Murder on the Orient Express (2017, bluray)

Ich gebe es zu, ich bin ein grosser Fan von Peter Ustinov als Hercule Poirot. Er hat diese Rolle definiert und dem Charakter von Agatha Christie viel Witz und den so unvergleichlichen Zynismus verliehen, wie kaum ein anderer. Gleich danach kommt der wunderbare Albert Finney, der den belgischen (ganz wichtig, nicht französischen!) Detektiven in der Verfilmung von 1974 meisterhaft gibt. Und dann sind wir sogleich bei einem weiteren Vergleich, denn der Film von Sidney Lumet hat die selbe Geschichte Christies zur Grundlage, eben, MURDER ON THE ORIENT EXPRESS. Wie beim 74er, der gleich für sechs Oscars nominiert war (nur Ingrid Bergman gewann als beste Nebendarstellerin) kann auch Kenneth Branaghs Version mit einem Allstar-Cast aufwarten: Judi Dench, Michelle Pfeiffer, Willem Dafoe, Penélope Cruz und Johnny Depp versuchen gegen Poirot anzukommen. Doch wichtige Nebenrollen wie die des Zugmanagers Bouc (Tom Bateman), Graf Andreyi (Sergei Polunin) oder Ratchetts rechte Hand MQueen (Josh Gad) bleiben erschreckend blass. Rollen die unter Sidney Lumet von Martin Balsam, Michael York und Anthony Perkins erinnerungswürdig gespielt wurden. Überhaupt reicht die Besetzung in Branaghs Version nicht an die von 1974 heran. Johnny Depp wirkt gelangweilt (man vergleiche den charismatischen Richard Widmark in der gleichen Rolle oder Sean Connery als Arbuthnot, die Liste geht weiter) und Michelle Pfeiffer vermag ihre gewichtige Rolle nicht auszufüllen. Bleibt die Frage wie sich Kenneth Branagh als Poirot macht? Er schlägt sich gut, hat einige wunderbare Auftritte und verteilt immer wieder giftige, kleine, schmerzhafte Spitzen, Poirot eben. Etwas gewöhnungsbedürftig ist sein Schnäuzer. Doch da erinnere man sich an 1974, als Agathe Christie höchstpersönlich Finneys Schnäuzer ebenfalls nicht für gelungen empfand und das auch äusserte.

Als sehr gelungen darf man die Kameraarbeit von Haris Zambarloukos, der für Branagh THOR, SLEUTH und JACK RYAN: SHADOW RECRUIT fotografierte, nennen. Die Kamerafahrt, die Poirot von aussen durch den ganzen Zug begleitet, das ist wirklich toll choreografiert und umgesetzt. Die Aussenaufnahmen des Luxuszugs in den Bergen, zweifellos viel davon im Computer gestaltet, wirken durchaus gut. Was jedoch negativ ins Gewicht fällt sind einige merkwürdige Besetzungen (Leslie Odom jr. als Arbuthnot ist ein Totalausfall) und Poirots Fähigkeit in Zweikämpfen und Verfolgungsjagden mitzutun, nein, darauf hätte sich der Poirot, so wie viele ihn kennen, nie eingelassen. Poriot hat seine Fälle mit bohrenden Fragen, messerscharfem Verstand und Beobachtungsgabe, nicht aber mit Fäusten und einem scheinbar meisterhaften Umgang mit seinem Gehstock gelöst. Doch daran kranken viele heutige Blockbuster, es muss unbedingt irgend ein Gerangel, eine Actionszene im Geschehen untergebracht werden – nötig ist dies freilich auch hier nicht, es wirkt eher befremdend.

Zum Schluss bleibt ein „na ja“ übrig. Der Film wirkt teils arg aufgeblasen – fast wie Johnny Depps Gesicht – stellenweise langfädig und unnötig theatralisch. Als Remake vermag Branaghs Version nicht mit dem tollen Vorgänger mitzuhalten. Das gilt leider auch für die Musik: Für Patrick Doyle hätte es wahrhaftig Momente gegeben zu brillieren und die vielen Aufnahmen des Zugs, der durch die verschneiten Berge pflügt, mit einer bleibenden und kräftigen Musik zu begleiten. Doch Doyles Score ist erschreckend zurückhaltend, weder scheint er vom dampfenden Ungetüm noch von der lang andauernden Auflösung besonders inspiriert zu sein. Ob das die Anweisungen von Branagh waren oder Doyle nicht mehr will oder kann, eine Antwort darauf wäre schon interessant. Doch wenn man die letzten Zusammenarbeiten mit Branagh anschaut, eine Regisseur/Komponisten Beziehung in der Doyle zu Beginn richtig aufblühte (MUCH ADO ABOUT NOTHING, DEAD AGAIN usw.), keiner seiner Scores zu CINDERELLA, JACK RYAN oder THOR, konnte wirklich überzeugen, im Gegenteil. Zu guter Letzt wird dem Film ein lahmer Song, der über den End Credits läuft, gesungen von Frau Pfeiffer höchstpersönlich, verpasst.

MURDER ON THE ORIENT EXPRESS spielte weltweit das fünffache seines Budgets ein, so dass wir ziemlich sicher mit einer Fortsetzung rechnen dürfen; schliesslich macht sich Poirot am Ende des Films auf nach Ägypten, dort sei auf dem Nil ein Mordfall passiert, den es zu lösen gelte. Schauen wir mal was aus dem für 2019 tatsächlich angekündigten DEATH ON THE NILE wird.

Phil, 17.3.2018

MURDER ON THE ORIENT EXPRESS

R: Kenneth Branagh

D: Kenneth Branagh, Derek Jacobi, Judi Dench, Michelle Pfeiffer, Willem Dafoe u.v.m.

Musik: Patrick Doyle

Erscheinungsdatum: 22.3.2018

 

 

 

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