen nun alle Väter der Klonadolfe gekillt werden, so wie einst das «Vorbild» im Alter von 14 seinen Vater verloren hatte. In weiteren Rollen sind James Mason, ein ganz junger Steve Guttenberg in einer seiner wenigen unkomischen Rollen, Lilli Palmer und Bruno Ganz zu sehen. Ein starker, hervorragend gespielter, durchaus utopischer Thriller mit einem beeindruckenden Goldsmith Score, der hier, zumindest im Haupttitel wieder gegen den Strom schwimmt und einen Walzer platziert – der Film spielt teilweise in Wien, der Heimat von Liebermann. Doch abgesehen von diesem Walzer, der in Teilen auch als Mittel zur Vorahnung eingesetzt wird, ist BOYS FROM BRAZIL eine in knackigen Goldsmith Rhythmen ausgeführte, fulminante Thriller- und Actionarbeit für Orchester, nur unterbrochen von einem Song «We’re Home Again» (im Film sogar prominent eingesetzt) und wärmeren Klängen in «Without Hope».
Lange Zeit war THE BOYS FROM BRAZIL ein gesuchtes Gut. Die LP von 1978 war für Jahre der einzige Tonträger, während die streng limitierte Masters Film Music und die erst 1992 gepresste A&M Records, das gleiche 38 Minutenprogramm (Goldsmith stellte vier Suiten zusammen) wie die LP, alsbald Höchstsummen erreichten. Es dauerte bis 2008 ehe Intrada uns schliesslich den gesamten 56minütgen Score präsentierte. Ebenfalls enthalten, für alle, die es bisher nicht besassen, ist das Original Album.
Nach BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID und THE WILD BUNCH schien die Zeit reif im tot gesagten Westerngenre für einen weiteren Antihelden Wild West Film: WILD ROVERS (1971). William Holden und Ryan O’Neal spielen zwei Kuhtreiber, die aus purer Langeweile und ihrem trägen Dasein zu entrinnen eine Bank überfallen, verfolgt von einer rachsüchtigen Gruppe Schafshüter. Blake Edwards vollführte hier einen seiner raren Ausflüge ausserhalb des Komödien- und Liebesfilmfachs, ausserdem wurde Jerry Goldsmith und nicht Edwards Stammkomponist Henry Mancini mit der Musik beauftragt. Mit einigen Westernfilmen im Köcher, zumeist mit einem unverkennbaren, ins Ohr gehenden Hauptthema ausgestattet. So auch in WILD ROVERS mit dem von der Mundharmonika gespielten Titelmotiv, welches Goldsmith verschiedentlich variiert und in Gebrauch hält (Flöte, Streicher, Trompete, und zum Schluss gar in einen Titelsong verwandelt, wechseln sich ab).
Ein Orchesterarrangement von «Bronco Bustin’» durfte ich einst, unvergessen bis heute, von Goldsmith dirigiert in einer Konzertaufführung hören. Damals war WILD ROVERS lediglich als MCA LP erhältlich, so man überhaupt rankam. Später erschien zusammen mit THE GREAT TRAIN ROBBERY ein CD-Bootleg und 2000 auf CHAPTER III zusammen mit THE LAST RUN eine erste öffentliche Digitalscheibe. Film Score Monthly legte 2003 den 40 Minuten kurzen Originalscore auf (wie zuvor in «A Week with Jerry» erwähnt, war es eine Phase in der Jerry sehr zurückhaltend mit dem Spotting der Musik umging), zusammen mit dem alten Programm als Bonus. WILD ROVERS ist nicht die beste Westernmusik von Goldsmith, zumal eine der weniger bekannten aus seiner Feder, beschreibt sie eine unheilvolle Männerfreundschaft und keine Hihoverfolgungen oder Kutschen, die virtuos durchs Bild flitzen. Mal wieder Reinhören ist durchaus angesagt.
Mit FIRST BLOOD und seinen Nachfolgern kam eine neue Welle von «Einer gegen Alle» Filme in die Kinos, die knapp über B-Film Qualität schwebten, in der Billigkategorie gab es unzählige Nachahmer. In EXREME PREJUDICE (1987) von Walter Hill (48 HRS.) spielt Nick Nolte einen Texas Ranger, der es mit einer Special Forces Einheit zu tun bekommt, angeführt von einem Drogenbaron (Powers Booth). Einzelgänger kann Jerry Goldsmith bestens porträtieren: In FIRST BLOOD hat er es mit einer Solotrompete getan und in EXTREME PREJUDICE tut er es ebenso. Allerdings ist diese Musik in der Synthesizerphase des Komponisten entstanden. Oft eingesetzt als zusätzliche Klangfarbe, geben die elektronischen Beigaben hier den Ton an, das Hungarian State Orchestra spielt die zweite Geige, bei einigen Tracks («The Bank Pts 1, 2 & 3» und «The Bank Pt. 4», eindeutig nachher von Goldsmith ausgeführt) ist es gänzlich verschwunden. Die Zeit in der Goldsmiths EXTREME PREJUDICE entstanden ist, ist also unverkennbar: Die Simmons Drums, ein elektronisches Drumset mit achteckigen Trommeln, kennen wir aus LINK und RENT-A-COP (1987), nehmen eine unverkennbare Stellung ein (Gerüchten zu Folge sei das ungarische Orchester nicht immer in der Lage gewesen, die Anforderungen für einen Actionscore zu erfüllen). Goldsmith kreierte dennoch eine Musik mit RAMBO Flair und gegen Ende gar ein wenig Mexiko, die sich heute noch verdammt gut anhört.
Die alte Intrada (für USA) und Silva Screen (für Europa) LP/CD ist mit ihren 49 Minuten ein gelungenes Album, das ich bevorzuge. La-La Land vermischte auf der 2005er Edition Filmcues und nicht verwendete, vom alten Album stammende Stücke. So ist die 64 Minuten Spielzeit mit etwas Vorsicht zu geniessen, sechs zuvor nicht veröffentliche Tracks sind aber definitiv enthalten, zum Beispiel das von Goldsmith nach Hills Wünschen neugestaltete, kürzere «The Plan» (das 9minütige Original ist ebenfalls zu hören).
29.3.2020