Rambo and me

von Manfred Schreiber

Nun also, 2019, hat er sie alle durch und aufgerieben: Mexico, Burma, Afghanistan, Vietnam, sowohl die Gegend um Portland herum.

Im Jahr 1982, ich war elf, hörten wir erstmals von Rambo, gespeist durch Kinoinfos des Schulhofzentralorgans „Bravo“. Beim Sportunterricht hatte ich mich fussballerisch hervor getan – all das zählte plötzlich nicht mehr. Nullkommanull Sixpack. Schönen Dank auch, Mr. Stallone. Rambo war mehr, viel schweigsamer, gefährlicher, weit gereist, der Kriegshölle entkommen. Wichtig: Die Muskeln. Wir Pubertätskandidaten hinkten total hinterher.

David Morrells Roman FIRST BLOOD (meinte man den Film sprachen alle von „Rambo“) beförderte Rambo zurück in das normale Leben, doch reagierten zu viele Mitmenschen negativ, zeigten offene Ablehnung gegenüber Vietnam-Veteranen. Desillusioniert traf Rambo auf Kleinstadt-Sheriff Teasle. Mein Bruder kam an ein Kassettentape ran, welches den kostbaren Mitschnitt vom VHS-Video im Inneren trug: Unser Rambo-„Hörspiel“, abenteuerlich aufgenommen via Fernseherlautsprecher direkt zum Mikro. Captain Future, Fünf Freunde, TKKG – sie hatten’s plötzlich schwer und blieben immer öfter im Kassettenständer zurück.

Regisseur Ted Kotcheff begann FIRST BLOOD (1982) mit beschaulichen aber kalten Bildern – Jerry Goldsmith kredenzte einen sehr erfreulichen Soundtrack-Start, beim Main Title war die Traurigkeit sofort spürbar. Ein Mann kehrte vom Krieg zurück und versuchte, einen ehemaligen Kameraden ausfindig zu machen. Als der Sheriff den Fremden anhielt konnte man ahnen, dieses Örtchen besser kennenzulernen. Sanft ging es dabei nicht zu – mehr als Landstreicher denn als friedlicher Rückkehrer wurde Rambo im Polizeirevier schikaniert, gefoltert, gejagt. Action – ja, aber nichts total Verrücktes. Colonel Trautman, Rambos ehemaliger Vorgesetzter, war entsandt worden, um Rambo zur Ruhe zu bringen – die bisherige Verfolgungsjagd, angezettelt durch Kleinstadtpolizisten und erweitert mit Einheiten der Nationalgarde (die mussten morgen auch wieder im Laden sein), verlief verstörend: Rambo war nicht zu fassen, seine Fallen im Wald gespickt mit Schwerverletzten.

Die Medien fuhren ihre Show, die Jagd trieb Rambo immer weiter. Dennoch, alles war übersichtlich – es gab einen toten Deputy (und der legte es wahrlich darauf an). Kotcheff drehte zwar ein alternatives Ende (Rambo erschoss sich), um dem Roman näher zu kommen (Trautman erschoss Rambo) – jedoch: Durchgesetzt wurde, dass Rambo seinen Kinozuschauern (nebst einigen VHS- oder DVD-Kunden) erhalten blieb, wenn auch erstmal eingebuchtet. Das Szenario, im Ganzen noch realistisch. Wir begrüßten einen minimal kommunizierenden Ex-Soldaten, der dazu verdammt war weite Teile des US-80er-Action-Kinos zu lenken – was sich drei Jahre später explosiver denn je offenbaren sollte.

Konzept-U-Turn in George P. Cosmatos’ FIRST BLOOD PART II (1985) – nahezu ohne Erdung, die vorher mit FIRST BLOOD erreicht wurde. Rambo – der fragte nicht, ob ein Leben ohne Küchenrolle möglich sein könnte. Der ging auf den Handel ein, von Trautman vorgeschlagen, also raus aus dem Steinbruch, vorübergehende Aufnahme in die Army – Gegenleistung: Rambo sollte nach Vietnam zurück, um Fotos von immer noch inhaftierten US-Soldaten zu beschaffen. Meine Güte, nur Fotos. „Rambo II“ geriet zum comichaften Rächer-Vehikel.

