BRIDGE OF SPIES
Thomas Newman (Hollywood Records)
Wohl selten zuvor war eine CD zu seinem Steven Spielberg Film so schwierig
zu ergattern wie Bridge of Spies. Die Behauptung, dies wäre mit einem John
Williams Score nie passiert, ist vielleicht zu viel des Guten. Hollywood
Records hat sich dennoch erbarmt und nach Monaten eine in den gängigen
Filmmusikshops erhältliche CD veröffentlicht.
Spielberg-Fans jedenfalls waren definitiv geschockt, als es hiess, John
Williams würde für Bridge of Spiesnicht zur Verfügung stehen. Noch ein
bisschen mehr Schockgefühle schliesslich kamen auf als Thomas Newman als
„Nachfolger“ genannt wurde. Das ist nicht unbedingt gegen den Komponisten per
se gerichtet, als vielmehr dessen Fähigkeit gegenüber, ob er wirklich der
richtige sein könnte um John Williams zu ersetzen und/oder einen Steven
Spielberg Film zu vertonen, liegen die richtig guten, breiter orchestral
aufgestellten Musiken Newmans doch einige Jährchen zurück. Man erinnere sich
etwa an Little Women oder The Shawshank Redemption. Umso grösser
die Überraschung mit Bridge of Spies, denn was Thomas Newman hier
abliefert ist schon eine Wucht. Seine Musik klickte eigentlich schon beim
ersten Mal in des Autors Gehörgang und wieder denkt dieser zurück wann das
zuletzt bei Thomas Newman der Fall war. Oder ist es denn wirklich so, dass
manch ein Komponist einfach nur den richtigen Regisseur braucht um die richtige
Inspiration zu finden? Vielleicht.
Jedenfalls hat Newman sie hier gefunden, Bridge of Spies ist ein
gefundenes Fressen für Liebhaber orchestraler Filmmusiken – nicht aussen vor
gelassen sei die Tatsache, dass der Score nicht den oft zitierten und von ihm
doch so oft (ver)brauchten Thomas Newman inne hat. Jedenfalls nicht den der
letzten 10 Jahre. Ein gutes Zeichen. Ein guter Score. Fast, aber nur fast
bleibt der Wehrmutstropfen im Hintergrund, nach The Color Purple erstmalig
wieder auf eine Williams-Spielberg-Zusammenarbeit verzichten zu müssen.
4.5 Phil
THE MAN FROM U.N.C.L.E.
Daniel Pemberton (Sony Classical)
Obwohl Guy Ritchie beim schicken Kino-Update der TV-Serie Solo für
O.N.C.E.L. viel Wert auf eine möglichst getreue Wiedergabe des optischen
Looks der 1960er-Jahre legte, zog er dies nicht mit letzter Konsequenz durch.
Selbiges lässt sich über Daniel Pembertons Musik sagen, die zwar in den
altehrwürdigen Abbey-Road-Studios mit Aufnahme-Technik der Sixties eingespielt
wurde und sich nach bekannten Exponenten damaliger Agentenfilm-Vertonungen wie
Mancini, Barry oder Schifrin (und ein wenig Spaghettiwesternmusik aus dem Hause
Morricone) richtet. Denn trotz dieser Tatsache und der Verwendung von in jener
Dekade gern eingesetzten Instrumenten wie Cembalo, Gitarren, Hammondorgel oder
Hackbrett (für’s osteuropäische Ambiente), kann er aufgrund einiger
Charakteristiken eindeutig der Jetzt-Zeit zugeordnet werden. Die meist äusserst
dynamische Musik weist keine komplizierte Struktur oder dramatischen Aufbau
auf, sondern dient ‒ sieht man mal von südländischen Stimmungen und etwas
Romantik ab ‒ als den die Handlung vorantreibenden Motor, wobei hier
insbesondere eine reichhaltige Schlagzeug-Sektion und Flötenvirtuose Dave Heath
für Tempo sorgen. Dass dieser selbstbewusste Score zwar nicht viel Tiefgang
hat, aber einen Riesenspass macht, ist durchaus als Kompliment gemeint. Man mag
zwar das klassische TV-Thema von Jerry Goldsmith vermissen, das leider nirgends
Eingang in die Musik gefunden hat, aber ansonsten: prima gemacht, Mr.
