von Andi Süess
Die kürzliche Wiederveröffentlichung von Claude Bollings THE AWAKENING sollte eigentlich in unserer Rubrik «Kurz und knapp» Unterschlupf finden, aber da die Lieferung der CD auf sich warten liess, war ihr Einbezug nicht mehr möglich. Weil ich aber nicht auf die nächste «Kurz und knapp» warten will, mache ich aus der Not eine Tugend, bietet sich mit diesem Score doch ein kleiner Streifzug durch die Geschichte der Mumien-Filmmusik geradezu an, und diese Gelegenheit packe ich gerne beim Schopfe.
Von allen antiken Hochkulturen üben die alten Ägypter wahrscheinlich die grösste Faszination auf die Menschen aus, und sie sind auch deshalb noch so präsent, weil viele ihrer monumentalen Bauwerke ‒ allen voran die Pyramiden von Gizeh, die als letztes noch existierendes der sieben antiken Weltwunder noch längst nicht alle ihrer Geheimnisse preisgegeben haben ‒ nach wie vor bestaunt werden können. Und Howard Carters Entdeckung des nahezu unversehrten Grabes von Tutanchamun im Jahr 1922 gehört zu den spektakulärsten archäologischen Funden aller Zeiten.
Als nach Öffnung des Grabes etliche Mitglieder von Carters Team auf scheinbar rätselhafte Weise ums Leben kamen, wurde schnell vom «Fluch des Pharao», der insbesondere von dessen Mumie ausgegangen sein soll, gesprochen, und auch wenn wissenschaftliche Untersuchungen diese These widerlegten, blieb im öffentlichen Bewusstsein doch ein gewisses Unbehagen gegenüber diesen für ein Leben nach dem Tod präparierten Körpern haften.
Die geheimnisvolle und furchteinflössende Aura der Mumifizierten machten sich Literaten indes schon lange vor Carters Fund zu Nutze. Bereits 1827 wurde Jane C. Loudon mit ihrem Roman «The Mummy! A Tale of the Twenty-Second Century» zur Trendsetterin; bekannte Autoren wie Edgar Allen Poe, Arthur Conan Doyle und Bram Stoker folgten und trugen ihren Teil zur Mumien-Mythologie bei.
Da konnte natürlich auch der Film nicht lange hinten anstehen. Und es waren die Universal Pictures, die 1932 ‒ ein Jahr nach DRACULA und FRANKENSTEIN ‒ mit Boris Karloff als Imhotep in THE MUMMY das Horror-Genre durch eine eindrucksvolle Figur bereicherten. Die dann aber zunächst auf Eis gelegt wurde, bevor das Studio zwischen 1940 und 1944 vier weitere Mumien-Filme produzierte, allerdings trotz illustrer Namen wie Lon Chaney Jr., John Carradine oder Wallace Ford auf den Besetzungslisten auf B-Picture-Niveau und musikalisch betreut von Hans J. Salter, Frank Skinner, William Lava und Paul Sawtell. Und nachdem das Komikerduo Abbott und Costello 1948 in ABBOTT AND COSTELLO MEET FRANKENSTEIN bereits Dracula, Frankenstein und Co. durch den Kakao gezogen hatten, kriegte 1955 in ABBOTT AND COSTELLO MEET THE MUMMY auch das Bandagen-Monster sein Fett weg. Den Score teilten sich Irving Gertz, Henry Mancini, Lou Maury und Hans J. Salter.
Da von keinem der bisher genannten Filme musikalisch je etwas veröffentlicht wurde, begeben wir uns jetzt ins Jahr 1959 und gleichzeitig in eine neue Ära des Horrorfilms.
THE MUMMY (1959) Franz Reizenstein
Obwohl Hammer bereits seit den 1930er-Jahren Filme produzierte, wurde das kleine englische Studio erst ein Begriff, als es 1957 begann, das Horror-Genre einer Frischzellenkur zu unterziehen. Grafische Gewalt, Erotik und wirkungsvolle Farbdramaturgie sollten das Publikum ins Kino locken und die bislang eher als Nebendarsteller in Erscheinung tretenden Christopher Lee und Peter Cushing wurden als Aushängeschilder des Hammer-Universums recht schnell zu Ikonen des Genres. Es feierten die Universal-Monster-Urgesteine Frankenstein und Dracula ihre Wiederbelebung, und auch die Mumie liess nicht lange auf sich warten, mit der bewährten Besetzung durch Lee als Bösewicht und Cushing als Retter in der Not, Terence Fisher auf dem Regiestuhl und Jack Asher hinter der Kamera. Lediglich bei der Musik tat sich Überraschendes, da nicht der sich mit THE CURSE OF FRANKENSTEIN und DRACULA bestens empfehlende James Bernard ‒ den man quasi als Hammers Hauskomponist wahrnimmt ‒ zum Zug kam, sondern Franz Reizenstein.