Damals kauften wir es, wir Jungs vom Pausenhof – jeder wollte Rambos verheerenden Bogen haben mit bösen Pfeilen! Ich dachte auch: Einmannarmee da rein, zack, GI’s befreien, Vietnamesen wegpusten, Russen vermöbeln und wieder raus. Charakterdarsteller: Oftmals eine elitäre Überhöhung. Hier tat Rocky Balboa nicht so als spielte er Rambo. Stallone ist durch und durch die Rolle. Natürlich, politisch steht „Rambo II“ auf hau doll drauf und wirkt, aus heutiger Sicht, streckenweise flach. Ein Actioneer von früher, solide Hollywood-Schaukel-Dröhnung. Stallone, Carolco, Cosmatos, Buzz Feitshans, Rambo in love… Beim zarten Klingeln dieser Namen durfte Geschepper erwartet werden (Co-Autor: Ein gewisser James Cameron). Zwölf Jahre später kam mit TITANIC doch noch eine Romanze, unter Beteiligung des Herrn Cameron, ins Blockbuster-Kino. Rambos Liebesglück sollte zuvor nicht sein.

Freude über Goldsmiths Soundtrack – ein düsteres Meisterwerk. Einige Fragen warf der Film schon auf, z.B.: Ob es wirklich eine gute Idee wäre, gänzlich ohne Suizidabsicht, die mitgeführte Panzerfaust aus dem Heli-Cockpit heraus abzufeuern? Amerikaner: gut, Russen: böse, Vietnamesen: Kanonenfutter – simpel blüht es im „Rambo II“-Comic-Reich. Wohltuend hätten Auflockerungen rein gepasst, „Rambo II“ ist viel zu ernst. Rein schauspielerisch gibt es nichts zu meckern, alle Gesichter tun, was sie tun sollen (wie damals auch erwartet – von uns untergewichtigen Töffelheinis). Allein zuhause wurde die Musikanlage aufgedreht: Die schlimme Soundtrack-Raubkopie erdröhnte. Und ich sprang wie toll mit einem orangefarbenen Plastikbogen herum, suchte hinter dem Sessel Deckung, robbte theatralisch über die Auslegeware, guckte verwegen, visierte das Ziel an – mein Pfeil höchst imaginär…

Zuckerl: Als Rambo-Spin-off könnte COBRA (1986, noch eine Romangrundlage) glatt durchgehen – Cosmatos und Stallone hatten sich warm geschossen. Und entgegen aller Augenscheinlichkeiten waren wohl doch noch einige SFX-Ladungen vom „Rambo II“-Dreh übrig – das Zeug mussten sie irgendwie verpulvern. Zum Script: Rambo wäre nach seiner 85er-Vietnam-Mission auf die neue Job-Rakete drauf gesprungen, hätte beim L.A.-Zombie-Squad angeheuert (Deckname: Marion Cobretti, dtsch. Synchro: Maria), sich einen schnittigen Schlitten zugelegt und präzise ermittelnd unters’ Volk begeben. Sogar für Oberbekleidung reichte der Sold. Cobretti im Zwiegespräch mit Attentätern, Vorgesetzten, Journalisten: Kernige Oneliner, mal gar nicht lange fackeln. Stallone zwar ohne Bogen, aber jetzt mit lasertag-gestützter Jati-Matic-Maschinenpistole, Cobra-Wumme und Streichholz im Schlund. Gar nicht optimal für irgendwelche Sekten, die meinten sie könnten wahllos Leute schlitzen. COBRA ist FIRST BLOOD PART II in zivil, Lehrfilm für Specialeffects, Stunts und Shakespeare-Deeskalations-Seminare.

