Review aus The Film Music Journal No. 19, 1999
Gleich rein in den zweiten Track, das Vorspiel zu THE UNINVITED hören, seit vielen, vielen Jahren auf die Tischplatte dreschend gefordert. Na ja, so richtig froh wird man beim ersten Mal noch nicht, fragt sich vielmehr, warum der Take nicht wiederholt wurde, da der Pianist seinen Einsatz doch völlig verbockt und das Orchester gleich einen Moment lang aus dem Tritt gebracht hat. Nach einem Seufzer wird die Repeattaste gedrückt, und dann endlich versprüht die Musik als solche ihren eminenten Charme in prächtigstem Stereosound, fünfundfünfzig Jahre nach ihrer Entstehung erstmals auf Tonträgern festgehalten. Ein sinnliches Fest! Sollte man jemandem den Inbegriff der großen Hollywood-Studioära anhand eines Filmmusikstücks zeigen: abgesehen von Steiners GONE WITH THE WIND und dem ein oder anderen Korngold-Track gibt es nichts Passenderes als diese (be)rauschende Titelmusik, im späteren Verlauf des Scores auch als Song «Stella by Starlight» zu Ehren gekommen und seit den vierziger Jahren x-fach als Sheet Music vermarktet.
Zwar bietet die erste Jahrhunderthälfte in Sachen Gruselfilm vom mehrfach verfilmten DR. JEKYLL & MR. HYDE bis hin zu DEAD OF NIGHT und den Val Lewton-Kostbarkeiten eine Armada von epochalen und trashigen Beiträgen an, doch erstaunlicherweise finden sich kaum ernsthafte Geisterstories darunter, die ihren Spuk nicht am Ende doch noch in einer realistischen Quelle Erklärung finden lassen – ein unliebsames Überbleibsel des britischen Schauerromans vom Ende des 18. Jahrhunderts. THE UNINVITED (1944), ausgerechnet vom nicht gerade auf Horror geeichten Studio Paramount Pictures herausgebracht, leistet sich einen richtigen Geist, oder vielmehr deren gleich zwei, Gut und Böse somit auch im Übernatürlichen zur Balance kommen lassend. Von heutigem Gruselstand ist THE UNINVITED allerdings weit entfernt, geht es hier doch erst einmal gemächlich zur Sache, ehe sich die Spannung nach und nach steigert.
Die ersten Kritiken zur CD, wie heute üblich zwei Tage nach Erscheinen von den Rezi-Sprintern ins Internet gehievt, zeigten sich baß erstaunt ob der Tatsache, daß der vor allem als unfehlbar kreativer Melodiker ohne Kanten und Ecken in die Filmmusikschublade gewanderte Victor Young die Schlüsselszenen des Films durchaus nicht mit biederen Septakkorden, sondern harmonisch freizügig adaptiert hat. «The Sobbing Ghost» und auch das Finale werden in ganz schön krasse Dissonanzen gekleidet, wie man sie von Young, der sonst meist Melodramen, Western und Komödien vertonte, kaum je zu hören bekommen hat. Am ehesten übrigens in einem weiteren hier berücksichtigten Score namens BRIGHT LEAF (1950), der mit 26 Minuten umfangreichsten Suite dieses Young-Samplers, wie THE UNINVITED von John Morgan, dem Unermüdlichen, penibel rekonstruiert.
Wieviel er zu tun hatte, ersieht man aus dem beigefügten Faksimile des UNINVITED-Preludes, das als Short Score erhalten geblieben ist und von Morgan zur Dirigierpartitur aufgerüstet wurde. Es wird ohne weiteres deutlich, daß die drei Systeme des Short Score ohne den hinzugezogenen Originalton des Films nimmer ausgereicht hätten, um die Instrumentation wiederherzustellen. Im Grunde darf man auch gar nicht von einer Re-Konstruktion sprechen, denn eine textgetreue Wieder-Herstellung entzieht sich aufgrund der bisweilen nicht deutlich durchdringenden Monospur des Films dem Zugriff, zumal bestimmte Cues im Film überhaupt nicht verwendet wurden und also ganz neu zu orchestrieren waren. Doch wie auch schon bei den vorhergehenden Marco Polo-Editionen ist über die Pionierarbeit hinaus optimales Teamwork geleistet worden: die Moskauer Symphoniker spielen zumeist hervorragend, das dreißigseitige (!) reich bebilderte Booklet stammt erneut von Bill Whitaker, der allerhand Hintergrundinfos zum Besten gibt und im Unterschied zu einem Tony Thomas wirklich auf die Musik eingeht. Bleibt noch der Hinweis, daß mit dem Marsch aus THE GREATEST SHOW ON EARTH sowie einer guten Viertelstunde aus dem Zeichentrickfilm GULLIVER’S TRAVEL – man vergleiche Youngs hochromantischen Stil mit Bernard Herrmanns historisierendem Ansatz – das ohnehin reichhaltige Programm auf fast 70 Minuten aufgestockt wird. GULLIVER frönt allerdings dem 1939 noch nicht so überfrequentierten Mickey Mousing im Übermaß und fordert die zugehörigen Bilder ein, um wirklich seine Funktion zu erfüllen.
Es war lange überfällig, das Namensschild Victor Youngs gründlich aufzupolieren. Vielleicht folgt irgendwann ein zweites Volumen? Vor wenigen Jahren fand man im Musikarchiv der Paramount kistenweise Überbleibsel der verflossenen Jahrzehnte, zum Teil in nassen Kellern aneinandergepappt und nun nach peniblen Papier-Doktoren rufend. Bei den Aufräumarbeiten half freiwillig auch ein Mann, der zwar kein direkter Verwandter Victor Youngs ist, sich im Geiste jedoch dem 1956 als erstem großen Hollywood-Tondichter gestorbenen Namensvetter nahe fühlt und dessen Werke schätzt. Sein Name: Christopher Young.
Matthias | 1999
THE UNINVITED & various
Victor Young
Marco Polo
69:31 | 22 Tracks