Silvio Buchmeier: Ein Interview

von Phil Blumenthal

Ein Schweizer in Los Angeles, das ist Silvio Buchmeier, der an Filmen wie OLD (2021) von M. Night Shyamalan für Trevor Gureckis und THIRTEEN LIVES (2022) von Ron Howard für Benjamin Wallfisch sowie für selbigen Komponisten bei MORTAL KOMBAT (2021) mitarbeitete. Ebenfalls stehen diverse, mit Preisen ausgezeichnete Kurzfilme zu Buche. 2020 schloss er mit einem Master’s Degree der New York University ab.

fmj: Erzähl uns doch wie Du überhaupt zur Musik und schliesslich Filmmusik gekommen bist…

Silvio Buchmeier: In meinen frühen Teenagerjahren begann ich mich ernsthaft und leidenschaftlich mit Musik zu beschäftigen. Saxophon wurde mein Instrument und das Fieber hat mich dank dem Jazz voll gepackt. Schnell wurde für mich klar, dass die Musik mein Lebensinhalt bedeuten wird. Musiker sind ehrlich gesagt ein bisschen wie ein Kult mit eigener Sprache und eigenem Lebensrhythmus. Offensichtlich hat es mich bis heute nicht losgelassen!

fmj: Wie kam es zu Deiner ersten Filmmusik?

Silvio Buchmeier: Während des Studiums begann ich mich mehr und mehr für elektronische Musik und Musikproduktion zu interessieren. Der Anstoss dazu war vor allem die Band Massive Attack. Die gehören bis heute zu meinen grossen Vorbildern. Mein alter Schulfreund Andreas Elsener war damals schon Vollblut-Filmschaffender. Eines Tages habe ich ihn vor mir aus gefragt, ob er mal Musik braucht für einen Film. 10 Jahre später haben wir nun unseren siebten Film zusammen gemacht!

fmj: Dann kam also der Sprung in die Staaten. War das nicht wie im Märchen?

Silvio Buchmeier: Es war vor allem viel Bürokratie, viel Unsicherheit und viel Arbeit. Dank eines Fulbright-Stipendiums konnte ich in New York studieren und habe danach den Sprung nach Los Angeles gemacht. Das war zu Beginn der Pandemie.

fmj: Viel Bürokratie heisst, dass man nicht einfach so am Zoll anstehen und sich als future film composer vorstellen kann, oder?

Silvio Buchmeier: Überhaupt nicht! Dank des Studiums hatte ich zum Glück die Möglichkeit mit dem gleichen Visum noch etwas Praxiserfahrung zu sammeln. Danach konnte ich mich mit meinen bisherigen Arbeiten und zukünftigen Projekten für ein Künstlervisum bewerben, welches ich dann tatsächlich bekommen habe. Lustigerweise muss ich mich aktuell bei der Einreise jeweils als „current film composer“ zu erkennen geben.

fmj: Und wie hast Du den Wechsel von der Ost- an die Westküste empfunden?

Silvio Buchmeier: Die Stimmung und Lebensweise ist zwischen NYC und LA total verschieden. Die Westküste ist geprägt von einer Entspanntheit und einer gewissen joie-de-vivre. In New York ist man dann wiederum viel zackiger unterwegs, alle befinden sich irgendwie auf der Überholepur. Ich mag mittlerweile den Lebensstil in LA besser, obwohl ich mich aus Europa kommend erst einmal an die Transportsituation gewöhnen musste!

fmj: Was war Deine Arbeit bei M Night Shyamalans OLD und wie muss man sich den Job eines «Assistant Orchestrators» vorstellen?

Silvio Buchmeier: Filmkomponist*innen arbeiten heutzutage vorzugsweise voll digital. Sie produzieren die Musik mit virtuellen Instrumenten damit die Regie eine gute Idee davon bekommt und Feedback geben kann. Bevor die Musik später von Musikern aufgenommen werden kann, muss sie orchestriert werden. Es bestehen zu diesem Punkt ja noch gar keine Noten! Als Assistant Orchestrator ist meine Aufgabe, diese virtuelle Version der Musik aufzubereiten, zu transkribieren und so weit notieren, dass der Orchestrator die detaillierten Dynamiken, Stimmaufteilungen und Artikulationen bestimmen kann. Dieselbe Arbeit habe ich zum Beispiel auch bei Ben Wallfischs Musik für THIRTEEN LIVES gemacht.

fmj: Inwiefern unterscheidet sich die Arbeitsweise von Dir bei verschiedenen Komponisten?

