The Spirit of St. Louis

Was tun, wenn man seine Lieblings-Filmmusik vorstellen soll, dies aber bereits getan hat? Nur so zur Info, bei mir sind das Miklós Rózsas Ben Hur und El Cid, die ‒ je nach Tagesstimmung ‒ dafür in Frage kommen, und von beiden existieren bereits Rezensionen von mir. Jetzt erneut darüber zu schreiben, wäre sowohl für Leser als auch Verfasser ein wenig langweilig. Auch einige andere meiner Favoriten habe ich schon behandelt, aber es gibt zum Glück trotzdem noch so einiges, das sich anbietet, wie beispielsweise The Spirit of St. Louis, ein Meilenstein eines von mir hochgeschätzten Komponisten. Um diesen Score soll es hier also gehen.

Als eher atypischer Billy-Wilder-Film von 1957, zeichnet The Spirit of St. Louismit eindrücklichen Bildern Charles Lindberghs ersten Nonstop-Alleinflug über den Atlantik (von New York nach Paris) im Jahre 1927 nach. Dass der damals 25-jährige Lindbergh vom fast doppelt so alten James Stewart (dessen erblondetes Haar im Sebastian-Vettel-Look zu Beginn ein wenig irritiert) verkörpert wird, vegisst man bald, wusste der Schauspieler als erfahrener Pilot, der im Zweiten Weltkrieg Bomber-Einsätze flog, doch ganz genau, wie er ein Flugzeug überzeugend zu bedienen hatte.

Auch wenn der geschichtsträchtige Flug, der die zweite Hälfte des Films füllt, immer wieder durch teilweise humorvolle Rückblenden und einer Fliege als blinder Passagier aufgelockert wird, lastet der grösste Teil im emotionalen Bereich auf Jimmy Stewarts Schultern, zumindest visuell. Akustisch greift ihm Franz Waxman unter die Arme, und beide meistern ihre Herausforderungen bravourös.

Waxmans Score gehört zu den ganz grossen Fliegerfilm-Musiken. Das ihm zur Verfügung gestellte Personal ist eindrücklich: nebst grossem Orchester sind eine massive Perkussion-Sektion, zwei Harfen, drei Pianos, ein Novachord und fünf Vokalistinnen im Einsatz. Trotzdem hält Waxman den Klang transparent, reduziert ihn manchmal gar auf eine einzelne, einsame Flöte mit sachter Begleitung.

Heldenhafte und patriotische Musik würde angesichts des Stoffes niemanden überraschen, aber gerade solches vermeidet Waxman, und auch wenn er sich im Wesentlichen einer recht sachlichen und herben Dramatik bedient und die Technik, die menschliche Willenskraft sowie die ebenso prächtige wie gefährliche Natur als Kernthemen im Auge hat, erschafft er gleichzeitig ein prächtiges Panoptikum an Stimmungen, die unter die Haut gehen.

Die Seele des Scores bilden die hervorragend gemachten Flugthemen, wo Streicher, Holzbläser und gerne auch mal Trompeten das Sagen haben, aber im Grunde genommen reiht Waxman Höhepunkt an Höhepunkt. Das metallene Building the Spirit, das so mitreissend die Konstruktion des Flugzeugs unterlegt, das klirrend-eisige St. John’s (vielleicht ein wenig von Vaughan-Williams› Scott of the Antarctic inspiriert), Rolling out mit seinem dumpfen, den nebelbehangenen Flughafen beschreibenden Beginn und stetiger Spannungssteigerung, das ebenso monotone wie alarmierende Asleep (mit geisterhaften Frauenstimmen), das landestypische Ireland, gleichzeitig Erlösung und den nahenden Triumph ankündigend, Barnstorming und The Old Jenny mit ihren zirkusartigen Klängen, das warme und vertrauensvolle Choralthema St. Christopher.

The Spirit of St. Louis ist ein Waxman der Extraklasse, ein in sich geschlossenes Hörerlebnis mit einer ganz speziellen Atmosphäre und unverkennbarem Personalstil. Die empfehlenswerteste, da die längste Laufzeit aufweisende Veröffentlichung ist die hier besprochene Varèse-CD. Einziger, kleiner Minuspunkt sind kurze Motorengeräusche, die ein paar Tracks beigefügt wurden. Das ist aber längst nicht so schlimm wie der Erzähler, der bei einigen anderen Veröffentlichungen mit drauf ist. Wer das nicht will, muss gut darauf achten, dass er keine böse Überraschung erlebt (von beidem gibt es diverse Versionen, darunter auch Neuaufnahmen).

Da es von diesem Score noch so rund eine Viertelstunde bis 20 Minuten bisher unveröffentlichtes Material gibt (das meiste davon meines Erachtens zu Rückblenden) und zudem noch einige Cues von Roy Webb, der bei Nachbearbeitungen für den nicht mehr verfügbaren Waxman einsprang, wäre eine Komplettveröffentlichung mehr als wünschenswert. Sollte das nicht möglich sein, dann doch bestimmt eine Wiederauflage dieses Programms. Da es aus dem Jahr 1988 stammt, läge zumindest eine zünftige Klangverbesserung drin, was jedoch nicht heissen soll, dass man sich die Varèse-CD nicht anhören kann, denn sie klingt ganz ordentlich. Aber optimieren lässt sich selbstverständlich immer alles.

Andi, 2015

 

THE SPIRIT OF ST. LOUIS

Franz Waxman

Varèse Sarabande VSD-5212

57:53 Min. / 17 Tracks

 

 

 

 

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