The Film Music of Gerard Schurmann

Gerard Schurmann. Den mittlerweile bald 96-jährigen, auf Java geborenen Komponisten holländischer Abstammung kennt man erstaunlicherweise eher als Orchestrator epischer Scores wie THE VIKINGS, EXODUS oder LAURENCE OF ARABIA als durch seine eigenen Filmmusiken. Die sind ‒ gemessen an seiner rund 50-jährigen Tätigkeit auf diesem Gebiet ‒ anzahlmässig eher bescheiden, und die dazugehörigen Filme zeichnen sich praktisch alle durch einen nicht allzu hohen Bekanntheitsgrad aus.

So sind denn Schurmann-Veröffentlichungen auch verhältnismässig rar. Nebst einer 1993 von Cloude Nine Records produzierten Kompilation findet sich Schurmanns Name dank HORRORS OF THE BLACK MUSEUM auf dem ein oder anderen Horror-Sampler wieder; eigene Veröffentlichungen seiner Scores erfuhren lediglich THE LOST CONTINENT, CLARETTA und THE GAMBLER, wobei es sich bei den beiden letztgenannten auch um Schurmanns bislang (und wohl endgültig) letzte Filmmusiken handelt.

Diese neue CD aus der Chandos-Movies-Reihe mit der bewährten Zusammenarbeit von Rumon Gamba und der BBC-Philharmonic belegt einmal mehr auf beste Weise, dass die Qualität einer Musik nichts mit der Bekanntheit oder den Produktionskosten des dazugehörigen Films zu tun hat, und es ist nur zu hoffen, dass genügend Sammler dies auch so sehen, damit sich die Sache für Chandos lohnt. Denn THE FILM MUSIC OF GERARD SCHURMANN verdient es unbedingt, gehört zu werden.

Das Programm wird mit einer rund 21-minütigen Suite zur Disney-Produktion DR. SYN, ALIAS THE SCARECROW (1963) eröffnet. Ein maskierter, als «The Scarecrow» bekannter Reiter rebelliert in Südengland gegen Georg lll. Schurmann liefert dazu turbulente Abenteuer-Action, gerne mit fanfare-artigen Blechbläsern garniert, und bietet mit ruhigen, geheimnisvollen oder feierlichen Klängen genügend Abwechslung, um des Hörers Aufmerksamkeit aufrecht zu halten.

Es folgen zwei Stücke aus dem KING KONG-Ableger KONGA (1961). Verspielt geht es los mit «Little Ape at Play», während «A Sad Conclusion» ‒ man kann es ahnen ‒ eher gegenpolige Gefühle erweckt. CLARETTA (1984) erzählt von den letzten Tagen Benito Mussolinis und seiner Geliebten, eben Claretta. Schurmanns vornehmlich von Streichern und Holzbläsern vorgetragene und teils an Wagner angelehnte Musik ist sehr trübsinnig, lediglich ein Walzer verströmt ein wenig Lebensfreude, und auch «End Titles» hellt die Stimmung merklich auf.

Mit THE CEREMONY (1963) folgt ein Höhepunkt dieser Sammlung. In diesem mit Laurence Harvey als Hauptdarsteller, Regisseur und Produzent in Personalunion wirkenden Drama schmort ein Bankräuber in einem marokkanischen Gefängnis, sein Bruder will ihm zum Ausbruch verhelfen. Äusserst stimmig verwebt Schurmann hier spanische und orientalische Klänge miteinander, Blockflöten und indische Flöte setzen wirkungsvolle Akzente. Ein wenig sanfter Humor fehlt ebenso wenig wie zünftige Dramatik und Action, die diese vortreffliche Suite abschliessen.

Nach einem kurzen, lebhaften Stück aus THE LONG ARM (1956) folgen Auszüge aus HORRORS OF THE BLACK MUSEUM (1959). «Main Titles» wird standesgemäss und dem Genre verpflichtet eröffnet, während «London Traffic» das bunte Treiben auf den Strassen der Metropole trefflich wiedergibt. «Gruesome Murders» kehrt dann wieder in den zu erwartenden Horror-Klangmodus zurück.

Schurmanns Musik für THE GAMBLER (1997) ‒ nach Dostojewskis gleichnamigem Roman ‒ wurde teilweise ersetzt; kaum überraschend, bedenkt man die Entstehungszeit, in der ein Filmkomponist alter Schule nicht mehr sonderlich gefragt war. Denn selbstverständlich handelt es sich auch hier um ein traditionelles Orchesterwerk. In der russisch angehauchten Musik geben Streicher und Holzbläser den Ton an, und die vorherrschende, melancholische Romantik verfällt schon mal in den Dreiviertel-Takt. Hervorstechend bestimmt «Carriage Ride and Sunrise», wo Xylophon, Marimba und Vibraphon impressionistisch den erwachenden Tag beschreiben.

ATTACK ON THE IRON COAST (1967) dürfte wegen mehrerer Einspielungen insbesondere des «Preludes» zu den bekanntesten Stücken Schurmanns gehören und eignet sich dank seiner Aufmerksamkeit erregenden, martialischen Dramatik ganz gut als Schlusspunkt dieses Programmes. Und da der Komponist nochmals ein wenig an der Orchestration gefeilt hat, haben wir es hier mit einer etwas anderen Version als den bislang bekannten zu tun.

Der Begleittext dieser CD findet sich ‒ im Gegensatz zu früher bei Chandos ‒ nur noch in Englisch, ist dafür aber recht ausführlich ausgefallen. Zwischen den Zeilen von Carolyn Nott finden sich immer wieder Zitate vom viel zu früh verstorbenen David Wishart (ein grosser Schurmann-Bewunderer, dem oben genannter Cloud-Nine-Sampler zu verdanken ist), und es ist auch zu lesen, dass es vielleicht ein Volume 2 von Schurmanns Filmmusik geben wird. Da sollte aber möglichst nicht lange zugewartet werden, damit der Komponist ‒ wie bei diesem Album ‒ noch selber an der Zusammenstellung mitwirken kann. In erster Linie aber wünschen wir Gerard Schurmann ‒ einem der letzten noch lebenden Filmkomponisten seiner Generation ‒ noch viele schöne Jahre bei guter Gesundheit.

Andi, 6.9.2019

THE FILM MUSIC OF GERARD SCHURMANN

Chandos Chan 10979

78:25 Min.
29 Tracks