Pemberton.
4 Andi
ANT-MAN
Christophe Beck (Hollywood Records)
Juhui, es gibt ihn doch, den Marvcel Superhelden Film, den man sich mit
Lust und Laune und in seiner Gesamtheit anhören kann. Nein, nicht Altmeister
Alan Silvestri oder Nachfolger Brian Tyler zeichnen dafür verantwortlich
sondern der im Comicsverfilmungs-Universum (noch) unbekanntere Christophe Beck
(Frozen, Hangover, RED). Das Amalgam hält bei Ant-Man erstaunlicherweise
von A bis Z zusammen. Der Film ist vergnüglich, nicht ganz so laut krachend und
Effekt strotzend wie die Iron Man oder die viel zu lauten Avengers Filme,
sich selber nicht so ganz Ernst nehmend – sicher ein Geheimnis des Streifens –
und wirklich gut gespielt. Ein kleines Superheldenvergnügen. Da passt Becks
Musik, der Touch Mission: Impossible und das bisschen Latino
wunderbar rein.
3.5 Phil
LA SORPRESA
Kristian Sensini (KeyeStudioS)
La Sorpresa (2015; die Überraschung) von Regisseur Ivan Polidoro
erzählt von der 24-jährigen Adriana, die sich um ihren erkrankten Vater kümmern
sollte. Vergangenes in der Familiengeschichte erschweren ihr jedoch, aufgebaute
Distanz zum Vater abzubauen und ihm die benötigte Pflege zukommen zu lassen.
Hiermit hingegen hat Pfleger Rocco gar keine Probleme und schon bald entwickelt
sich zwischen ihrem Vater und Rocco eine Art Vater-Sohn-Beziehung, wie es ihr
als seine Tochter nicht möglich scheint. Für dieses Beziehungsdrama komponierte
Kristian Sensini, welcher mit seiner Musik zum Animationsfilm Rocks in My
Pockets (2014) für Aufsehen sorgte, eine intime, ruhige Filmmusik für
Kammerorchesterbesetzung. Aufgrund der Intimität wirkt die Musik beim
schnellen, nebenher Hören eher blass. Doch wenn man sich auf das kurze Album
einzulassen vermag, eröffnen sich einem vielseitige Themen und Musikideen,
wobei die Palette von melancholischem Cello und Gesang bis hin zu
Tango-Rhythmen und 80er-Jahre-Synthi-Sound reicht. Kein „Mitreisser“, jedoch
lieblich und berührend.
3 Basil
THE MONKEY KING
Christopher Young (Intrada)
Die Ausflüge eines Basil Poledouris oder Klaus Badelt in den fernen Osten
haben mit The Touch und The Promise zwei bemerkenswerte
Musiken hervorgebracht. Wieso soll das also nicht auch Christopher Young mit The
Monkey King gelingen? Der Film basierent auf beliebten Erzählungen aus dem
16. Jahrhundert und war in China äusserst erfolgreich, wo er auch einige
Kinorekorde aufstellte, so populär ist diese Thematik, fast eine Art Lord
of the Rings der Chinesen.
Christopher Young wurde die Aufgabe auferlegt einen Film zu vertonen, dessen
Effekte zum grössten Teil fehlten, etwas was heute in Hollywood eher selten der
Fall ist. Doch die Filmemacher aus dem fernen Osten hätten, wie er einräumte,
eine andere Herangehensweise hinsichtlich Filmmusik, die weniger interaktiv mit
den Bildern agiere als in einem typischen amerikanischen Film. So liess man
Young also mehrheitlich die Freiheit, seine Musik frei von Bildern gestalten zu
können. Aufgenommen wurde der Score mit dem Slovak National Symphonic Orchestra
und einem grossen Chor. Auch wenn Fotos und Cover der CD uns „Westler“ eher
davon abhalten uns den Film anzusehen, die Musik jedenfalls, mit ihren Themen,
dem gewissen Etwas an Bombast und asiatischen Touches ist ein Reinhören wert
(den nicht sonderlich gelungenen abschliessenden Song hätte man allerdings
getrost weglassen können).
