Filmmusik zu Jack-Lemmon-Komödien
von Andi Süess
Im Filmgeschäft wird gerne immer alles schubladisiert, «type-casting» heisst das Zauberwort. Im alten Studio-System Hollywoods war Errol Flynn der Abenteuer-Haudegen, Humphrey Bogart der hartgesottene Zyniker, Bette Davis die Drama-Queen und Barbara Stanwyck die Femme Fatale. Geändert hat sich daran bis heute wenig; braucht man einen väterlichen, weisen Schwarzen, ruft man Morgan Freeman, für intellektuelle Sonderlinge wird gerne Benedict Cumberbatch genommen.
Ein seltenes Gut sind Schauspieler, die das dramatische und das komödiantische Fach gleichermassen beherrschen. Überzeugend lustig zu sein, heisst es gar, sei schwieriger als der grosse, dramatische Auftritt. Und wird trotzdem nicht genügend gewürdigt, wenn man feststellt, wie wenige Auszeichnungen Comedy-Darsteller entgegennehmen dürfen. Wenn man sich mal umsieht, wer in diese Kategorie passt, dann kommen einem Namen wie Cary Grant, Alec Guinness, Peter Sellers, Kevin Kline, Jim Carrey in den Sinn. Und auch der Mann, um den es in Sachen Comedy-Filmmusik hier gehen soll: Jack Lemmon.
Dass auch Filmkomponisten ‒ zumindest in manchen Phasen ihrer Karrieren ‒ schubladisiert werden, ist ebenfalls keine neue Tatsache. Erich Wolfgang Korngold war erste Adresse für klassische Abenteuer, eine Zeit lang war Dimitri Tiomkin das Mass aller Dinge, wenn es um Western ging, kaum ein Historien-Film von Rang und Namen, der sich nicht auf Miklós Rózsa berief, und bei Action führte eigentlich kein Weg an Jerry Goldsmith vorbei. Und wie bei den Schauspielern war auch bei den Komponisten ‒ und gehörten sie auch ansonsten zu den grössten ‒ nicht jeder im gleichen Masse dazu berufen, ein begnadeter Schreiber von Comedy-Musik zu sein. Sich in einem ausgewogenen Mittelmass zwischen «mickey-mousing» und «straight», also betont ernst zu bewegen, ist längst nicht jedem gegeben. Wahre Meister darin ‒ wie Henry Mancini beispielsweise ‒ waren und sind rar gesät.
Aber kommen wir zurück zu Jack Lemmon. Am 8. Februar 1925 in Newton, Massachusetts geboren, verdiente sich Lemmon ab 1949 seine schauspielerischen Sporen in Fernsehproduktionen ab, im Kino wurde man auf ihn aufmerksam durch seine Rolle als Ensign Frank Thurlowe Pulver in MISTER ROBERTS (1955), wofür er mit dem Nebendarsteller-Oscar ausgezeichnet wurde. Ab dann ging es ‒ vorerst hauptsächlich weiterhin in Nebenrollen ‒ stetig aufwärts. Seinen endgültigen Durchbruch hatte er in SOME LIKE IT HOT (1959), im Folgejahr stand er in THE APARTMENT zum zweiten Mal nach OPERATION MAD BALL (1957) zuoberst auf der Besetzungsliste. Dass in ihm indes mehr steckte als bloss der komische Vogel, durfte er in Blake Edwards DAYS OF WINE AND ROSES (1962) erstmals unter Beweis stellen, wo er sehr glaubhaft einen Alkoholiker verkörpert. Zu weiteren, wichtigen Filmen im dramatischen Fach sind SAVE THE TIGER (1973) ‒ hierfür durfte er seinen einzigen Hauptdarsteller-Oscar entgegennehmen ‒ THE CHINA SYNDROME (1979) und MISSING (1982) zu zählen. Seine Vielseitigkeit machte Lemmon über seine ganze Karriere hinweg zu einem gefragten Mann, weil er wie wenige auszudrücken vermochte, dass in allem Komischen auch etwas Tragisches und in allem Tragischen auch etwas Komisches steckt.
Hier soll es nun aber ausschliesslich um Komödien gehen, da gerade im Zusammenhang mit Jack Lemmon ein paar der besten Filmmusiken in diesem Genre entstanden sind. Und genau wie der Schauspieler beweisen die Komponisten der folgenden Scores sehr viel Feingefühl im richtigen Umgang mit Humor.
