Review aus The Film Music Journal No. 26/27, 2001
Zur Freude aller Fans der klassischen sinfonischen Filmmusik hat FSM nun eine limitierte Auflage von UNTAMED (1955), einem von Franz Waxmans farbenprächtigsten Scores aus den 50er Jahren, ans helle Tageslicht befördert. Bisher war von dieser Abenteuermusik, die ein Jahr nach dem allseits bekannten Meilenstein PRINCE VALIANT (der im Hauptthema durchaus einige Spuren hinterlassen hat) entstand, nur eine rund 7-minütige Suite in einer Einspielung mit Richard Mills und dem australischen Queensland Symphony Orchestra auf dem Waxman-Sampler Volume 4 von Varese verfügbar, die sowohl hinsichtlich der räumlichen Präsenz des Klangbildes wie der dramatischen Interpretation gegenüber der jetzt vorliegenden Original-Stereo-Edition eindeutig den Kürzeren ziehen muß.
Regisseur Henry King, eigentlich ein Spezialist für Americana-Geschichten, legte mit UNTAMED ein in Südafrika in der Mitte des 19. Jahrhunderts spielendes Epos vor, im Grunde eher ein verkleideter Western unter Zuhilfenahme von mehreren Handlungssträngen aus GONE WITH THE WIND (1939). Susan Hayward, damals gern und häufig eingesetzter weiblicher Star der Fox, spielt eine Irin in Südafrika, die zwischen zwei Männern hin- und hergerissen wird, von denen der eine, nämlich Tyrone Power, Anführer eines Burentrecks ist. Ein Film über Kolonisierung und über die Suche nach der eigenen Identität, sicherlich nicht Kings bester von insgesamt sieben, die er mit Power zusammen gedreht hat, dafür ein typisches Fox-Produkt aus der beginnenden Cinemascope-Ära, das in eindrucksvollen optischen Naturpanoramen dem Publikum das neue technische Verfahren schmackhaft machen sollte.
Wahrlich «ungezähmt› sind bereits im «Main Title» die spektakulären Hörner, die ihre Jagdrufe nach Art eines Echos in schönster Stereophonie abwechselnd durch die Boxen erklingen lassen, gefolgt von einem opulent-schwungvollen und ausladenden Hauptthema, das der volle Streicherapparat des Orchesters vorträgt. Äußerst geschickt und agil akzentuieren dabei die Hornrufe die einzelnen Phrasen der schwelgerischen Melodie – ein Effekt, der in der Suiten-Nachspielung leider nicht so wunderbar plastisch und räumlich zum Tragen kommt. Doch zu was gibt es schließlich Originale? Und allein schon wegen dieser musikalischen Meisterleistung im Titelvorspann lohnt sich der Kauf dieser durchweg von exzellentem Handwerk geprägten Komposition, was natürlich bei einem Könner wie Waxman und sowieso in der Spätphase seiner Karriere schon fast als Selbstverständlichkeit anzusehen ist. Waxman beläßt es nicht beim heroischen Hauptthema oder beim sich in späteren Tracks (vor allem in «Paul Finds Katje» und «At the Beach») einfindenden ausdrucksvollen Liebesthema, sondern scheut sich nicht vor schroffen Dissonanzen, düsteren Klangballungen und wilden Fugati der Streicher und Bläser wie in «Lightning,» die meilenweit entfernt sind von jedweden Hollywood-Wohlklängen der 50er Jahre und mit ihren polytonalen Schichtungen schon in den Bereich moderner Konzertmusik vorstoßen, wodurch dem Hörer einiges an konzentrierter Aufmerksamkeit abverlangt wird.
Es zeigt sich also auch in diesem Abenteuerscore wieder, daß Waxman unter Hollywoods Komponisten der ersten Stunde wohl einer der am fortschrittlichsten Denkenden und stets bereit war, Türen zu experimentellen neuen Klangwelten aufzustoßen. Gleichzeitig muß jedoch angemerkt werden, daß Waxman selbst in den Tracks mit agressiven Orchesterattacken darauf bedacht ist, absolute Formstrenge zu bewahren, indem er seine Themen und Motive wie Figuren auf einem Schachbrett behandelt, sie miteinander verzahnt, leicht verschiebt oder mit großem technischen Aplomb auseinander hervortreten läßt. Ganz im Gegensatz zu vielen heutigen Action-Filmmusiken, die in schierer Formlosigkeit ersticken. Ein schönes Beispiel hierfür ist etwa die lange Montage-Sequenz «By the River», in der Waxman drei der wichtigsten Themen (das für die afrikanische Landschaft Hoffen Valley stehende Thema, das Haupt- und Liebesthema) vermittels kleiner Brücken organisch miteinander verknüpft und dabei je nach Bedarf volles Orchester oder eine ganze Reihe von Soloinstrumenten der Holzbläsersektion aufmarschieren läßt.
Dabei arbeitet Waxman nicht unbedingt mit speziellen Personen zugeordneten Leitmotiven, sondern erzeugt eher musikalische Stimmungsbilder, die bestimmte Szenerien, Gefühle und Aktionen illustrieren. Eines der mitreißendsten Beispiele hierfür dürfte die furiose Schlachtmusik in «The Commandos» sein, in der wuchtiges Blech, kreischende Holzbläser und wirbelnde Pauken eine noch durch rhythmische Synkopen verstärkte martialische Version des Hauptmotivs zu Gehör bringen, die den berühmten «Ride to Dubno» aus Waxmans Eposmusik TARAS BULBA (1962) bereits vorausahnen läßt. Insgesamt handelt es sich bei UNTAMED um eine erstklassige expressive und energiegeladene sinfonische Abenteuermusik, die aber nicht nur zum Schwelgen in Melodien sich eignet, sondern auch einen herberen Klängen aufgeschlossenen Hörer erfordert.
Das Booklet ist selbstredend wie gewohnt bei FSM toll aufgemacht und enthält interessante Details zum Film und zum Score. Zudem klingen die Stereo-Masterbänder trotz ihres Alters noch hervorragend, so daß auch da keine größeren Abstriche zu machen sind. Selbst für einen etwas unnötigen Bonus-Track am Ende der CD hat es noch gereicht – ein Probenmitschnitt, bei dem die afrikanische Shaker-Trommel zum Endlos-Einsatz kommen darf.
Stefan | 2001
UNTAMED
Franz Waxman
Film Score Monthly
65:42 | 23 Tracks