Für Menschen meiner Generation gehörten sie zu den ersten Kinoerlebnissen überhaupt, die Karl-May-Filme der 1960er-Jahre, allen voran jene um den stolzen Apachenhäuptling Winnetou und seinen Blutsbruder Old Shatterhand. Als Gegenentwurf zu den praktisch gleichzeitig aufkommenden Spaghetti-Western ging hier alles etwas zivilisierter zu und her, war die Trennlinie zwischen Gut und Böse klar gezogen, hielt sich die gezeigte Gewalt in den allernötigsten Grenzen, und damit waren für diese Streifen auch jüngere Jahrgänge bedenkenlos zugelassen.
Was für die familientaugliche Darstellung des Wilden Westens gilt, das kann auch über die dazugehörige Musik gesagt werden. Meist eher behäbig und mit getragenen Themen werden die edlen Charakterzüge von Winnetou, Old Shatterhand, Old Surehand und Co. besungen, und die Klänge für die Bösewichte lassen niemanden vor Angst erstarren. Aber eins ist allen gemein: sie besitzen einen hohen Wiedererkennungswert, tragen das ihrige zum Gesamteindruck der Filme bei und sind schon längst Kult.
Der Mann hinter dieser Musik heisst Martin Böttcher. Als Urenkel eines Weimarer Hofkapellmeisters am 17. Juni 1927 in Berlin geboren und seit einem Unfall als Vierjähriger auf dem linken Ohr taub, kam er schon in jungen Jahren mit dem Klavier in Kontakt. Als er im zweiten Weltkrieg als Angehöriger der Luftwaffe in Kriegsgefangenschaft geriet, brachte er sich autodidaktisch das Gitarrenspiel bei. Nach dem Krieg verschlug es ihn nach Hamburg, wo er sich zunächst in verschiedenen Orchestern auf dem Gebiet der Unterhaltungsmusik als Gitarrist einbrachte. Erste Kontakte zur Filmmusik knüpfte er als Arrangeur für Komponisten wie Michael Jary und Hans-Martin Majewski.
Der Produzent Artur Brauner verschaffte ihm 1955 den ersten Auftrag als Filmkomponist für DER HAUPTMANN UND SEIN HELD. Schon mit seinem zweiten Film angelte er sich mit DIE HALBSTARKEN einen ganz grossen Brocken. Neben seiner Tätigkeit beim Film schuf Böttcher auch Chansons für namhafte Stars wie Françoise Hardy und Romy Schneider und nahm als Songschreiber 1960 gar an der deutschen Endausscheidung zum «Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne» teil, wobei es zum Sieg nicht ganz reichte.
Die 1960er-Jahre erwiesen sich als das prägendste Jahrzehnt für Martin Böttcher. Nebst den Karl-May-Filmen kam er auch bei der zweiten, bedeutenden Filmreihe des deutschen Kinos ‒ den Edgar-Wallace-Streifen ‒ mehrmals zum Einsatz, und die beiden populären Pater-Brown-Adaptionen DAS SCHWARZE SCHAF und ER KANNS NICHT LASSEN mit Heinz Rühmann in der Titelrolle wurden musikalisch ebenfalls von ihm betreut. In diesen Kriminalfilmen konnte er neben Spannung, Romantik und etwas Humor auch seiner Leidenschaft für den Jazz frönen.
Die Krimis sollten ihn weiterhin begleiten, obwohl sie sich, vor allem in den Siebzigerjahren, immer mehr ins Fernsehen verlagerten. SONDERDEZERNAT K1, DERRICK oder DER ALTE, sie alle profitierten von Böttchers Fertigkeit. Seine Vielseitigkeit konnte der Komponist ausserdem in weiteren TV-Serien wie FORSTHAUS FALKENAU, Klamotten wie VERLIEBTE FERIEN IN TIROL oder der Heinz-Erhardt-Komödie WILLI WIRD DAS KIND SCHON SCHAUKELN unter Beweis stellen.
Direkt oder indirekt war Böttcher bis zum Ende seiner Karriere auch immer wieder in Sujets involviert, die untrennbar mit ihm verbunden sind. Die von 2003‒2014 ausgestrahlte PFARRER-BRAUN-Serie mit Ottfried Fischer etwa (ein eingedeutschter Pater Brown) enthielt bis auf eine Episode Musik von ihm, während Heiko Maile (DIE WELLE, VORSTADTKROKODILE) für das Karl-May-Reboot WINNETOU ‒ DER MYTHOS LEBT (2016) viele der bekannten Böttcher-Themen in neuen Bearbeitungen in seinen Score einbaute.
Es sollte die letzte Verneigung vor einem grossen Komponisten sein, der während sechs Jahrzehnten die deutsche Kino- und Fernseh-Landschaft mit viel Schaffenskraft und -freude entscheidend mitgeprägt hat. Nun ist Martin Böttcher am 20. April 2019 im Alter von 91 Jahren für immer eingeschlafen. Dank seiner Musik wird er unvergessen bleiben.
Andi, 29.4.2019