Bell, Book and Candle (1958)
Hexen verlieren ihre magischen Kräfte ‒ so sagt man ‒ wenn sie sich verlieben und infolge dessen plötzlich erröten und weinen können. Genau dies droht Gillian Holroyd, als sie sich in den frisch über ihr eingezogenen Shepherd Henderson verguckt. Beim Vorhaben, ihn mittels ihrer Gabe für sich zu gewinnen, erfährt sie sowohl Unterstützung als auch Unverständnis von ihrem Bruder Nicky, ihrer Tante Queenie und ihrem Kater Pyewacket.
Diese im schicken Stil der 1950er-Jahre präsentierte, zauberhafte Liebeskomödie bringt James Stewart und Kim Novak unmittelbar nach dem Hitchcock-Klassiker VERTIGO erneut zusammen. Jack Lemmon als Bruder von Novak lernen wir in der Kellerbar «Zodiac» ‒ Hot Spot von New Yorks Hexenzirkel ‒ kennen, wo er in der Band die Bongos spielt. Weitere Nebenrollen werden von der köstlichen Elsa Lanchester als überprotektive Tante und von Ernie Kovacs als trinkfreudiger Schriftsteller besetzt. Regisseur Richard Quine und Komponist George Duning waren keine Unbekannten für Lemmon, das Trio hat fünf gemeinsame Filme zu Buche stehen.
Dunings Musik ist eine Mischung aus Übersinnlichem, Romantik und Jazz, wie man sogleich dem «Main Title» entnehmen kann, bei dem ‒ da die Geschichte zu Weihnachten spielt ‒ auch ein paar Takte «Jingle Bells» zu vernehmen sind. Dies ist und bleibt aber die einzige Referenz an die Feiertage. Wenden wir uns zunächst dem Jazz in Form von Source-Music zu. Eingespielt von der Band der Candoli-Brüder, die ihre Trompeten mal gedämpft, mal offen spielen, ist dieser stilistisch dem Cool-Jazz zuzuordnen, wird aber schon mal ‒ wie im Falle des plot-relevanten «Stormy Weather» ‒ auch hitziger und beinahe hysterisch. Ein sehnsuchtsvolles, anrührendes Liebesthema ist für die hoffnungslos scheinende Romanze bestimmt. Was diesen Score aber hauptsächlich auszeichnet, sind die übersinnlichen Elemente, und die sind Pyewacket zugedacht, dem unentbehrlichen Gehilfen bei Gillians magischen Verführungskünsten. Von besonderer Ausstrahlung ist hierbei «The Spell/Shep Hooked». Streicher und Holzbläser verbreiten eine unwirkliche Atmosphäre, während eine tiefe Frauenstimme betörend und ein wenig furchteinflössend das Pyewacket-Thema summt. Gelegentliche Einschübe des Liebesthemas lassen vermuten, dass Gillians Bemühungen Früchte tragen werden. Eine verspielte Präsentation des Pyewacket-Themas für Pizzicato-Streicher und Celesta beschliesst diesen sehr stimmungsvollen Schlüsseltrack. Auf allzu offensichtlichen Humor lässt sich Duning eher selten ein und wenn, dann nur in kurzen Momenten. Er vertraut zu Recht darauf, dass die Bearbeitungen seiner Hauptthemen den Nerv des Films treffen.
Colprix veröffentlichte 1958 eine Mono-LP von BELL, BOOK AND CANDLE. 1980 überraschte Citadel mit einer Stereo-Version plus einem Bonus-Track. Gleiches veröffentlichte FSM 2006, gepaart mit Dunings 1001 ARABIAN NIGHTS. Zuvor gab es 2004 noch dieses schrecklich klingende Ding vom fragwürdigen Label Harkit Records (existiert das eigentlich noch?), das absolut keine Konkurrenz für FSM darstellt.
Irma la Douce (1963)
Der dritte von insgesamt sieben Filmen, die Lemmon unter der Regie von Billy Wilder gedreht hat, basiert auf dem gleichnamigen, französischen Musical von Marguerite Monnot und Alexandre Breffort (bei der englischen Version war textlich übrigens Monty Norman beteiligt). Als der naive und pflichtbewusste Polizist Nestor Patou (Jack Lemmon) ins Pariser Rotlichtviertel versetzt wird, führt er als erste Amtshandlung eine Razzia in einem Stundenhotel durch. Zu den Verhafteten gehört dummerweise auch sein Vorgesetzter, und so ist er seinen Job postwendend los. Er verliebt sich in die einfühlsame Irma la Douce (Shirley MacLaine) und wird ihr Zuhälter. Allerdings treibt ihn seine Eifersucht auf ihre Freier dazu, sich in Gestalt des geheimnisvollen Lord X ihr gegenüber sehr spendabel zu geben, damit sie finanziell keine anderen Kunden mehr nötig hat. Dafür muss er jedoch nachts auf dem Grossmarkt ordentlich malochen, was ihn schliesslich so erschöpft, dass Irma glaubt, er habe eine Geliebte. So weit, so schlecht. Zum Glück gibt’s noch Barkeeper Moustache (Lou Jacobi), der für Nestor stets einen klugen Rat aus seinem Schnurrbart zwirbelt.
