Moonfleet

Review aus The Film Music Journal No. 33/34, 2005

Als in den 70er Jahren drei LPs mit Neueinspielungen ausgewählter Filmmusiken Miklós Rózsas erschienen, von ihm selbst in London dirigiert, da gab es kaum ein Stück, das mich so faszinierte wie der Main Title zu MOONFLEET (1955). Nach einem bedrohlichen Einstieg entfaltet sich eines der schönsten Themen, das Rózsa je komponiert hat. Dem Bewegungsduktus entsprechend gehört es eigentlich in eine Tanzsuite des 18. Jahrhunderts (in dem der Film spielt), aber die modale Melodiebildung und die pastorale Anmut verweisen auf britische Musik des 20. Jahrhunderts, obwohl der Komponist auch hier zu keinem Zeitpunkt seine typischen Imitationen ausspart.

Seither habe ich auf eine vollständige CD gewartet. Vor einigen Jahren gab es eine Bootleg- CDR, aber erst jetzt hat Lukas Kendall ein offizielles Album präsentiert, das neben den 46 Minuten des Scores auch etliche Outtakes und szenische Anteile der Gesamtkomposition beinhaltet. Schon der Titel MOONFLEET ist reine Poesie, die im deutschen Titel «Das Schloß im Schatten» keine Entsprechung fand. Eigentlich muss man das «Prelude» nicht nur hören, sondern auch sehen, denn in schlichtweg genialer Weise vermengen sich die orangegoldenen Buchstaben der Credits und der Rhythmus der anbrandenden Wellen (bzw. der Schnitt des Films) mit den musikalischen Gesten. Derweil das schöne Thema seine Kreise zieht, fügt Rózsa auf- und niederrauschende Figurationen hinzu, die auf musikalische Weise der aufpeitschenden Meeresgischt entsprechen.

Kleiner Exkurs: die bislang einzige DVD der schaurig-schönen Schmugglerballade mit Stewart Granger und der verwegen gestylten Viveca Lindfors gibt es in Frankreich unter dem Titel «Les Contrebandiers de Moonfleet». Sie bietet die englische Originalfassung, zu der entsprechende Untertitel abrufbar sind. Den exzellent restaurierten Farben, die schon im goldglänzenden Vorspann auf sich aufmerksam machen, entspricht eine beglückende Stereotonspur. Französische Extras, darunter eine Analyse und ein Lang-Porträt, sind allerdings nur dem Frankophonen zugänglich.

Das besagte Thema kehrt im ersten Teil des Films einige Male zurück, wird aber vor den Endtiteln nicht mehr so pathetisch hochgeputscht, sondern als schwermütige Holzbläsermelodie eingeflochten. Viel häufiger setzt Rózsa jenes Dreitonmotiv ein, welches ganz zu Beginn mehrfach erklingt. Sein dramatischer Zuschnitt akzentuiert die handlungsaktiven Szenen, ist allerdings ohne Filmbezug nicht so attraktiv wie andere Hauptelemente. Dafür gibt es eine weitere Perle der Melodiencollection zu bewundern, und zwar inmitten von Track 4. Der Abschnitt Summerhouse beruht auf einer ebenso schlichten wie edlen Englischhornvokalise, die nach kurzer Unterbrechung einmal zurückkehrt und dennoch zu früh verabschiedet wird.

In der zweiten Hälfte wird der Score ein wenig einsilbiger, weil die Spannungselemente filmbedingt überwiegen und sich nur wenige reflexive Momente eingestreut finden. Trotzdem gibt es weiterhin attraktive Abschnitte. Neuerlich greift Rózsa auf einen seit MADAME BOVARY vertrauten Tanz («Passepied») zurück, und eine der spärlichen Panoramaaufnahmen gilt dem Ritt nach Hollisbrooke Castle. Unspektakulärer, aber zugleich feinfühliger ist Rózsas Kunst in «Forsaken», einem kurzen Moment der Ruhe. Das Dreitonmotiv erscheint in wechselnden Instrumentengruppen und klingt nicht mehr bedrohlich, sondern nachdenklich, vor allem aber zeigt sich indirekter Nachbarschaft seine melodischeVerwandtschaft zum Hauptthema, das sich kurz darauf anschließt. Ihm gehört auch der angemessen-pompöse Ausklang.

Mit dem nun vorliegenden, kompetent edierten und betexteten MOONFLEET-Album ist somit ein alter Herzenswunsch in Erfüllung gegangen, für dessen Realisierung FSM aufrichtig gedankt sei.

Matthias  |  2005

MOONFLEET
Miklós Rózsa
FSM Vol. 6 Nr. 20
77:11 | 26 Tracks