The Greatest Story Ever Told (Boot.)

Review aus The Film Music Journal No. 13/14, 1998

Das Jahr 1998 beginnt in filmmusikalischer Hinsicht mit einer sensationellen Veröffentlichung, deren Bedeutung kaum zu überschätzen ist. Die etablierten Soundtrack-Firmen müssen sich wieder einmal fragen lassen, weshalb sie denn nicht alles daran gesetzt haben, um eine so großartige Komposition herauszubringen. Es ist lange her, daß man sich Auszüge aus Newmans THE GREATEST STORY EVER TOLDS beschaffen konnte. Das Schicksal jener Partitur ist oft beschrieben worden: Regisseur George Stevens ersetzte erhebliche Teile der Musik Newmans durch andere Werke, meist mit wenig Verstand. Hört man nun die um zahlreiche Outtakes und eliminierte Stücke bereicherte Doppel-CD (die man übrigens für den Preis zweier Varèse-CDs bekommt), so fragt man sich, wie jemand die Entscheidung gegen diesen Score treffen konnte.

Der Film selbst ist ein trotz nachträglicher Schnitte von anfangs 260 Minuten auf letztlich gut drei Stunden zu langes Mythenspektakel über Leben und Sterben Jesu von Nazareth. Hauptdarsteller Max von Sydow hat das breiteste Repertoire aller Kollegen vorzuweisen: Nachdem er in Ingmar Bergmans DET SJUNDE INSEGLET (1956) ein Schachspiel gegen den personifizierten Tod verlieren durfte, um 1993 auf die Nachtseite überzuwechseln und in NEEDFUL THINGS einen wunderbaren Teufel abzugeben, sah man ihn zwischendurch in THE GREATEST STORY EVER TOLDS (1965) als Christus!

Epische Filme benötigen dieses superbreite Bild und eine erstrangige Musikbegleitung, um einigermaßen zu funktionieren. Newman hatte bereits in THE ROBE eine sehr gelungene Filmmusik eingebracht; das Spätwerk nun rangiert, so muß man in Kenntnis der überwiegend gut klingenden Stereo-Doppel-CD sagen, mindestens an gleicher Stelle, besitzt aber eine Wärme und Angemessenheit der Instrumentierung, wie ich sie selbst bei Newman sonst nirgends finden kann. Es bleibt Geschmackssache, ob man seinen Stil mag, aber wer gegenüber dem todtraurigen Melos etwa des Stücks «Lazarus questions Jesus» gleichgültig bleibt, muß schon an durchgreifender Gefühlsverarmung leiden.

Newmans Musik enthält sich über weite Strecken pathetischer Chöre, Aufmärsche oder Fanfaren, besteht in seinem Kern aus einem lyrischen Holzbläsertonsatz, der von emphatischen Streicherkantilenen eingerahmt wird. Zwischendurch gibt es immer wieder Reminiszenzen an frühere Werke: THE ROBE natürlich, aber das überrascht weniger als die charakterliche Umarbeitung des ehemaligen Westernvorspanns aus THE GUNFIGHTER: 1950 noch ein aggressiver Ritt, wird das Thema nun in viel langsamerem Tempo renoviert, weshalb man auch eine Weile braucht, um den Groschen klingeln zu hören und die Herkunft des «irgendwie bekannt vorkommenden» Gedankens auszumachen. Dann wieder lauscht man fasziniert der Kombination von ruhigen Chorvokalisen, hinter denen eine einzige ferne Trompete sich aussingt.

Seltsam nahe an Dimitri Tiomkins Hauptthema zu FALL OF THE ROMAN EMPIRE, ein Jahr zuvor veröffentlicht, liegen die beiden Stücke Nr. 7 und 8: ersteres enthält den kleinen Terzfall des Chors, letzteres (etwas versteckt) Tiomkins direkte Fortführung des Themenkopfes. Eine kleine Hommage an den Kollegen?

Mehr als eindreiviertelstunden Filmmusik ziehen vorüber, ehe der Player verstummt. Verwundert taucht man schließlich wieder auf und meldet sich in der profanen Welt zurück. Aber nicht für lange!

1998 veröffentlichte Ryko eine offizielle Version. 2004 erschien im Varèse Sarabande Club ein wundervolles 3 CD Set mit diesem prachtvollen Alfred Newman Score.

Matthias  |  1998

THE GREATEST STORY EVER TOLDS
Alfred Newman
Centurion
2 CD | 109:22 | 38 Tracks