The Thief of Bagdad

Die 1940er-Version von The Thief of Bagdad ist ein Klassiker des Fantasy-Genres, der bis heute wenig von seinem Zauber eingebüsst hat und Generationen von Filmemachern inspirierte. Ray Harryhausen auf jeden Fall, George Lucas und Steven Spielberg für das ein oder andere bei Indiana Jones möglicherweise. Absolut bewundernswert sind die Ausstattung ‒ insbesondere die Interieurs der orientalischen Paläste ‒ und Conrad Veidt als Grosswesir mit magischen Kräften; eine Figur, die allzu leicht hätte überzeichnet werden können, vom Deutschen aber mit einer Tiefe ausgestattet wurde, die man bei solchen Schurkenrollen selten findet.

Will man aber die eine, perfekte Komponente des Filmes herauspicken, dann ist es die farbenprächtige, vor Kreativität sprühende und mit allerlei Einflüssen aus westlichen und östlichen Hemisphären versehene Musik, der erste bedeutende Score des Miklós Rózsa. Das wusste man bereits lange vor dieser ersten, kompletten Einspielung und weiss es jetzt erst recht. Wobei «komplett» schon beinahe ein Etikettenschwindel ist, «überkomplett» käme der Sache näher. Denn Produzent James Fitzpatrick und Arrangeur Leigh Phillips orientierten sich bei der Rekonstruktion nicht in erster Linie an der Filmeinspielung, sondern an der vom Komponisten erstellten Partitur, die in der Syracuse University archiviert ist. Die Liebe zum Detail ging dabei so weit, dass sich Rebecca Devereux unkompletter und fehlender Songtexte annahm und diese ergänzte. So sind hier nun nicht nur erstmals jene Lieder zu hören, die schliesslich der Schere zum Opfer fielen, sondern auch ein paar Happen unbenutzten Underscorings oder ursprünglich vorgesehene, im Film dann aber weggelassene Chor-Begleitungen.

Die Frage, ob The Thief of Bagdad auch in seiner recht langen, kompletten Form als durchgehendes Hörerlebnis funktioniert, ist, wie bei Rózsa nicht unüblich, mit einem klaren Ja zu beantworten; von dieser vielfältigen, verspielten und zauberhaften Musik kann man fast nicht genug kriegen. Denn der Funken der jugendlichen Begeisterung, den der damals 33-jährige Komponist entfacht, überträgt sich sogleich auf den Hörer und glüht bis zum Schluss und vielleicht sogar noch darüber hinaus. All die trefflichen Themen für die Hauptfiguren verlieren dank des Gestaltungsreichtums nie ihren Reiz. Sphärische Chöre und fliegende Objekte wie mechanisches Pferd, Djinn und Teppich ziehen in ihren Bann, heimtückisches Spielzeug, dramatische Akzente wie ein Sturm auf hoher See oder der Kampf gegen eine Riesenspinne, königliche und martialische Fanfaren (ein Warmlaufen für seine späteren Monumentalfilme) und hingebungsvolle Romantik tragen dank Rózsas imaginativen Inszenierungen das Ihrige dazu bei, dass kaum Überdruss aufkommt.

Es gibt nun also mehr vom unbekümmerten, spitzbübischen I want to be a Sailor,dem Thema für Abu, mehr vom eher verträumten als maskulinen Thema für Ahmad (was indes nicht verkehrt ist, denn der Prinz ist alles andere als der geborene Held), mehr vom lebhaften, orientalischen Thema für die Marktszenen, mehr vom machtvollen Thema für das Schiff des Grosswesirs. Zuweilen mehr von Stücken, die bislang nicht in ihrer Gänze veröffentlicht wurden, wie die Horsemen’s Fanfare oder das entzückende Miniature Acrobats innerhalb der The Sultan’s Toys-Sequenz. Und es gibt weitere orientalische Themen, die für keine der früheren Einspielungen berücksichtigt wurden, obwohl sie zumindest zu Beginn keine ganz unwichtige Rolle spielen: das eine erklingt erstmals in Bagdad Harbour, das andere, eine Art Serenade, in Ahmad telling his Story.

