Review aus The Film Music Journal No. 22/23, 2000
Unter dem Mantel des Schweigens hat vieles Platz – so auch das Gros der deutschen Filmmusik. Sicher, die leichtgebauten Soundtracks von Peter Thomas und Martin Böttcher sind mittlerweile zugänglich, und die UFA-Stars der dreißiger Jahre schmettern ihre Lieder auf etlichen Samplern. Doch was wurde eigentlich aus der großen Orchestertradition à la Wagner, Mahler und Strauss? Komplett ins Exil abgewandert? Ganz so einfach steht die Sache nicht, denn im Fernsehen bekommen wir einen verengten Ausschnitt des NS-Filmschaffens präsentiert, Komödien vor allem, und Rührstücke aller Art. Ernste Filmmusik gab es zwar reichlich, doch unterstützte sie im wesentlichen die Hetz- und Durchhaltefilme der Goebbels’schen Propagandamaschine. Norbert Schuttres in schweren musikalischen Gewässern segelnde Untermalung zu Kolberg oder Herbert Windts spektakuläre Riefenstahl-Musiken ergäben durchaus tragfähige CDs. Um sie genießen zu können, müßte man freilich ihren düsteren Gehalt wegblenden. Da die Tonspuren allerdings verschollen oder vernichtet sind, erledigt sich das Problem von selbst.
Nach dem 2. Weltkrieg regierten die Tümmer-Filme – bis 1950 die Heimatwelle zu fluten begann. Zehn Jahre lang pirschten Förster und Wilderer in Agfacolor durch die Lüneburger Heide oder zählten die Alpenveilchen. Dann war das Kinovolk die Heidschnucken leid, reiste selbst nach Rimini und wollte im Kino die Welt sehen. Also brach 1959/60 ein Produktionsteam nach Norwegen auf, um die Außenszenen der Veerfilmung von Trygve Gulbranssons Familiensaga UND EWIG SINGEN DIE WÄLDER samt Sequel DAS ERBE VON BJÖRNDAL zu realisieren. Deren erzkonservatives Welt- und Menschenbild stach zwar nicht von demjenigen anderer Heimatfilme ab, doch wirkten die inszenierten Konflikte dank Gert Fröbes launischer Darstellung einigermaßen authentisch. Zumindest der erstgenannte Streifen gehört zu den an einer Hand abzählbaren Heimatfilmen, die sich heute noch ohne Grausen ansehen lassen -und nun sogar anhören!
Dem in Grünwald bei München lebenden Komponisten Rolf Wilhelm (DIE NIBELUNGEN, DAS SCHLANGENEI, PAPA ANTE PORTAS u.a.) gelang es hervorragend, die im Film bisweilen etwas protzig fotografierten Naturszenerien mit den Familientragödien zu verbinden und so zwei mustergültige Filmpartituren zusammenzustellen, die ihresgleichen im deutschen Nachkriegsfilm nicht haben. Besonderer Dank gebührt daher der kleinen Essener Firma Cobra Records, die eine prall gefüllte CD mit 74 Minuten Musik vorgelegt hat. Glücklicherweise befanden sich die Originalbänder in recht gutem Zustand – wodurch allerdings nicht nur die Musik selbst transparent wird, sondern auch das nicht immer intonationssaubere Spiel der Wiener Symphoniker.
Was hebt nun Rolf Wilhelms „norwegische» Scores aus der Masse der bundesdeutschen Filmmusik heraus? Da muß erstens die über jeden Zweifel erhabene handwerkliche Qualität genannt werden. Wilhelms klassische Ausbildung wird sofort spürbar: die an gegenwärtiger Filmmusik so oft bemängelten kompositionstechnischen Löcher gibt es bei ihm nicht. Zwar konnte er bei Bedarf auch die Musiksprache des mittleren 20. Jahrhunderts einbringen, stützte sich aber im Kern auf die musikdramatische Tradition Richard Wagners und die orchestralen Weiterentwicklungen Richard Strauss›, der damals ja erst zehn Jahre tot war. Zumal die Alpensymphonie klingt mit ihren farbigen Stimmungsbildern immer wieder nach. Das Erbe Wagners teilte sich Wilhelm mit seinen Hollywoodkollegen auch dahingehend, daß er ein Netz von Leitmotiven spannte. Dabei vemied er in den meisten Fällen Max Steiners Kardinalfehler, bei jedem Erscheinen einer Figur deren Motiv „abzurufen». Lediglich die Figur des geistig behinderten Lorenz in DAS ERBE VON BJÖRNDAL hat Wilhelm zu oft mit einer etwas penetranten Flötenmelodie begleitet.