Silvio Buchmeier: Es gibt Komponist:innen die haben virtuell schon detailliert die Stimmaufteilungen gemacht und alles schon perfekt auf die Instrumente hin komponiert. Da gibt es eigentlich nicht mehr viel zu entscheiden beim Orchestrieren. Andere sind das komplette Gegenteil. Sie komponieren ihre Scores mit vorproduzierten Aufnahmen, die sie zum Teil auch digital noch weiter manipulieren. In diesem Falle transkribiere ich die ganze Musik neu und der Orchestrator hat kreativ eine viel grössere Aufgabe bezüglich der Umsetzung mit dem Orchester.

fmj: Gibt es ein Instrument, dass Du ganz besonders magst?

Silvio Buchmeier: Das Saxophon natürlich! Es ist extrem facettenreich und expressiv. Ich möchte es in Zukunft wo immer passend unbedingt mehr in meine eigenen Scores einbringen.

fmj: Welche würdest Du als Deine bisher beste Arbeit bezeichnen und wieso?

Silvio Buchmeier: Eben habe ich mit Andreas Elsener einen neuen Score fertiggestellt BOUNTY FOR BERNADETTE. Da gibt es einen sehr delikaten Cue, der einerseits einen extrem blutigen und grenzgängigen Moment begleitet, andererseits aber auch von einem traurigen Abschied erzählt. Diese delikate Abstraktion ist mir wie ich finde sehr gut gelungen. Das Orchester konnten wir in Skopje aufnehmen und es klingt dementsprechend sehr gut. Nick Fevola hat bei der Orchestrierung einen tollen Job gemacht!! Auf dem Album heisst der Track «Last Goodbyes».

fmj: Erzähl doch etwas über Dein aktuelles Projekt THE ROTTING OF CASEY CULPEPPER.

Silvio Buchmeier: Der Film ist ein Horrorfilm und handelt von dem Mädchen Casey, die mit Krebs zu kämpfen hat. Der Regisseur Daniel Slottje hat mich gefragt einen Teil des Scores zu komponieren und eine erhabene fantasymässige Komponente einzubringen. Für den Trailer habe ich schon ein Theme komponiert welches ich dann recht vielseitig adaptieren konnte. Es hat sehr gut geklappt!

fmj: Wird der Score von einem Orchester eingespielt und wie eng arbeitest Du dabei mit dem Regisseur zusammen?

Silvio Buchmeier: Ja unbedingt! Mit dem Orchester von Fames in Nordmazedonien habe ich schon ein paar Sachen einspielen können, die leisten echt tolle Arbeit. Sonst nehme ich auch häufig Solomusiker auf, das ist mir extrem wichtig. Diese Zusammenarbeit bedeutet auch, dass man von den eigenen Vorstellungen ein Stück weit loslassen muss, damit die Musiker sich selber mit ihrem “Sound” einbringen können. So wird die Musik zum Leben erweckt! Gerade grosse Orchesteraufnahmen finden meistens erst ganz am Ende der Produktion statt. Da ist es umso wichtiger, dass der/die Regisseur:in nahe dabei ist und allenfalls auch noch eine Auswahlmöglichkeit hat, falls wir im Studio verschiedene Varianten ausprobiert haben. Dieser Prozess ist total spannend und ich bin immer wieder von neuem inspiriert, wie andere Menschen Musik wahrnehmen.

fmj: Spannend ist auch «Viva Frida Kahlo -Immersive Experience». Wie kam es dazu und wie können wir uns die Musik vorstellen?