Für den in Nürnberg geborenen Reizenstein, der unter Hindemith und Vaughan Williams studierte und 1968 im Alter von nur 57 Jahren starb, war THE MUMMY die erste von bloss einer Handvoll Filmmusiken und man erkennt unschwer, dass hier ein bestens ausgebildeter Komponist am Werk ist. Ebenso stimmungs- wie wirkungsvoll versteht er in seinem traditionellen sinfonischen Score Orchester und Chor einzusetzen, letzterer ist insbesondere integraler Bestandteil des prächtigen und geheimnisvollen, gediegen orientalischen Hauptthemas. Mit sicherer Hand navigiert Reizenstein durch romantische, dramatische und spannungsvolle Gefielde und hält dabei seine Musik stets auf einem bemerkenswerten Niveau. Das macht THE MUMMY zu einer echten Perle der Sparte. Das sah wohl auch Christopher Lee so, der auf Track 1 des von GDI Records im Jahr 1999 veröffentlichten Scores sowohl Film als auch Musik in den höchsten Tönen lobt. Auch wenn klanglich noch Luft nach oben wäre, ist diese CD, auch in bezüglich Aufmachung und Liner Notes, eine höchst erfreuliche Sache.
THE CURSE OF THE MUMMY’S TOMB (1964) Carlo Martelli
1964 brachte Hammer einen neuen Mumien-Film auf den Markt, jedoch ohne die vertrauten Namen vor und hinter der Kamera. Mit dem als Sohn eines Italieners und einer Engländerin 1935 in London geborenen Carlo Martelli haben wir es hier mit einem in Filmmusik-Kreisen wenig geläufigen Komponisten mit einem schmalen, hauptsächlich im Horrorbereich angesiedelten Werks-Katalog zu tun. Er setzt in seinem Score für ein rund 50-köpfiges Orchester oft auf schwere und dunkle, moderat moderne und dissonante, aber auch elegische Klänge. Daneben macht er Gebrauch von einschlägigen klassischen Werken wie Ippolitov-Ivanovs «Procession of the Sardar» und Rimski-Korsakows «Scheherazade», allerdings wird dies weder im Booklet noch auf dem Back-Cover der 2000 bei GDI-Records erschienenen CD erwähnt. Im Gegensatz zu einem von Reizensteins MUMMY-Score entliehenen Track, der eine Flashback-Sequenz untermalt. Insgesamt wirkt THE CURSE OF THE MUMMY’S TOMB daher etwas uneinheitlich, aber fokussiert man sich auf das reine Martelli-Material, hat man es mit einer recht soliden Mumien-Musik zu tun.
BLOOD FROM THE MUMMY’S TOMB (1971) Tristram Cary
1967 folgte mit THE MUMMY’S SCHROUD Hammers dritter Mumien-Streich, aber da vom Score des Australiers Don Banks bislang offiziell nur kurze Auszüge veröffentlicht wurden, machen wir unverzüglich einen Sprung ins Jahr 1971, wo sich das Studio an einen weiteren Mumien-Streifen wagte. Basierend auf Bram Stokers «The Jewel of Seven Stars», kriegen wir es diesmal mit einer mit magischen Kräften ausgestatteten, ägyptischen Königin zu tun, deren Mumie nach England gebracht wird und darauf von einer jungen Frau Besitz ergreift. Für die Musik wurde Tristram Cary verpflichtet. Der 1925 in Oxford geborene Engländer, der mit dem Comedy-Klassiker THE LADYKILLERS gleich dick ins Filmgeschäft einzusteigen vermochte, gehörte zu den Pionieren der elektronischen Musik. Bei BLOOD FROM THE MUMMY’S TOMB gelingt ihm eine harmonische und zweckdienliche Mischung aus Orchester und Elektronik, wobei bei ersteren vor allem Blasinstrumente und Perkussion eine wichtige Rolle spielen. Ominöse Klänge, sowohl unterschwellige als auch konkrete Bedrohung, Spannung und gegen Ende hin sich vermehrende Dramatik halten die Aufmerksamkeit des Hörers aufrecht. Atmosphäre ist Cary wichtiger als thematische Aufarbeitung, und das gelingt ihm recht gut. Eine durchaus würdige Mumien-Filmmusik und von GDI-Records 2002 mit einer Veröffentlichung bedacht.