Wilder wollte keinen Gesang im Film, orchestral verarbeitet sind jedoch ein paar der Songs in André Previns Score geflossen. So enthält etwa der «Main Title» die auch für die Musical-Ouvertüre verwendete Melodie zu «Dis Donc, Dis Donc», aber dieses lebensfrohe und temperamentvolle Stück wird ‒ wie alles, was mit dem Musical zu tun hat ‒ von Previn stilistisch weg von der Bühne und hin zur Leinwand geführt. Ein anderes ist das melancholische, vom Akkordeon geprägte «Our Language of Love». Das Akkordeon ist sowieso ‒ wen würde es erstaunen ‒ ein wichtiger Bestandteil dieser Musik, schliesslich befinden wir uns im Postkarten-Paris der 1950er-Jahre. Robuster Humor und sentimentale Romantik sind durch die Themen für Nestor und Irma in ständigem Wechsel. Für den Lord ‒ dessen musikalisches Erkennungszeichen «Rule Britannia» ist ‒ wird Previn zwar überraschend dramatisch, lässt die Düsternis durch regelmässige Einstreuung feiner, humorvoller Zwischentöne indes nie die Oberhand gewinnen. Ein toller Comedy-Score mit viel Herz, Gefühl und Cleverness, wie man ihn von einem Komponisten vom Schlage André Previns erwarten darf.
In verschiedenen Jahren und von verschiedenen Labeln auf LP veröffentlicht (und wohl immer mit John Addisons TOM JONES gekoppelt), standen von IRMA LA DOUCE lange Zeit nur rund 16 Minuten Musik zur Verfügung. 1998 brachte dann Rykodisc eine auf 45 Minuten erweiterte Fassung auf den Markt. Diese CD dürfte aber längst vergriffen sein.
How to murder your Wife (1965)
Seine Bash-Bannigan-Comics ‒ die Abenteuer des optisch nach ihm selbst gestalteten Helden lässt er vorab von Komparsen fotografisch in Szene setzen ‒ ermöglichen Stanley Ford ein luxuriöses, sorgenfreies Leben, sein ihm treu ergebener Diener Charles schmeisst den Haushalt und liest ihm jeden Wunsch von den Augen ab. Gelegentlichen Techtelmechteln zwar nicht abgeneigt, ist es jenseits all seiner Vorstellungskraft, an ein Weib gebunden zu sein, wovor ihn auch Charles vehement zu schützen weiss. Doch dann passiert es: nach einem feuchtfröhlichen Junggesellenabschied muss Stanley entsetzt zur Kenntnis nehmen, dass er urplötzlich verheiratet ist, und zwar mit der italienischen Torten-Stripperin. Da er die Angetraute auf legalem Weg nicht wieder los wird, muss ihm Bash Bannigan zu Hilfe eilen.
Unter der bewährten Regie von Richard Quine ist Jack Lemmon wieder mal ganz in seinem Element. Terry-Thomas gibt den geradezu exemplarischen, englischen Butler, die ebenso verführerische wie fürsorgliche Virna Lisi schliesst man augenblicklich ins Herz, und auch Stanleys ganz schön unter dem Pantoffel stehende Anwalt Harold Lampson sowie dessen Gattin Edna sind mit Eddie Mayehoff und Claire Trevor herrlich besetzt.
Neal Hefti, der später bei THE ODD COUPLE nochmals mit Lemmon zusammen kommen solle, ist mit HOW TO MURDER YOUR WIFE ein ganz grosser Wurf im Comedy-Bereich gelungen. Jedes seiner Themen ist ein Volltreffer und die Umsetzung selbiger durchs Band weg pure Unterhaltung auf sehr hohen Niveau, so dass die 55 Minuten Laufzeit im Nu vorüber sind. Lässige Eleganz im Bereich der Romantik, gepflegter Humor insbesondere beim Bannigan-Thema mit Elektro-Orgel, Trillerpfeife und Xylophon. Wer in den Stand der Ehe eintritt, wird mit Trauermusik begleitet, man kann sich an Saloon- und Stummfilmklamotten-Klavier, Jagdhörnern, etwas Exotik, Twang-Gitarren, einem Marsch und einer Tarantella erlaben. Und es macht sich auch Heftis Jazz-Hintergrund bemerkbar, sei es in Anlehnung an seine Erfahrung als Big-Band-Arrangeur für Grössen wie Count Basie und Frank Sinatra, oder in kleinerer Besetzung mit Lead-Querflöte.
