Shostakovich – Epic Film Scores

Review aus The Film Music Journal No. 20, 1999

Scharfe Zungen verlästern das Geschäft des Filmmusikjournalismus gern als Hofberichterstattung aus Hollywood, sozusagen die Yellow Press für den Soundtrackbereich. Da sind in den neunziger Jahren Dutzende von CDs mit Filmkompositionen aus der ehemaligen UdSSR veröffentlicht worden, Partituren von Prokofieff, Schostakowitsch, Khachaturian, Schnittke, Kancheli und manch anderem. Doch keines der einschlägigen Magazine rafft sich auf, mal einen umfangreicheren Text zu publizieren; selbst kurze Rezensionen sind Mangelware. Vorwürfe kann man eigentlich niemandem machen, denn abgesehen von Eisensteins Klassikern sind die Filme selbst der besten Regisseure – Kozintsev, Trauberg und Pudovkin seien stellvertretend genannt – im Westen praktisch unbekannt. Wie sollte man also auf die Musik kommen? Europas namhaftester Filmmusikhändler Luc Van de Ven hält es nicht für nötig, in seinen Katalogen auch nur eine kleine Auswahl russischer Filmmusik anzubieten.

Musik aus diesem Jahrzehnt gibt es zwar nicht auf Tonträgern, aber die große Zeit der russischen Orchesterscores ist mittlerweile mit einem Startpaket auf dem Markt vertreten. Auffälligstes Merkmal ist neben der meist brillanten Kompositionstechnik die Tatsache, daß zumindest die bislang erhältliche Musik auf eigenen Füssen stehen kann; ganz besonders die Partituren Schostakowitschs, von denen drei auf vorliegendem Album versammelt sind. In Neueinspielungen des Belarus RTV Symphonie-Orchesters kommen Kompositionen zu Grigori Kozintsevs Filmbiographien MAXIM, BELINSKY und PIROGOV in längeren Suiten zu Gehör. Und im Moment fällt mir keine passendere Einstiegsluke zur russischen Filmmusik ein als diese seit einigen Monaten erhältliche CD. Denn all das, was das Gros der Soundtracksammler liebt, ist hier vertreten: wuchtige Orchestermusik mit markigen Themen für Streicher und Bläser, vorwärtspreschende Actionstücke, kraftvolle Choreinlagen, Fanfaren, Trauermärsche usw.

Schostakowitschs Musik läßt sich generell in kühn experimentierende Werke und offizielle, pompöse Beiträge aufteilen. Die Citadel-CD enthält ausschließlich letztere, aber mit eminenter Professionalität zusammengestellt. Schostakowitsch mag anderswo moderner klingen; hier liefert er eingängige, heroische Orchestermusik par excellence, die man unbesehen kaufen sollte. Obwohl die Filme aus den dreißiger bis fünfziger Jahren stammen, hat ihre musikalische Begleitung praktisch nichts mit entsprechenden Hollywood- Partituren ä la Korngold oder Newman zu tun, liefert eher ein Bindeglied zwischen den russischen Orchesterstilen des 19. Jahrhunderts und heutiger Filmmusik. Wer also wissen möchte, wo Poledouris› HUNT FOR RED OCTOBER oder auch mancher Horner-Score seine Vorbilder hat, vielleicht in entsprechenden Regionen ein wenig umhören will, der sollte sich genau diese CD besorgen.

Matthias  |  1999

SHOSTAKOVICH - EPIC FILM SCORES
Dimitri Schostakowitsch
Citadel
78:34 | 20 Tracks