Es gibt aber kein festgezurrtes Dag- oder Toremotiv, keinen ständig repetierten Einfall für Borgland oder den Björndaler Hof. Wilhelm greift eher bestimmte Zustände, Ideen und Besitzstände auf, weshalb er seine musikalischen Lotsen viel variabler einsetzen kann als mancher amerikanische Kollege. Neben dem Handwerk besticht vor allem die Einfühlsamkeit. Es ist kaum anzunehmen, daß er den Edelkitsch und die überholten Wertvorstellungen der Filme guthieß; doch vermied er es, sich darüber lustig zu machen. Wer also manchen schwerblütigen Wagner- oder Grieg-Anklang als musikalischen Repräsentanten einer ironischen Haltung des Komponisten (Subversion durch Übertreibung) auffassen wollte, bekäme keine eindeutige Antwort auf seine Spekulation. Neben den mal in Dur, mal in Moll eingesetzten Hauptthemen steuert Wilhelm situationsabhängige Einfälle bei, illustriert die Jahreszeitenempfindungen, transportiert die kraftvollen Holzfällerszenen und findet den richtigen Ton für die „Achterbahn der Gefühle».
Die Naturbilder müssen ihn geradezu um eine musikalische Begleitung angefleht haben, zumal dann, wenn sie -wie Track 49 – auch noch eine dramaturgische Aufgabe bewältigen sollen, etwa zwischen zwei Episoden zu vermitteln. Wilhelm bügelte hier so manchen Drehbuchhänger aus (vgl. auch die Rubrik „Einzelstück» in diesem Heft) Die meisten der 58 Tracks dauern weniger als anderthalb Minuten. Ein manches Mal ist man gerade völlig fasziniert von einer formalen Entwicklung oder orchestralen Farbwirkung, da kommt das betreffende Stück jäh zum Stillstand. Gerade weil Wilhelms Stil stark von Wagner und Strauss geprägt ist, rechnet ein entsprechend „konditionierter» Hörer mit ausgedehnten Episoden, zumal etliche Cues so anheben, als wollten sie weit und hoch hinaus. Vielleicht wird dieser einzige Mangel des Albums manchen Hörer stören, aber das ist nun mal das Hauptproblem einer Filmmusik-CD, die auf fragwürdige Bündelungen kurzer Tracks zur Mini-Suite verzichtet.
Vielleicht wäre es möglich gewesen, die Prologe als Bonus anzufügen, mit erhabenem Pathos rezitiert vom Wiener Burgschauspieler Albin Skoda. Und ausführlichere Informationen zur Musik fehlen zugunsten eines reich bebilderten Booklets, dessen Coverabbildung allerdings in höchstem Maße 62 inadäquat ist und die Hauptfiguren kaum erkennen läßt. Ansonsten macht sich schon jetrt reine Vorfreude auf die nächsten Wilhelm-Alben des Hauses Cobra Records breit, denn während wir auf eine Wiederveröffentlichung seiner VIA MALA-Musik noch warten müssen, sind der dramatische Score RUF DER WILDGÄNSE, die Militärtrilogie 08/15 und eine Doppel-CD (I) des Klassikers DIE NIBELUNGEN angekündigt. Mit der vorliegenden Edition aber hat das Essener Unternehmen die großartigste deutsche Filmkomposition ihrer Zeit auf den Markt gebracht. Da kann es nichts anderes geben als Höchstbewertungen für kompositorische Qualität und Repertoirewert.
Matthias | 2000
UND EWIG SINGEN DIE WÄLDER / DAS ERBE VON BJÖRNDAL
Rolf Wilhelm
Cobra Records
74:00 | 58 Tracks