Die 1960er-Jahre waren eine schlimme Zeit für Filmmusik-Fans, denn wie kein anderes Jahrzehnt waren sie infiltriert von ans Massenpublikum gerichteten Soundtrack-Alben, die einerseits meist sehr kurz waren und anderseits oft recht stark von den Filmeinspielungen abwichen, und das betraf nicht nur Comedy-Scores (ich möchte möglichst nie mehr an Abnormitäten wie die THE DEVIL’S BRIGADE-LP erinnert werden, die sich auf dem Cover zwar mit dem Namen Alex North schmückt, auf der aber in Tat und Wahrheit der berühmt-berüchtigte Leroy Holmes sein Unwesen treibt). Auch HOW TO MURDER YOUR WIFE kam auf keine halbe Stunde Laufzeit und wurde von Hefti stark überarbeitet; die meisten liebevollen, kleinen Details waren weg, dafür kamen Cembalo und fröhlich trällernde Frauen hinzu, die es ursprünglich gar nicht gab. Das ist zwar immer noch sehr unterhaltsam, vermittelt aber ein anderes Gefühl als das Original. Zum Glück konnte Kritzerland die klanglich grossartig erhalten gebliebene Filmfassung orten und 2009 als Premiere veröffentlichen.
The Great Race (1965)
Vorhang auf für eine der grössten Filmkomödien aller Zeiten, die trotz Überlänge nie langweilig wird. Für einmal fiebert man hier nicht mit dem stets strahlenden Helden in Weiss mit, sondern die Sympathie gilt dem Bösewicht, dessen Seele ebenso schwarz ist wie seine Bekleidung. Beide sind sie Stunt-Performer im frühen 20. Jahrhundert, aber während der in Weiss erfolgreich ist und Liebling der Massen (insbesondere des weiblichen Teils), ist der in Schwarz zu ewigem Scheitern verurteilt, sei es bei seinen eigenen Stunts oder bei seinen Versuchen, den verhassten Kontrahenten zu sabotieren. Ob beim grossen Rennen von New York nach Paris die Karten neu gemischt werden?
Blake Edwards aufwändig ausgestatteter Film trumpft mit einer wunderbaren Besetzung auf. Hier das Team Schwarz mit Professor Fate und Gehilfe Max (Jack Lemmon und Peter Falk in seiner bekanntesten Prä-COLUMBO-Rolle), dort das Team Weiss mit dem Grossen Leslie und seinem stoischen Assistenten Hezekiah (Tony Curtis und Keenan Wynn), dazwischen Maggie Dubois (Natalie Wood), eine frühe Frauenrechtlerin zwar, die aber gerne auf die wirkungsvollen Waffen des schwachen Geschlechts zurückgreift um zu bekommen, was sie will. Dazu gut besetzte Nebenrollen wie Arthur O’Connell als völlig überforderter Zeitungsboss, Martin Ross als machtlüsternder Baron und Jack Lemmon als debiler Kronprinz.
Ein Film, den ich immer wieder gerne sehe, und durchaus schon mal auch in der deutschen Fassung, denn insbesondere mit Georg Thomalla stand dafür ein routinierter Synchronsprecher zur Verfügung, der lange Zeit mehreren bekannten Schauspielern wie Danny Kaye und Peter Sellers seine Stimme lieh; eine Stimme, die zu Jack Lemmon geradezu perfekt passte. Dessen Doppelrolle in THE GREAT RACE gestattete Thomalla, seiner ureigenen, stimmlichen Virtuosität auf vielerlei Weise Ausdruck zu verleihen, aber dies immer im Bestreben, seinem amerikanischen Kollegen den bestmöglichen Dienst zu erweisen.
Die LP-Veröffentlichung zu THE GREAT RACE ‒ wir sind in den Sechzigern! ‒ gehört zu den schlimmsten Verbrechen, die man einem Filmmusikfreund im Allgemeinen und Mancini-Fan im Speziellen antun kann. Denn einmal mehr handelt es sich hierbei um ein sehr kurzes Album mit überarbeiteten Themen (am offensichtlichsten bei der «Pie-In-The-Face Polka»), vom überaus ohrenschmausigen Underscore hingegen keine Spur. Als man die Hoffnung schon längst aufgegeben hatte, diesen je in die Finger zu bekommen, kam 2017 doch noch die Erlösung, als La-La Land den kompletten, 100-minütigen Score in einer adretten 3-CD-Box (ja, auch die LP-Version wurde als Erinnerung an schlechtere Zeiten beigefügt) auf den Markt brachte.