THE AWAKENING (1980) Claude Bolling
Eine weitere filmische Adaption von Stokers Roman mit viel Kompetenz vor und hinter der Kamera: der zuvor hauptsächlich fürs Fernsehen tätige, englische Regisseur Mike Newell (FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL), an der Kamera Jack Cardiff, für die Spezialeffekte zuständig John Stears, der nebst STAR WARS und OUTLAND ebenso wie Titelgestalter Maurice Binder für mehrere James-Bond-Filme zu Diensten stand, die Besetzung angeführt von Charlton Heston, Susannah York, Jill Townsend und Stephanie Zimbalist. Und mit Claude Bolling ein gegen den Typ besetzter Komponist. Für Bolling, der sich vor allem im Jazz heimisch fühlte, was sich auf viele seiner Filmmusiken auswirkte, war THE AWAKENING als einziger Ausflug ins Horror-/Fantasy-Genre eine grosse Herausforderung, der er sich aber gerne stellte. Er sicherte sich die Unterstützung der amerikanischen Film-Orchestratorin Nancy Beach und meisterte seine Aufgabe mit viel Feingefühl im Bereich düsterer Romantik und untrüglichem Sinn für moderner gehaltenen, aber nichts desto trotz gepflegten Spannungs- und Schauer-Momenten. Ein besonderer Leckerbissen ist das betörende, zwischen Orient und Okzident hin- und her switchende «Queen Kara»-Theme, das sicherlich mit dazu beigetragen hat, dass sich der Score ‒ und das völlig zu Recht ‒ im Laufe der Zeit einen Kultstatus zu erwerben vermochte.
Deshalb wurde die gleichzeitig zum Film veröffentlichte LP von Entr’acte-Records zum gesuchten Sammlerstück, ehe der Score in erweiterter Fassung 2009 auf der Bolling-Doppel-CD «American Movies» vom Label Fremeaux & Associés erstmals digital erhältlich war. 2016 brachte Quartet Records dieses Programm, ergänzt mit der Filmversion von «Queen Kara», bei der als Besonderheit eine Schalmei zu hören ist, wieder auf den Markt. Und nun bietet das Label den Score in einer auf 300 Stück limitierten Edition klanglich leicht verbessert erneut an. Ich habe die 2016-Version nicht, aber ich gehe davon aus, dass sich diese ansonsten in Sachen Liner-Notes nicht von ihrer neusten Inkarnation unterscheidet. Dank des identischen, grossartigen Covers, das schon die LP zu einem Hingucker machte ‒ ist jedoch sowohl die eine wie auch andere nicht nur ein Ohren-, sondern auch ein Augenschmaus.
AMAZING STORIES: MUMMY, DADDY (1985) Danny Elfman, Steve Bartek
Diese von Steven Spielberg konzipierte Sammlung unglaublicher Geschichten haben Filmmusikfans vor allem wegen der zahlreichen hochkarätigen Komponisten, die daran beteiligt sind, in guter Erinnerung. Die Storys als solche sind von unterschiedlicher Qualität, MUMMY, DADDY kann getrost zu den besseren gezählt werden, da es sich um eine sympathische Parodie klassischer Monsterfilme handelt. Im ländlichen Amerika wird ein Mumienfilm gedreht, und als die schwangere Frau des Hauptdarstellers früher als erwartet niederkommt, rast der werdende Vater voll kostümiert in Richtung Krankenhaus, kommt aber nicht weit, weil der Tank seines Wagens leer ist. Da schon seit Jahrzehnten eine echte Mumie die Gegend unsicher macht, sieht er sich alsbald von ansässigen Rednecks verfolgt, und als dann auch noch die echte Mumie seinen Weg kreuzt, ist die Kacke so richtig am dampfen. Hierzu lieferte Danny Elfman ‒ in Zusammenarbeit mit Steve Bartek ‒ einen seiner ersten Scores, und bereits kristallisiert sich das da und dort von Nino Rota inspirierte, Quirlige seiner späteren Genre-Beiträge heraus. Orgel, Mundharmonika, Maultrommel und Country-Klänge bereichern den kleinen, lebhaften Score. Diese Mumien rocken definitiv. MUMMY, DADDY ist auf Intradas 2006 veröffentlichter «Anthology One» der AMZAZING STORIES mit drauf.