Silvio Buchmeier: Mit dem Kollektiv Projektil aus Zürich, die Viva Frida Kahlo produziert haben, arbeite ich schon seit Jahren zusammen. Für dieses Projekt wollten wir einerseits traditionelle mexikanische Stücke adaptieren, davon ausgehend aber auch neue, mehr filmische Cue entwickeln. Dafür habe ich mich auch traditioneller Mariachi Instrumentierung wie Gitarre, Vihuela, Trompete und Geigen bedient. Die Musik ist erfreulicherweise beim Publikum sehr gut angekommen!

fmj: Was gibt es von Dir, sei es auf CD oder auf eine der Audioplattformen, abseits der Filmprojekte zu hören?

Silvio Buchmeier: Ich habe ich seit längerem exklusiv der Filmmusik gewidmet. Es ist aber eine neue Zusammenarbeit mit einem tollen Schweizer Popsänger im Gange, bei dessem neuem Album ich Arrangements beisteuere. Dazu bald mehr.

fmj: Hast Du Vorbilder in der Filmmusik oder bist Du Fan von bestimmten Filmkomponisten?

Silvio Buchmeier: Meine musikalische Inspiration finde ich meistens ausserhalb der Filmmusik. Jedoch finde ich Ennio Morricone einer der Besten, seine vielschichtigen Melodien und abenteuerlichen Orchestrierungen haben mich sicher stark beeinflusst. Und dann habe ich eben A STREETCAR NAMED DESIRE mit der Musik von Alex North gehört. Wow!! Wie er diesem wilden und zugleich intimen Film eine Stimme gegeben hat. Das habe ich noch nie so gehört.

fmj: Die Musik von Alex North schätze ich sehr. VIVA ZAPATA!, THE AGONY AND THE ECSTASY und die nicht verwende Musik zu 2001: A SPACE ODYSSEY gehören zu meinen liebsten Werken von North.

SB: Er war einer der ersten Filmkomponisten, auf die ich richtig aufmerksam wurde. Es ist wohl bekannt, dass der legendäre Miles Davis damals in den 60ern vom ihm geschwärmt hat. Dazu hat der Jazz-Woodwindvirtuose Yousef Lateef  auf seiner Platte “Eastern Sounds” das “Love Theme from Spartacus” auf Oboe eingespielt. Ich war damals noch Nachdem ich das gehört habe ich mir umgehend die DVD ausgeliehen und Film geschaut. Alex North schrieb wirklich geniale Filmmusik, die sich total in der DNA der Geschichte ansiedelt und zugleich äusserst expressiv und detailliert ist.

fmj: Wie sieht Deine Zukunft aus? Was ist demnächst geplant?

Silvio Buchmeier: Definitiv werde ich in naher Zukunft mehr und mehr meiner eigenen Filmmusik widmen. So wurde zum Beispiel die Spielfilmversion von THE ROTTING OF CASEY CULPEPPER vor Kurzem im Sundance Producer Lab dabei. Daneben gibt es noch ein paar weitere Filme und Immersive Experiences die in Produktion sind. Zum Beispiel wird im Januar mit ENLIGHTMENT in Luzern eine neue Art Show Premiere feiern.

fmj: Wie schwierig ist es an eigene, auch grössere Projekte heranzukommen?

Silvio Buchmeier: Wenn man sich daran gewöhnt, dass es viele Absagen geben wird, ist es eigentlich nicht besonders schwierig. Es braucht einfach viel Zeit und Geduld! Dazu muss man sich in Kreise einarbeiten, von wo aus man überhaupt die persönlichen Kontakte zu grösseren Projekten knüpfen kann. Ein Weg ist die langjährige Zusammenarbeit mit Regisseur*innen an deren Kurzfilmen. Der andere Weg ist, wenn man bei einem Pitch mitmachen kann. Da werden für einen neuen Film oder eine Serie verschiedene Komponist*innen angefragt, die dann auf Probe eine Szene vertonen. Schlussendlich hilft es in jedem Falle auch ausserhalb der Filmmusik musikalisch aktiv zu sein. Häufig ist es diese Musik, die den Leuten am meisten zusagt!

fmj: Herzlichen Dank für das Gespräch, Silvio.

Hörbeispiele von Silvio gibt es auf seiner Homepage: www.silvio-buchmeier.ch

08.11.2022