Da haben wir nun also das Hauptthema (auch für den Grossen Leslie dienend) ‒ ein Marsch, den Mancini aus Fragmenten bekannter patriotischer Weisen wie «Dixie» und «America the Beautiful» zusammensetzt, und zwar so geschickt, dass das Ganze wie eine eigenständige Komposition wirkt ‒ sowie das wundervolle Liebesthema «The Sweetheart Tree» in vielerlei Bearbeitungen, und wir haben endlich auch die köstlichen Auftritte des Fate-Themas ‒ ein humorvoll-düsterer, von Bässen und Posaunen geprägter Walzer ‒ die den ersten Teil des Scores dominieren und oft die luftigen und gefährlichen Höhen erkennen lassen, in denen das Team Schwarz operiert. Wir haben die Western-Episode mit dramatischen Indianertrommeln, währschafter Americana und dem von der mit Leslie aufreizend flirtenden Dorothy Provine vorgetragenen, gegenüber der LP um ein paar pikante Textzeilen erweiterten Saloon-Song ‒ dessen unmöglichen Titel zu nennen ich mir hier erspare ‒ und wir haben das Finale in Paris, wo sich das wieselflinke Race-Theme zu den Klängen der «Marseillaise» nochmals tüchtig in Szene setzen darf.
Mit dem Abstecher ins kleine mitteleuropäische Königreich Karpanien nimmt sich nicht nur der Film eine längere Auszeit von der Haupthandlung, auch bei Mancini ist vorerst fertig lustig, setzt er sich doch unerwartet ernsthaft mit den höfischen Ränkespielen auseinander. Denn nebst Fanfaren, Walzer, Lullaby und Tortenschlacht-Polka ist es finster herumschleichender, themenloser Suspense, der die Szenerie beherrscht, und obwohl er sich damit weit von der allgemeinen Heiterkeit entfernt, hat auch diese Musik unbedingt ihre Berechtigung und möchte keinesfalls vermisst werden. Übrigens enthält alleine die Karpanien-Sequenz mehr Musik als die alte LP.
THE GREAT RACE ist ein wahrer Vorzeige-Mancini, denn hier offenbart sich die ganze Vielseitigkeit des Komponisten. Der begnadete Melodiker mit dem Gespür für Ohrwürmer im Song-Bereich, der Meister im treffsicheren Umgang mit Humor und Romantik, aber auch im gezielten und effektvollen Einsatz von Dramatik. Kurz, ein Score für die Ewigkeit, und das nicht nur im Comedy-Bereich.
The Odd Couple (1968)
Als Felix Ungar, nachdem ihn seine Frau in eheauflösender Absicht aus dem Haus geworfen hat, nicht bei der Pokerrunde seines Freundes Oscar Madison erscheint, machen sich die Männer grösste Sorgen, ist dem neurotischen, krankheitsanfälligen und in allen Bereichen überpeniblen Kerl doch nun alles zuzutrauen. Als er schliesslich doch noch auftaucht und der schlampige und chaotische Oscar ihm anbietet, bei ihm einzuziehen, ist der Ärger vorprogrammiert.
Neil Simons Stück lebt von den scharfzüngigen Wortgefechten der beiden Protagonisten. Während Walter Matthau damit bereits auf der Bühne grosse Erfolge feiern konnte, kam es für ihn bei Gene Saks› Verfilmung zur zweiten Zusammenarbeit mit Jack Lemmon, und damit war endgültig ein bestens aufeinander abgestimmtes Komiker-Duo geboren. Die Dynamik, die während ihrer kleinen und grossen Sticheleien entsteht, ist unnachahmlich, und auch wenn die Pokerfreunde und zwei englische Nachbarinnen für köstliche Momente sorgen, ist THE ODD COUPLE im Grunde genommen ein Zwei-Mann-Stück.
