On Dangerous Ground (FSM)

Review aus The Film Music Journal No. 33/34, 2005

Der bislang nur in einem 20 Minuten-Auszug verfügbare Herrmann-Klassiker ON DANGEROUS GROUND wurde 1951 für das RKO-Studio komponiert, von dessen musikalischen Beständen heutzutage fast nichts mehr auf irgendwelchen Masterbändern erhalten ist. Umso erstaunlicher – und für Herrmannianer in der Tat ein wortwörtliches Weihnachtsgeschenk allererster Güteklasse – war dann im vergangenen Dezember das Erscheinen einer kompletten CD dieses musikalischen Meilensteins unter der Schirmherrschaft des rührigen FSM-Labels.

Aus den einzig noch auffindbaren Quellen, nämlich drei verschiedenen Sets von unterschiedlich gut erhaltenen Azetatplatten, wurde in aufwendiger Restaurierungsarbeit die jetzt vorliegende CD hergestellt. Was die Klangqualität der CD betrifft, erwartet den Hörer dementsprechend eine schiere Achterbahnfahrt, bei der sich überraschend sauber und klar klingende Tracks mit solchen abwechseln, die durch ihre knisternden und knacksenden Störgeräusche der Musik kräftig zu schaffen machen. Wie Lukas Kendall selbst im Booklet anmerkt, hätte man im Grunde durch ein weiteres Herausfiltern der klanglichen Defekte das Kind gleich mit dem Bade ausgeschüttet, so daß von der Musik selbst nur noch ein dumpfes Gebrummel übrig geblieben wäre. Da es folglich keine andere Möglichkeit gab, diese Originaleinspielung auf dem CD-Medium abzuspeichern, sollte man als Herrmann-Fan mehr als froh sein, daß es diese Edition nun überhaupt gibt, denn das Niveau des Scores selbst ist von solch überragender Qualität, daß man über derlei tontechnische Mängel getrost hinwegsehen kann.

Mit Regisseur Nicholas Ray und Herrmann als Komponist waren bei ON DANGEROUS GROUND zwei kongeniale Individualisten am Werk, die sich nicht von Hollywoods Traumfabrik vereinnahmen ließen – und nicht umsonst hat auch Herrmann selbst gerade diesen Score immer zu seinen Favoriten gezählt. In visuell bestechenden Schwarzweiß-Kompositionen erzählt Rays Film Noir im Grunde die Geschichte einer Läuterung: Die des verbitterten, neurotischen und gewalttätigen Großstadtpolizisten Wilson (eine

Paraderolle für den stoischen Robert Ryan), der bei der Aufklärung eines Mordes in der ländlichen Abgeschiedenheit von New England durch die Begegnung mit einer blinden Frau, deren geistig behinderter Bruder der gesuchte Mörder ist, seine moralische Integrität wiedergewinnt.

Rays komplexe und stilisierte Inszenierung dieser spirituell ausgerichteten Story bot für Herrmann den geradezu idealen Nährboden, um seiner reichhaltigen musikalischen Fantasie völlig freien Lauf zu lassen. Von der brutalen Gewalt in den Jagdszenen, die Herrmann mit furios aufpeitschenden Rhythmen und mit insgesamt acht Hörnern bewaffnet zelebriert, bis zur zärtlichsten Romantik in den wunderschönen solistischen Viola d’Amore- Passagen, mit denen er das von Ida Lupino gespielte blinde Mädchen charakterisiert, wird hier das komplette musikalische Gefühlsspektrum abgedeckt. Mit Halbheiten gibt sich Herrmann in dieser Partitur nicht zufrieden, denn sowohl das lyrische wie das dramatische Feuer brennt über die komplette Spielzeit ohne Unterlaß und erreicht in den hypnotischsten Tracks schon fast den Siedepunkt.

Der zentrale Konflikt des Films, nämlich die Dichotomie von Gewalt und deren Überwindung, wird durch Herrmanns schneidend scharfe Bläserattacken und spannungsreich auflauernde Klanggebilde auf der einen und durch die pastoral- nostalgischen Abschnitte auf der anderen Seite für den Zuhörer geradezu sinnlich erfahrbar. Doch selbst in den schwelgerisch sich ausbreitenden hohen Streichern des Finales, die die «Erlösung» musikalisch personifizieren, schwingt noch jene für Herrmann so archetypische bittere Melancholie mit.

Insgesamt handelt es sich bei diesem Soundtrack um eine magische, hinreißend komponierte Musik – nichts weniger denn ein grandioses Meisterwerk, das seinesgleichen sucht. Interessanterweise hat FSM an den Schluß der CD noch einen Bonus Track mit Outtakes der Recording Sessions angehängt, bei denen Herrmann jeden spieltechnischen Patzer des Orchesters mit bissigen Kommentaren ahndet. Eine Preziose!

Stefan  |  2005

ON DANGEROUS GROUND
Bernard Herrmann
FSM Vol. 6 No. 18
48:25 | 21 Tracks