Madame Bovary

Review aus The Film Music Journal No. 25, 2001

Gerne spricht man in Bezug auf MADAME BOVARY (1949) von einem Wendepunkt und einer Neuorientierung innerhalb Miklós Rózsas filmmusikalischer Laufbahn. Mit dem Beginn seiner historischen Phase bei MGM ab 1949 eiste sich der Komponist von seinen schroffen Film Noir-Scores Ios und wurde zum Spezialisten für romantische Kostümfilme und Epen auserkoren.

Nun liegt die atemberaubend schöne romantische Musik zu MADAME BOVARY, eines von Rózsas allerfeinsten Tongemälden, endlich in der Originalaufnahme vor. Wurden die vorhergehenden Komplett- Rózsas von Ticker Tape veröffentlicht, so segelt die MADAME BOVARY-CD nach längerer Zeit der Abwesenheit mal wieder unter der Flagge vom halblegalen Piratenschiff Tsunami, desselben Produzenten zweites Steckenpferd. Bisher gab es zwar Eimer Bernsteins kompetente und von der Tonqualität her bessere Neuaufnahme mit dem Royal Philharmonic Orchestra von 1978 auf einer längst vergriffenen LP seiner Film Music Collection, doch erreichte diese Einspielung, obwohl sehr empfehlenswert, längst nicht die Dynamik und ausdrucksvolle Dramatik des von Rózsa selbst dirigierten Originals.

MADAME BOVARY ist als Film ein leider selten aufgeführtes und unterschätztes Meisterwerk vom eher als Musicalregisseur bekannten Vincente Minnelli, dessen phänomenaler Sinn für ausgeklügelte Bildkompositionen, opulente Dekors und flüssige Kamerabewegungen hier einen absoluten Höhepunkt erreicht hat. Gustave Flauberts Roman vom schönen Bauernmädchen, das an seinen Träumen vom Ausbruch aus der kleinbürgerlichen Ehe mit einem Landarzt verzweifelt und schließlich im Selbstmord endet, wurde exquisit in Szene gesetzt und besticht durch hervorragende Schauspieler, allen voran Jennifer Jones, Van Heflin, Louis Jourdan und James Mason, der in einer Gerichtsverhandlung Flaubert selbst verkörpert.

Rózsa steht dem in seinem brillanten Score nicht nach und versteht es in vollendeter Weise, die einzelnen Personen und deren Gefühlsregungen mit seiner psychologisierenden Schreibweise zu charakterisieren. Dadurch entsteht eine großartige innere Geschlossenheit, in der alles nur einem einzigen Ziel untergeordnet ist: Den Zuhörer am tragischen Schicksal der Hauptfigur mit äußerster musikalischer Expressivität teilhaben zu lassen.

Eröffnet wird die Musik durch ein fulminant sich aufbäumendes, leidenschaftliches Hauptthema, das mit seinem emotionalen Orchestertuttti sogleich die ganze Geschichte der Emma Bovary und ihre Sehnsucht nach dem Unerreichbaren in Töne faßt. Dieses Thema bildet eine der Hauptstützen des Scores, und mit ihm wird sich auch, wie bei Rózsa üblich, im Finale der Vorhang schließen. Weitere intensive romantische Einfälle sind Emmas Ehemann Charles und ihren zeitweiligen Geliebten Lyon und Rodolphe zugeordnet. Das Thema für Charles ist äußerst innig und pastoral angelegt («Charles Meets Emma») und zeugt von dessen Bescheidenheit und Aufrichtigkeit. Die Liebe zu Léon (etwa in «Léon’s Love») drückt Rózsa mit einem für ihn typischen Cello-Solo aus, das in glutvolle Streicherklänge übergeht – vielleicht eine der schönsten Melodien, die Rózsa überhaupt komponiert hat.

Ebenso feinfühlig gestaltet ist das Thema für die Beziehung zwischen Emma und Rodolphe («Rodolphe’s Love»), eine ausdrucksvolle Streicherkantilene, die voller Zärtlichkeit und Empfindung dieses kurze, aber zum Scheitern verurteilte Glück musikalisch festhält. Sicher eines der bekanntesten Highlights aus MADAME BOVARY ist natürlich der elegante und schillernde Walzer, der etwas an Maurice Ravels «La Valse» angelehnt ist, sich in Verbindung mit den dahinwirbelnden Tänzern und der in allmählich schnellere Bewegung geratenden Kamera in immer weitere Ekstase hinaufsteigert, geradezu berauschend alles mitreißt und schließlich in sich zusammenbricht. Eine Tour de Force meisterlichen Scorings.

Überhaupt zählt MADAME BOVARY abseits der großen und bekannten historischen Epen zu Rózsas thematisch reichhaltigsten und lyrisch berückendsten Arbeiten, darin nur vergleichbar dem ähnlich gelagerten Geniestreich LUST FOR LIFE, der 1956 wiederum vom hochbegabten Vincente Minnelli inszeniert wurde. Leider fehlen auf der nicht durchweg taufrisch klingenden CD drei sehr reizende Rózsa -Tänze («Quadrille/Polka/Galop»), die im Film während des Balls noch vor dem großen Walzer gespielt werden und auf der alten Bernstein-LP zum Glück mit oben sind. Man fragt sich da wirklich, ob denn die Masterbänder nicht mehr komplett vorhanden waren?

Dafür enthält die CD eine eher mit der linken Hand skizzierte Jahrmarktsmusik («Town Fair»), die man ohne weiteres auch hätte weglassen können – im Film ist das sowieso reine Source Musik, die vollkommen untergeht. Geschlampt hat Tsunami auch beim Tracklisting: Es stimmt zwar die Gesamtanzahl der Tracks (19), aber nur deshalb, weil sich nicht nur einer, sondern gleich zwei Fehler eingeschlichen haben. Bei den auf dem Backcover angegebenen Tracks 4 («Charles Proposes») und 5 («Emma Has a Baby Girl») handelt es sich nämlich in Wirklichkeit nur um Track 4, der beide Cues zusammengezogen enthält. Dadurch verschieben sich alle Tracks bis zu dem auf dem Cover als Track 15 bezeichneten eigentlichen Track 14 («Memories – Léon’s Goodbye»), wo der umgekehrte Fall eintritt: Laut Coverangabe soll dieser Track aus zwei Piecen bestehen, realiter sind dies beim Anhören jedoch Track 14 und 15. Ein ziemliches Kuddelmuddel, das man sich bei besserem Sequencing durchaus hätte ersparen können.

Herbe Kritik verdient zudem das grauenhafte Cover, das gezeichnete Witzfiguren ausstellt, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Hauptdarstellern aufweisen. Der für solchen Schwachsinn zuständige Grafiker sollte sich wohl schleunigst einen anderen Job suchen, anstatt klassische Soundtracks (derselbe Unfug wiederholte sich vor kurzem bei Tsunamis CAPTAIN FROM CASTILE-CD) regelrecht zu verunstalten. Doch was zählt, ist natürlich Rózsas edle Musik, und die sollte in jedem Regal eines an Golden Age Filmmusiken Interessierten ihr Zuhause finden.

Stefan  |  2001

MADAME BOVARY

Miklós Rózsa

Tsunami

44:39 | 19 Tracks