Da die Handlung hauptsächlich in Oscars Appartement stattfindet und von ihren Dialogen lebt, spielt auch die Musik keine grosse Rolle. Die erfuhr ‒ wir sind immer noch in den Sechzigern ‒ einmal mehr überarbeitet eine Veröffentlichung auf LP und enthielt mit Dialogen zudem ein weiteres Übel, das viele Sammler abschreckt. Dabei ist die kurze Laufzeit von 27 Minuten für einmal erklärbar, denn Neal Hefti hat ganz einfach nicht mehr Musik geschrieben. Wie man aus der Filmfassung ersehen kann, die Varèse 2017 gemeinsam mit BAREFOOT IN THE PARK (ebenfalls als Premiere im Original) veröffentlichte. Hier kommen wir auf eine Laufzeit von 17 Minuten, und das schliesst zwei Bonus-Tracks mit ein. Der Score ist eigentlich ‒ obwohl es noch anderes wie das drollige «Tomatoes», das leicht dramatische «Left with a Curse» und hippe Source-Musik gibt ‒ schnell abgehandelt mit dem relaxten, leicht jazzigen Hauptthema, das ganz à la Spätsechziger mit Cembalo, Bläsern, Streichern, Klavier, Bass und Schlagzeug im «Main Title» und danach zum Teil abgeändert in Sachen Tempi und Instrumentation (z. B. mit E-Orgel und E-Gitarre) zu hören ist. Ein zeitloses Thema, das Neal Hefti unsterblich macht und die musikalische Haupt-Identifikation des Duos Lemmon/Matthau schlechthin darstellt.
Dad (1989)
Es ist nicht einfach, an diesen Film heranzukommen, wenn man ihn wie in meinem Fall noch nie gesehen hat. Ist es eine Komödie oder ein Drama? Während Lemmon eine Golden-Globe-Nomination als bester dramatischer Hauptdarsteller erhielt, wurde Ted Danson von den American Comedy Awards (ich wusste gar nicht, dass es die gibt) für den «Funniest Supporting Actor» nominiert. Und auch der Trailer, den man auf youtube findet, strahlt eher Heiterkeit aus. Konkret geht es um John Tremont (Danson), der in seinen Heimatort zurückkehrt, weil seine Mutter Bette (Olympia Dukakis) einen Herzinfarkt erlitt und kommt daraufhin nicht nur seinem krebskranken Vater Jake (Jack Lemmon) wieder näher, sondern auch seinem Sohn Billy (Ethan Hawke).
Auch die Musik ist nicht leicht einzuordnen, denn wenn beispielsweise das Hauptthema vom Klavier oder Holzbläsern vorgetragen wird, ist sie sowohl von Sentimentalität wie auch von Lebensfreude geprägt. Dieser Score von James Horner, von dem kaum jemand spricht, ist in seinen melodiösen Momenten sehr liebenswürdig, und diese Momente tauchen oft im eben erwähnten Klavier auf und sie erinnern, wenn sie mit leichten Pop-Rhythmen unterlegt werden, auch gerne mal ein wenig an Georges Delerue. Daneben gibt es mit Elektronik angereicherte, verträumte Momente à la FIELD OF DREAMS und in zarten Klanggebilden ist auch immer mal wieder COCOON zu spüren. So richtig humoristisch wird’s nur im kurzen «Mopping the Floor» mit Stephane-Grappelli-Geige, Steel-Drums und Schlagzeug.
DAD erschien 1989 bei MCA sowohl auf CD als noch auf LP, wurde seither aber nie mehr wiederveröffentlicht. Alle, die wie ich den Score schon lange nicht mehr gehört haben, sollten ihn wieder mal aus dem Regal holen; es lohnt sich, denn es ist eine sehr schöne Arbeit des Komponisten. Zumal der Silberling mit leicht unter 40 Minuten eine angenehmere Länge aufweist als so manch späterer Horner.
My Fellow Americans (1996)
Die beiden Ex-US-Präsidenten Kramer (Jack Lemmon) und Douglas (James Garner) sind sich seit jeher nicht grün. Als ihnen jedoch eine Schmiergeld-Affäre des amtierenden Präsidenten Haney (Dan Aykroyd) in die Schuhe geschoben werden soll, um dessen Namen rein zu waschen, müssen sie wohl oder übel zusammenspannen. Von der NSA gehetzt, die ihnen an Leib und Leben will, weil sie die ganze Vertuschung auffliegen lassen könnten, erleben sie einen Road-Trip der besonderen Art; mit einigen Erfahrungen reicher und zu allem entschlossen begeben sie sich schliesslich zurück nach Washington D.C., um das Weisse Haus so richtig aufzumischen.
Diese Produktion verfügt über eine bis in die Nebenrollen grossartige Besetzung, zu der unter anderem Lauren Bacall als Gattin von Kramer sowie John Heard als tollpatschiger Vizepräsident gehören. Ein wenig wundert man sich, warum James Garner in einem Part, der geradezu nach Walter Matthau schrie, Jack Lemmon zur Seite gestellt wurde. Ob Matthau nicht konnte oder wollte oder ganz einfach nicht in Betracht gezogen wurde, weil er nicht ganz dem Bild eines US-Präsidenten entsprach, wer weiss es. Und da sich Lemmon und Garner ebenfalls ganz prima ergänzen, ist diese Frage eh schnell vergessen.
