Love is a Many Splendored Thing

Review aus The Film Music Journal No. 29, 2002

Die zweite Staffel der Varese-Club-Veröffentlichungen wartet mit einem ganz besonderen, eher unerwarteten Bonbon auf, nämlich dem kompletten Newman-Score zur in Hongkong spielenden Liebesromanze LOVE IS A MANY SPLENDORED THING

 (1955), der bislang nur in einem 20-minütigen Auszug und in weitaus schlechterer Tonqualität auf einem Bootleg des Labels Soundstage vorlag. Gleichzeitig zeichnet sich mit dieser Edition (und dem zum selben Zeitpunkt erschienenen Alex North Album THE LONG HOT SUMMMER/SANCTUARY) ein geradezu fliegender Wechsel bei den beiden für klassische US-Filmmusik aus dem Golden Age zuständigen Labels Varese und Film Score Monthly ab. Brachte FSM bisher fast durchgehend Soundtracks zu Fox-Produktionen auf CD heraus, so scheint der neueste Trend nun der zu sein, daß Lukas Kendalls Mannschaft sich im MGM-Fundus der 50er und 60er Jahre austoben darf, derweil Varese den Rahm der verbliebenen Fox-Scores aus der goldenen Ara nach längerer Pausierung (immerhin liegt die letzte Fox Classics-Scheibe von Varese schon zwei Jahre zurück) jetzt selbst in limitierten Pressungen, die zwischen 2000-3000 Exemplaren schwanken, abschöpfen will.

LOVE IS A MANY SPLENDORED THING mag einem auf den ersten Blick zunächst einmal als typisches Beispiel für die ab Mitte der 50er Jahre in Hollywood grassierende Unsitte vorkommen, noch das unscheinbarste Genreprodukt möglichst mit einem verkaufsfördernden Titelsong auszustatten. Spätestens Dimitri Tiomkins «Do Not Forsake Me, O My Darlin’» aus HIGH NOON hatte 1952 Schule gemacht, und schnell erkannten Hollywood-Produzenten daraufhin, daß sich mit geschickt eingesetzten, wenn auch im Film oft dramaturgisch völlig deplatzierten, Tunes von extra angeheuerten Songwritern ein lukratives Nebengeschäft machen ließ – nämlich via Zweitauswertung durch das damals noch neue Medium der sich gleichsam explosionsartig verbreitenden Schallplatte. Im Endeffekt war dies natürlich einer der Hauptgründe für die Liquidierung des bis dato gültigen sinfonischen Klangbildes zu Beginn der 60er Jahre, die zugleich der alten Garde der Hollywoodkomponisten vollkommen den Boden unter den Füßen entzog.

Der im übrigen schwelgerische Song «Love Is a Many-Splendored Thing», komponiert vom eingespielten Team Sammy Fain (Musik) und Paul Francis Webster (Text), wurde in den 50er und 60er Jahren daher auch unzählige Male in den unterschiedlichsten Arrangements (sowohl gesungen wie instrumental) und Cover-Versionen für die Platte aufgenommen und zum regelrechten Hit, der immer wieder im Radio erklang. Rätselhaft hingegen erscheint aus heutiger Sicht, daß die Fox trotz aller Popularität der Musik weder die Originaleinspielung des Titelsongs noch den reinen Newman-Score jemals auf einer offiziellen LP veröffentlichte. Umso erfreulicher für den Sammler deshalb, in welch hervorragendem Zustand sich die brillant und sehr natürlich klingenden Masterbänder des kompletten Soundtracks befinden, die doch immerhin fast 50 Jahre auf dem Buckel haben. Newman hat für seinen Score zum Melodram mit William Holden und Jennifer Jones aus der Not geradezu eine Tugend gemacht, indem er aus dem Fain/Webster-Thema die Grundsubstanz seiner eigenen Komposition zog, die Melodie sozusagen seinem eigenen Idiom einverleibte und somit für eine expressive Entfaltung in berückend sinfonischer Form sorgte.