Rambo wieder ohne Limit, noch dazu ein wahres Wüstenepos – erste Regiearbeit des langjährigen Kameraspezialisten Peter MacDonald: RAMBO III (1988). Nachdem Russell Mulcahy die Produktion verlassen hatte übernahm MacDonald, der schon für „Rambo II“ seine 2nd-Unit dirigierte. Israel, Thailand, Arizona: Starke Bilder. Nun gut, diese Sache mit dem Kind – die Story, gänzlich ohne halbwüchsigen afghanischen Rambo-Fan, wäre undurchsichtiger gediehen. „Blaues Licht“ – ersehnte Humor-Zündung, wenn auch kein Gag-Feuerwerk, jedoch für Rambo-Verhältnisse ist der 3. Film verbal erfrischend. Es kam so weit, dass ich das Werk 13x bei uns im Kino sah. Die hinter der Kasse kannten mich schon – und wenn ich zu früh dort war wies man mir ein Plätzchen im anderen Saal, wo ich beim Filmgucken überbrücken durfte, bis nebenan RAMBO III bald startete: Dann sagten die mir bescheid, ich ging rüber und es brach wieder los… Nach RAMBO III war doch alles schön – verrauchtes Knallbummpeng, Bösewichte, denen man nachts draussen in der Wüste nicht begegnen wollte und einer, der uns immer wieder rausboxte. Alle drei Filme veredelt mit Jerry-Goldsmith-Soundtrack, die 80er-Rambo-Trilogie stand für sich – Geschmackssache, wohl auch eine Frage der Generation.

JOHN RAMBO (2008) – natürlich hat Filmemacher Stallone das Recht dort hinzugucken, wo im realen Leben gemetzelt wird. Zwanzig Jahre jenseits der 88er-Afghanistan-Mission ballert unser Rambo mit gleicher Kelle dazwischen. Keine Frage, was Menschen anderen Menschen antun ist unmenschlich. Um Realität herzustellen kommt man im Film nicht drumherum: Blut, unzählige zerfetzte Körperteile, Innereien im Dreck. „Splatterbrocken“ – JOHN RAMBO muss sich das nachsagen lassen. Er tut es auch, großkalibrig – rein handwerklich sind die Gewaltentladungen realistisch gemacht. Eine Gruppe von Missionaren gilt es aus schlimmster Lage zu befreien. Rambo hat Söldner um sich herum – die mussten allerdings von Rambos Durchschlagskraft überzeugt werden, letztlich gelang es ja auch. Wir sind mittlerweile so weit weg von FIRST BLOOD. Reden hilft leider nicht in wirklich jeder Umgebung – wie wäre es schön, würde es komplett anders sein. Kino ist auch Fiction.

Ich wage eine These: Hätten die schlimmen Finger aus LAST BLOOD (2019) doch bloß vorher den 4. Rambo-Film geschaut – sie hätten größtmöglichen Abstand zu Rambos Ziehtochter gewahrt oder im Zweifel Tickets gen Mars reserviert. Es kündigte sich online an mit gewaltiger LAST BLOOD-Trailerflut: Shots von Vorbereitungen für anschliessende Vollstreckungen übler Morde – Rambo kriegt seine Hände niemals sauber. Regisseur Adrian Grunberg präsentiert den vermutlichen Schlussakt eines im Grunde dunklen Charakters, der so viele Stichwortgeber ausknipst. Rache, die Rambo hier gewohntermaßen wüten lässt. Ranch hin, Sonnenuntergang her – Rambo wird ein Getriebener bleiben.

John J. Rambo – hat er wirklich schon alle Mistkerle durchsiebt? Zu wünschen wäre es dem Mann. Und natürlich jenen Ex-Pubertierenden, die von Beginn an dabei waren, seit 1982 (ansonsten könnte das Alles noch richtig anstrengend werden). Multispezialist Sylvester Stallone verkündete, dass sein 86er-COBRA-Zombie-Squad TV-mäßig fit gemacht werden soll. Die Rolle des mit allen Wassern gewaschenen L.A.-Drecks-Viertel-Cop Cobretti könnte tatsächlich was für ihn sein – eine Art Yoda der Strasse: Bisschen Schreibtisch, hier und da Schiessstand-Romantik, Frischlinge im Umgang mit extremistischen Störenfrieden anleiten, Highway-Slalom-Events unter Anwendung automatischer Waffen. Ein Kalauer-Festival würde es schon nicht werden, jedoch, Cobrettis Mut zum Eigenhumor wäre Balsam für 80er-Freaks, Gelegenheits-Cineasten, Serien-Propheten und Podcast-Gucker.

10.10.2019