Ein patriotischer Marsch, mal in feierlichen, mal in ruhigen, mal in abenteuerlichen Arrangements als Hauptthema, ein sekundäres, präsidentales Thema, ein rührendes Freundschafts-Thema, Big-Band-Sound, friedliche mexikanische Gitarren, Klavier- und Mundharmonika-Blues, «Somewhere over the Rainbow» als Marching-Band-Stück, Rock-Gitarre. William Ross› äusserst gefällige und mitreissende Musik mit viel Ohrwurm-Potenzial ist überwiegend seriös angelegt, das liegt primär am Action-Scoring, das mal von Goldsmith, mal von Horner, aber vor allem von Williams inspiriert ist. Das stört aber nicht weiters, denn alles ist hervorragend und situationsgerecht umgesetzt.
Ein kleiner Geheimtipp meinerseits also, sollte MY FELLOW AMERICANS je komplett erscheinen. Filmbegleitend veröffentlichten TVT Records in den USA und Madfish Movies in England ein identisches Song-Album, das bloss einen Score-Track enthält. Dabei handelt es sich aber wenigstens ‒ das als kleiner Trost ‒ um eine tolle, rund 11-minütige Suite, die in stimmungsvoller Abwechslung das Allerwichtigste zusammenfasst. Ansonsten gab’s lediglich mal ein 36-minütiges Bootleg.
The Odd Couple II (1998)
Weil sich der Sohn von Oscar mit der Tochter von Felix vermählen will, kommt das seltsame Paar nach 17 Jahren wieder zusammen, und es stellt sich rasch heraus, dass sie die Selben geblieben sind, zumindest was unzimperliche Wortgefechte betrifft. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände schrotten sie auf dem Weg zur Hochzeit im kalifornischen Niemandsland ihr Mietauto und müssen sich vorerst zu Fuss durchschlagen. Das Ungemach zieht sie weiterhin an, immer wieder kommen sie schuldlos mit dem Gesetz in Konflikt, und als Running Gag landen sie stets auf der selben Polizeistation, was den bedauernswerten Sheriff (ein köstlicher Richard Riehle) beinahe in den Wahnsinn treibt. Rechtzeitig schaffen sie es dann aber doch noch zum grossen Fest, wo Felix die Frau seines Lebens zu treffen glaubt.
Über ein Jahrzehnt nach ihrem letzten Film BUDDY BUDDY (JFK zählen wir jetzt mal nicht dazu) feierten Lemmon und Matthau mit GRUMPY OLD MEN und GRUMPIER OLD MEN ein erfolgreiches Comeback, daher war es wohl unausweichlich, dass ihr wahrscheinlich bester gemeinsamer Film mit einem späten Sequel bedacht wurde. Und wie schon bei GRUMPY und GRUMPIER war Alan Silvestri für die Musik zuständig.
Was in diesem Score bestimmt nicht fehlen darf, ist Neal Heftis Kult-Thema, es taucht im Film aber glaub ich öfters auf als auf der kurzen Score-Veröffentlichung. Hier ist es erstmals in Track 5 «The Odd Couple» zu vernehmen, dann wieder in «In the Slammer» mit einem kleinen Intro für mexikanische Trompete. In «Deja Vu» begegnen wir ihm dann ‒ genau wie in den «End Credits» ‒ im Big-Band-Gewand. Silvestris eigenes Hauptthema ist nicht jenes, das lediglich im klassisch gestalteten «Main Title» zu hören ist, sondern ein in verschiedenen Tempi und Stimmungen zu vernehmendes, nostalgisch gefärbtes Thema, das in «Oscar & Felix» auch von einer kleinen Jazz-Combo mit dem Saxophon als Lead-Instrument angestimmt wird. Ein anderes, als Habanera gestaltetes Motiv taucht oft in den meist tieferen Holzbläsern und Trompete auf und ist der eigentliche Träger des eher zurückhaltenden, fast auf seinen Einsatz lauernden Humors. Insgesamt ist dies ein feiner kleiner Score, dessen Charme man gerne erliegt und dem man anmerkt, dass er von einem Komponisten stammt, der über einige Erfahrung im Comedy-Bereich verfügt.
Von Edel 1998 sowohl in den USA als auch in Deutschland in Form einer halbstündigen CD herausgebracht, ist dieser Silvestri ein kurzweiliger Zeitvertreib. Ob’s je zu einer Veröffentlichung des kompletten Scores kommt, bleibt abzuwarten. Oberste Priorität dürfte dies bei den wenigsten Filmmusikfans haben.
