Moby Dick

Review aus The Film Music Journal No. 17/18, 1999

Ohne Umschweife: die CD des Jahres! Der Engländer Philip Sainton hat nur eine Filmmusik komponiert; die aber reicht aus, um ihm im Pantheon der Allergrößten einen Platz zu sichern. John Hustons Adaption (1956) des legendären Melville-Romans ist seit jeher umstritten, weil sich die Besetzung des dämonischen Ahab mit dem alles andere, jedenfalls nicht dämonischen Gregory Peck als unglücklich erwies, überdies ein nicht repräsentativer Bruchteil der weit über hundert Romankapitel erfaßt wurde (die lahme TV-Neuversion mit Patrick Stewart hielt sich weitgehend an diese Vorgabe). Auch die Tricktechnik ließ damals wie heute zu wünschen übrig. So bleiben die speziellen Farben, die meisterlich erzeugte Atmosphäre zwischen Abenteuerlust und Zerstörungswut -und eine der genialsten Filmmusikpartituren aller Zeiten.

Die anhand des Manuskripts sorgfältig rekonstruierte, komplette Neuaufnahme besticht durch die Bank. Da ist zum einen der sinnfällige Materialvorrat, welcher bereits im ersten, kaum zwei Minuten dauernden Track disponiert wird: drei zentrale Ideen für Ahab, den Wal sowie das Schiff lassen sich in der Folge immer mal wieder hören, speziell natürlich in den finalen Stücken, als MOBY DICK ernst macht. Aber Sainton verläßt sich nicht auf diese Einfälle, sondern folgt aufmerksam den Kernelementen der Handlung. Gleich der zweite Cue reiht sich ein in die große Traditionslinie britischer See-Stücke, von Vaughan Williams über Britten bis hin zu Bax. Von überschäumender Vitalität kündet nicht nur diese «Sea Music». Ehe es hinausgeht zum Walfang, hat erst der Kirchgang nebst Predigt und Verabschiedung seine Zeit, und schon in der tragisch abgedunkelten Chorhymne «Ribs & Terrors in the Whale» wuchern die schwarzen Schatten des großen Dramas. das nun entrollt wird.

Die Hälfte der Stücke ist um, als Ahabs Motiv sich während dessen großer Ansprache wieder meldet und seine selbstzerstörerische Obsession verkündet. Später folgen expansive, dynamische Abschnitte wie das Underscoring zum Walfang sowie als statischer Gegenpol qualvolles Warten auf Wind. Für das unheimliche, allen Seeleuten als böses Symbol einleuchtende Wetterphänomen des St. Elms Feuers hat sich Sainton von Debussys «Nocturnes» leiten lassen und einen wortlosen Frauenchor herbeigerufen; psychischer Terror par excellence. Und auch die Action-Liebhaber kommen voll auf ihre Kosten: «Eerie Calm/He Rises» beginnt mit jenen vielbeschworenen Momenten der Stille vor dem tödlichen Showdown. Die Flageolettöne der Streicher und kleine Flötensprenkler zerren mächtig an den Nerven. Dann bricht MOBY DICK aus den Tiefen des Ozeans hervor. Das große Sterben beginnt und versammelt nochmals die wesentlichen Motive. Als der Wal kurzen Prozeß macht, läßt Sainton sein Orchester kraftvolle Tutti-Axthiebe vollführen. Endlich dreht MOBY DICK ein zum Rammstoß und versenkt die Pequod. In einem furchtbaren Strudel taumelt das Schiff dem Unterseefriedhof entgegen, eingekreist von einem fatalistisch-morbiden Orchesterkommentar, dessen musikalische Substanz schon früh im Film die Vorhersage des Fremden begleitet hatte. Ishmael treibt als einzig Überlebender, an Queequegs Sarg gekrallt, in der See. Retten kann der beruhigte Ausklang freilich nichts mehr.

Saintons überbordender Score sticht aus dem Kontext der fünfziger Jahre Filmmusik kraß hervor und besitzt eine ganz individuelle Instrumentierung, in welcher sich die gedeckten Pastellfarben der Filmfotografie auf eigenartige Weise zu spiegeln scheinen. So gehen Bild und Ton eine mustergültige Synthese ein. Wer auf diese verzichten möchte, eile immerhin, um sich das düstere Tongedicht Philip Saintons zu besorgen. Es prägt sich tief ein.

Matthias  |  1999

MOBY DICK

Philip Sainton

Marco Polo

63:11 | 26 Tracks