Immer wieder im Verlauf des Scores taucht das herrlich romantische Hauptthema auf, mal von solistischen Holzbläsersoli angeführt, mal in üppiger Streicherbesetzung, mal sogar als im Hintergrund nebenherlaufende Cocktailmusik, die sinfonisch ausgeweitet wird, und es ist Newmans großer Kunstfertigkeit zu verdanken, daß die hier vorliegende vollständige Musik dennoch nie in Gefahr gerät, langweilig zu werden. Wie punktgenau es dem Meister gelingt, je nach den Erfordernissen der Filmfabel das melodische Material diskret einzuzäunen und dann wieder in satt erstrahlendem Glanz aufblühen zu lassen, zeugt von einer unglaublichen Perfektion der Orchesterbeherrschung und erweist zum wiederholten Male, daß Newman einer der ganz Großen der alten Garde war. Man kommt geradewegs ins Schwärmen, wenn man seine funkelnden Streicherfiguren hört, die er hier so voller Wärme und Inbrunst erklingen läßt.

Zwei weitere eigene Motive hat er zudem in die Partitur eingewoben, die den überaus lyrischen Tonfall des Scores noch bereichern: das leicht exotisch eingefärbte Thema für die von Jennifer Jones gespielte Ärztin Han Suyin (auf deren autobiographischem Bestsellerroman der Film eigentlich basiert), das im großartig sinfonisch entwickelten 9-Minuten-Cue Destiny erstmals auftaucht, zum anderen jenes für den Treffpunkt der beiden Liebenden, einen Hügel über Hongkong mit einem einsamen Baum und dem zum Symbol stilisierten schicksalshaften Schmetterling. Selbst den Wind, der in den Grashalmen spielt, wenn sich Holden und Jones dort treffen, macht Newman noch spürbar durch vorbeihuschende Holzbläsertriller, die er in seine schmerzliche hohe Streicherkantilene eingearbeitet hat (Give Me Your Hand).

Aus diesen drei Themen hat Newman ein dichtes Klanggefüge gestaltet, so daß der musikalische Fluß nie zum Stillstand kommt, sondern sich in ständiger Bewegung befindet. Das herrlich elegische Glanzstück der CD und in seiner feinsinnigen kompositorischen Ausarbeitung wohl ein Paradebeispiel für vollendete Filmmusik schlechthin, ist das Finale God Has Been Good, in dem der Chor noch ein letztes Mal das Titelthema mit der Zeile «High an the Windy Hill» deklamiert. Wer bei solch sinnlich berauschender Musik nicht den Atem anhält, dem darf man fast schon Gefühlskälte attestieren. Bleibt mir nur noch anzumerken, daß Newman in ein paar Tracks den fernöstlichen Schauplatz mit exotischem Instrumentarium geschickt umschreibt, und außerdem zwei, drei Tanznummern, unter anderem ein Easy Listening Arrangement von Leigh Harlines Hauptthema zum kurz zuvor entstandenen Fox-Krimi HOUSE OF BAMBOO (1955) vom berühmten Samuel Fuller, den eigentlichen Score ergänzen.

Alles in allem handelt es sich bei dieser CD um ein seltenes und zeitloses Juwel, mit dem uns der Varese-Club beschenkt hat – für mich eindeutig die bisher beste Veröffentlichung des Jahres. Noch ein Wort vielleicht zur Mannschaft vom legendären Fox-Orchester: Die spielt bei diesem Score so herzerwärmend und hingebungsvoll, als stünde ihr Leben auf dem Spiel. Man möchte sich gar nicht vorstellen, welches Übel hier eine blutleere Neueinspielung anrichten könnte, die der Musik ihr lebensnotwendiges aufrauschendes Pathos und ihre zauberhafte Patina entzöge.

Stefan  |  2002

 

LOVE IS A MANY SPLENDORED THING

Alfred Newman

Varèse Sarabande Club

62:57 | 20 Tracks