Von was es nicht unbedingt mehr gebraucht hätte, ist das mickey mousing, das ebenfalls vorhanden ist, auch wenn es Rózsa damit keineswegs übertreibt. Wenn es bei Verfolgungsjagden treppauf und -ab geht, vollzieht das Xylophon entsprechende Bewegungen, und wenn Abu mit jemandem seine Spässe treibt ‒ nachgerade mit dem Djinn ‒ wird dies von humorvollen Holzbläsern und gestopften Trompeten quittiert, die Gelächter imitieren. Da letztere hier aber weniger penetrant klingen als im Original, wollte man wohl Gnade vor Recht walten lassen. Eine kluge Entscheidung.

The Thief of Bagdad wurde zunächst als ein Art Musical konzipiert, die Idee wurde dann jedoch fallen gelassen und es verblieben nur drei, nicht allzu lange Lieder im Film. Auch die nicht verwendeten Songs sind recht kurze Angelegenheiten. Das pfiffige The Thief’s Song ist ebenso eingänglich wie I want to be a Sailor und auch sonst dessen Bruder im Geiste. Waltz Song ist das weitaus Unpassendste des gesamten Scores; ein Stück, das einer Operette oder einem deutschen Revuefilm aus der Zeit entsprungen sein könnte und aufzeigt, was uns wohl geblüht hätte, wenn der ursprünglich als Komponist vorgesehene Oscar Straus nicht ersetzt worden wäre. Die sehnsuchtsvolle Ballad hingegen hätte durchaus gerne noch ein, zwei Minütchen mehr vertragen. Von seinem Charakter her am musical-typischsten ist The Djinn’s Song.

Und nun noch zu einem Kleinod, die es unbedingt wert war, ausgegraben zu werden, auch wenn es nicht so ganz zum Grundtenor des Scores passt: The Market. Dieses fast neunminütige Stück, das so etwas wie eine eigene kleine Geschichte innerhalb der Geschichte erzählt, schrieb Rózsa vorab, und das zu filmende Geschehen auf dem Markt in Bagdad mit Abu im Mittelpunkt sollte mit der Musik synchronisiert werden. Dies endete jedoch im totalen Fiasko, und so wurde uns etwas vom Ungewöhnlichsten vorenthalten, was der Komponist je zu Papier brachte. Orchester, gemischter Chor, Kinderchor und Abu als Erzähler bestreiten zusammen eine mitreissende Musical-Nummer und durchlaufen viele Tempo-, Rhythmus- und Stimmungswechsel sowie zahlreiche Variationen von Abu’s Thema. Als Stand-Alone-Piece betrachtet ist das eine ganz tolle Sache.

Man mag sich fragen, ob es richtig war, die unbenutzten Songs in den Score zu integrieren. Man kann ja aber rausprogrammieren, was einem nicht passt, oder die Lieder durch deren Instrumentalversionen, die sich im Bonusteil befinden, ersetzen. Das Prunkstück dort ist natürlich das rein orchestrale The Market, das auch als Konzertstück eine äusserst gute Falle machen würde. Interessant sind auch zwei alternative, sehr unterschiedliche Versionen von The Flying Horse. Fast schon traditionsgemäss darf zum Schluss Konzertmeisterin Lucie Svehlova ran, diesmal mit einem neuen Arrangement des Liebes-/Prinzessinnen-Themas.

Einmal mehr erweisen sich die Prager und sonstigen Beteiligten als ausgezeichnete Rózsa-Sachverwalter, denn sowohl dem (gegenüber dem Original vergrösserten) Orchester als auch den Chören darf ein dickes Lob für ihre Leistung ausgesprochen werden. Was die Solisten betrifft, ist zumindest Nik Stoter als Abu besser besetzt als der vielkritisierte Powell Jones bei Bernstein, die anderen sind wohl Geschmacksache. Aber mit diesem höchstens marginal zu bewertenden Bereich steht und fällt das Gesamturteil sowieso nicht; da die Musik vom Allerfeinsten ist und sowohl Interpretation wie auch Klang die Höchstnote verdienen, steht diesbezüglich schnell fest: The Thief of Bagdad ist ein heisser Kandidat für die beste Filmmusik-Veröffentlichung des Jahres 2016.

Andi, 20.12.2016

 

THE THIEF OF BAGDAD

Miklós Rózsa

Prometheus Records XPCD 179

CD 1: 77:47 Min. / 24 Tracks
CD 2: 76:35 Min. / 25 Tracks