THE ODD COUPLE II ist der letzte gemeinsame Auftritt des Film-(Alp-)Traumpaares, das auch privat eng befreundet war. Matthau starb zwei Jahre, Lemmon drei Jahre nach Entstehung des Films. Damit verlor die Welt ein liebenswertes Duo, das wahrscheinlich auch deshalb so gut zusammen harmonierte, weil beide Schauspieler über eine enorme emotionale Bandbreite verfügten. Den eingangs Erwähnten können wir also getrost auch noch Walter Matthau hinzufügen, der zwar zu Beginn seiner Karriere hauptsächlich in der Schublade «Schurke/zwielichtiger Typ» steckte, dieser aber letztlich zu entfliehen vermochte. Ob ihm dies auch ohne Jack Lemmon gelungen wäre, an dessen Seite er mit THE FORTUNE COOKIE seinen endgültigen Durchbruch feierte, wird man indes nie wissen.
Zu Ehren von Walter Matthau gibt es zum Abschluss noch einen kleinen Bonus:
I.Q. (1994)
Automechaniker und Hobby-Astrophysiker Ed Walters staunt nicht schlecht, als er herausfindet, dass es sich bei der jungen Mathematikerin Catherine Boyd, in die er sich Hals über Kopf verliebt hat, um die Nichte Albert Einsteins handelt. Der wiederum merkt schnell, dass die beiden füreinander bestimmt sind, aber um auch Catherine davon zu überzeugen, genügt es nicht, sie von ihrem überheblichen Verlobten loszueisen, sondern Ed muss zudem auf ihre intellektuelle Ebene gehoben werden, indem er zu einem öffentlich anerkannten Spezialisten auf seinem «Fachgebiet» wird. Dies hofft Einstein durch ein mit seinen alten Kollegen durchgeführtes, wissenschaftliches Experiment zu erreichen.
Auch wenn selbstverständlich Tim Robbins und Meg Ryan im Mittelpunkt dieser sympathischen Liebeskomödie stehen, ist doch Walter Matthau der heimliche Star des Films, der das Jahrhundert-Genie mimisch und mit deutschem Akzent liebevoll parodiert. Und auch dessen Freunde (Lou Jacobi, Gene Saks und Joseph Maher) stehlen so manche Szene. Weitere Nebenrollen sind mit Stephen Fry, Charles Durning und dem später durch MONK zu Ruhm gekommenen Tony Shalhoub besetzt.
Fünf Filme haben Jerry Goldsmith und der australische Regisseur Fred Schepisi zusammen gemacht, aber mit Ausnahme von THE RUSSIA HOUSE gehören die daraus hervorgegangenen Scores für die meisten Fans eher zu den Kellerkindern des Komponisten. Da ich mich mit I.Q. jetzt zum ersten Mal überhaupt etwas eingehender beschäftige, frage ich mich zumindest in diesem Fall: warum eigentlich? Es handelt sich nämlich um eine mit viel Herz und handwerklichem Geschick gemachte Musik, die storymässig genau ins Schwarze trifft und auch heute noch erstaunlich frisch klingt. Mit dem Hauptthema schlägt Goldsmith gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Er nimmt die Melodie des alten, englischen Wiegenliedes «Twinkle, Twinkle Little Star» und vertraut sie mannigfaltig variiert hauptsächlich der Violine an, die Albert Einstein bekanntermassen mit grosser Passion spielte. Das führt von ernsthaft und wehmütig über verspielt bis beinahe schon TWILIGHT-ZONE-isch, geht während der «End Credits» gar ins Jüdische. Für das nicht zu verachtende Liebesthema nimmt sich Goldsmith oft Elektronik zu Hilfe, die ‒ auch das passt wieder zur Geschichte ‒ gelegentlich extraterrestrisch klingt. Und schliesslich werden mit Rock-’n›-Roll, der sich vor allem aus Saxophon, Klavier und «du-ah»-Gesang zusammensetzt, auch noch die 1950er-Jahre berücksichtigt. Das ergibt im Endeffekt eine Filmmusik mit ordentlich Gemüt, Schwung und Schalk. Ich will I.Q. nicht in den Himmel heben, aber der Score verdient es, (wieder)entdeckt zu werden, denn er gehört zu Goldsmiths geglückteren Experimenten im Comedy-Bereich.
Weit und breit keine Soundtrack-Veröffentlichung, als der Film in die Kinos kam. Erst 2009 brachte La-La Land I.Q. zusammen mit SECONDS (ebenfalls als Premiere) in einer limitierten Edition heraus. Das sind mal zwei Goldsmiths, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und in dieser Hinsicht bilden sie auf CD wahrlich ein seltsames Paar.
9.5.2020