THE MUMMY (1999) Jerry Goldsmith
Um die Jahrtausendwende reanimiert das Universal-Studio mit der Mumie eine seiner Horrorfiguren und bettet sie in ein Spektakel ein, das eher Indiana Jones verpflichtet ist als dem klassischen Monsterfilm. In Stephen Sommers› rasantem und mit vielen Computereffekten versehenen Film müssen sich Brendan Fraser, Rachel Weisz und John Hannah den Geistern erwehren, die sie erweckten und die sich ‒ angeführt vom charismatischen Südafrikaner Arnold Vosloo ‒ hartnäckig an ihre Fersen setzen. Mit hörbar viel Freude und Engagement ist Jerry Goldsmith bei der Sache, sticht dieser Score doch angenehm aus seinem oftmals routiniert wirkenden Spätwerk heraus, und das macht ihn zu einem Fan-Favoriten. Goldsmith huldigt nicht nur mit religiösen und rituellen Chören sowie Mystik dem antiken Ägypten, sondern erweist dem Land am Nil darüber hinaus mit romantisierenden und folkloristischen Klängen die Ehre. Und natürlich kann er sich auch ausgiebig im Bereich von Action und Abenteuer austoben. So haben wir es mit einer Musik zu tun, die richtig Spass macht und auch in ihrer kompletten, 90-minütigen Form, mit der uns Intrada 2018 beglückte, kaum Langeweile aufkommen lässt.
THE MUMMY RETURNS (2001) Alan Silvestri
Nach dem Erfolg von THE MUMMY ist ein Sequel unausweichlich. Sowohl Sommers als auch die Hauptdarsteller finden erneut zusammen, und ein gewisser Dwayne «The Rock» Johnson feiert sein Leinwand-Debüt. Für die Musik zuständig ist diesmal jedoch Alan Silvestri, und der tut sein Möglichstes, um der nicht gerade vor Originalität strotzenden Handlung so richtig einzuheizen. Und das macht er recht ordentlich, auch wenn sein Score nicht ganz an die Raffinesse von Goldsmiths Vorgänger heranreicht. Seine unbestreitbaren Stärken im Action-Bereich kann er voll ausspielen, und auch seine Ausflüge ins Abenteuerliche, Romantische und Ethnische vermögen ‒ obwohl sie nicht frei von filmmusikalischen und klassischen Vorbildern sind ‒ zu überzeugen. Einige Durchhänger gibt es jedoch vor allem in Sachen Spannung zu konstatieren, und das macht sich insbesondere bei der von Intrada gleichentags wie THE MUMMY veröffentlichten Komplettfassung bemerkbar. Die ist mit einer Laufzeit von gegen zwei Stunden eindeutig zu lang und drückt den durchaus gegebenen Unterhaltungsfaktor nach unten. Trotzdem geht für Silvestri der Daumen hoch.
BUBBA HO-TEP (2002) Brian Tyler
Elvis lebt, und zwar in einem texanischen Altersheim, wo er über die Vergänglichkeit des Lebens und Probleme mit seinem besten Stück sinniert. Als jedoch plötzlich eine ägyptische Mumie die Residenz heimsucht und beginnt, die Senioren ihrer Seelen zu berauben, erwacht er aus seiner Lethargie und schmiedet mit einem Mitbewohner, der sich für John F. Kennedy hält, Pläne, um sich des ungebetenen Gastes zu entledigen. Diese schräge und liebevolle Horror-Komödie, in der Bruce Campbell und Ossie Davis mit unverblümten Dialogen glänzen, hat das Zeug zum Kultfilm, nicht zuletzt auch wegen Brian Tyler. Dessen Score hält für den King ein wehmütiges, vom Rock’n’Roll inspiriertes Thema bereit, bei dem Tyler sämtliche Instrumente wie Gitarren, Klavier und Perkussion selbst eingespielt hat, und sogar beim «Elvis-Chor» handelt es sich um seine eigene, gesampelte Stimme. Daneben repräsentieren auch hard-rock-artige Passagen gewisse Gemütszustände von Elvis. Wenn es um die Mumie geht, ändert sich die Musik radikal, hin zu düsteren, avantgardistischen Horrorklängen mit ägyptischem Touch, wofür Tyler zu Orchester und Chor greift. Eine durchaus erfrischende und unkonventionelle Arbeit Tylers, die, wenn wir bei der Thematik bleiben wollen, ebenso wie der Film dem 2017 produzierten Mumien-Mumpitz mit Tom Cruise ganz eindeutig vorzuziehen ist. Silver Sphere veröffentlichte BUBBA HO-TEP 2003 in einer limitierten Edition.
19.03.2021