Mr. Skeffington

Review aus The Film Music Journal No. 20, 1999

Es erstaunt allmählich nicht mehr, daß fast jede Veröffentlichung in Marco Polos Filmmusik-Serie ein besonderes Ereignis darstellt, denn das vom Produzenten Klaus Heymann mit seinem risikofreudigen Placet versehene Team Stromberg/Morgan zählt sowohl hinsichtlich Auswahl als auch Realisierung zu den erfahrensten Gespannen im heutigen Filmmusikzirkus.

Franz Waxmans MR. SKEFFINGTON zählt wohl kaum zu den älteren Hollywoodpartituren, die man sich als dringendes Aufnahmeprojekt vorgestellt hat, denn der Film gehört trotz der Mitwirkung von Bette Davis und Claude Rains nicht zu den Klassikern des Warner-Studios, und Waxmans frühe Jahre sind immer noch wenig erforscht. Rains spielt die Titelfigur, doch Davis bekam mit der verruchten Ehefrau erneut eine wie für sie geschaffene Intrigenrolle zugeschustert und dominiert den Film.

Für beide hat der «Main Title» gleich entsprechende musikalische Gestalten parat. MR. SKEFFINGTON’s Thema, eine sonore, elegische Melodie mit slawischem Einschlag, wird zwar breit ausgespielt, umlagert aber von Fannys Motiv, das sich gleich nach der Fanfare dazwischen drängt: eine zunächst nur eine Sekunde lang aufblitzende, gezackte Figur, die hinfort in dissonanter Harmonisierung den labilen Charakter Fannys ebenso einfach wie bestechend erfaßt. Waxman griff die Gelegenheit zu einer widerspenstig gestuften Kantilene nur zu gern auf. Kehrt sie im späteren Verlauf wieder, so drosselt oder forciert Waxman das Tempo, wodurch sich auch der Charakter verändert, mal mehr zur wilden Furie tendiert, dann wieder als einschmeichelnd werbende Unschuld.

Selten hat ein derart knappes, nur aus fünf Tönen bestehendes Motiv derartige dramatische Umpointierungen so genial wiedergegeben. Gesellschaftsmusik, dramatisierende Einlagen und illustrative Momente vermengen sich aufs Wirkungsvollste. Waxmans späteres Porträt einer gleichfalls derangierten Frauengestalt (Gloria Swanson) in der berühmten SUNSET BOULEVARD-Partitur wird hier womöglich noch überboten, weil Davis nicht so outriert wie Swanson, und die Musik sich auf sensiblere Ausdeutungen des Seelenzustandes einlassen kann.

MR. SKEFFINGTON ist ein weiteres hervorragendes Beispiel für Waxmans Kunst, die Hollywoodkonventionen behutsam zu modernisieren, ohne die eigenen Studiofunktionäre abzuschrecken.

Matthias  |  1999

MR. SKEFFINGTON
Franz Waxman
Marco Polo
62:57 | 17 Tracks