4 Phil
LADY IN THE VAN
George Fenton (Sony)
Die Entstehungsgeschichte um den Film The Lady in the Van (2015)
und der Filmmusik dazu hat mehrere unterhaltsame Anekdoten. Die Geschichte
basiert auf einer wahren Begebenheit, welche dem Regisseur Alan Bennett selbst
zugestossen ist, wie den Booklet-Kommentaren entnommen werden kann. Eines Tages
fragte scheinbar eine ältere Dame, ob sie ihren Wagen vor Bennetts Haus kurz
abstellen könne. Aus dem „kurz“ wurden 15 Jahre, welche die kurlige Dame dort
verbrachte. Bennett adaptierte das Erlebte 1999 in ein Theaterstück mit Maggie
Smith in der Hauptrolle. 16 Jahre später verfilmte er diese witzig-berührende
Dramödie, wobei Smith erneut in die Rolle der Lady schlüpfte und Bennett selbst
nicht nur Regie führte, sondern auch noch mitspielte. Die Musik zum Film
komponierte George Fenton, welcher nicht nur Bennett während seinen
Theaterjahren sondern im Rahmen von Besuchen von Bennett zuhause sogar
persönlich auch die Lady im Van kennenlernte. Und nun also schrieb er mit Miss
Shepherd’s Waltz auch noch ein schönes und äusserst passendes Hauptthema
für die Dame und deren Leinwandadaption. Dieser Walzer klingt zwar unglaublich
altbekannt, doch versprüht er ebensolchen Charme wie die Schubert- und
Chopin-Stücke, die im Album eingestreut sind. Dieses Thema zieht sich wie ein
roter Faden durch die ganze Musik, die neben Orchesterpassagen auch viele
Klaviersoli (gespielt von Clare Hammond) enthält, ebenfalls eine Referenz auf
Miss Shepherd, welche eine studierte Pianistin war und einen Hang zu Schubert
und Chopin zu haben schien. Das Ergebnis ist überwiegend tänzelnd-lieblich und
weich-harmonisch – richtig „kuschlig“ und entspannend. Die dramatischeren,
bedrückenderen Stücke – Collision and Confession, Curtains Down und A
Sepulchre – sorgen verstärkt für etwas „cineastische gravitas“ in einem
ansonsten gänzlich entspannenden und wohlklingenden Hörvergnügen. Eine schöne
Überraschung des Filmmusikjahres 2015!
4 Basil
THE WHISTLE BLOWER
John Scott (Varese LP to CD)
John Scott ist zweifellos einer der melodischsten Komponisten der John
Williams Generation. Selbst in seinen Actionscores wie Shoot to Kill oder Man
on Fire wusste Scott mit Themen und Leitmotiven zu gefallen. The
Whistle Blower war ein mir bis anhin unbekannter Score (und Film mit
Michael Caine) des Engländers, umso grösser die Überraschung mit dieser
gelungenen Musik. Auch wenn Scott mit seinem Hauptthema („The Whistle Blower“)
einem der Spannungsmotive aus Shoot to Kill gefährlich nahe kommt und
sein Stil von A – Z durchschimmert („Who is Mole?“ unzweifelhaft in The Final
Countdown Sphären), The Whistle Blower ist abwechslungsreich und
selbst in der gewohnten LP-Länge durchaus gut anzuhören; hier wäre mehr
vielleicht tatsächlich zu viel des Guten gewesen. Nicht fehlen darf mit „The
Whistle Blower Main Theme“ein popig arrrangiertes Stück, wie man es eher in
einem 70er Jahre Film, denn in einem Streifen von 1987 wähnen würde. Schön
aufgearbeitet als Liebesthema mit Englisch Horn und Oboe ist es in „They Have
Put Our Lights Out“.
So oder so, dies ist Vareses bisher und mit einigem Abstand beste
Veröffentlichung, der im Monat darauf mit Mountbatten: The Last Viceroy gleich
ein weiterer John Scott gefolgt ist.
4 Phil
MY ALL AMERICAN
John Paesano (Sony)
Mit My All American (2015) haben die Macher von Hoosiers (1986)
und Rudy (1993) ein weiteres Sportdrama abgeliefert. Nach
wiederholten Zusammenarbeiten mit Komponist Jerry Goldsmith wendeten sie sich
für die Filmmusik zu My All American an den Maze Runner-Komponisten
John Paesano. Dieser liefert eine mitreissende und – überraschend? –
Goldsmith-ähnliche Orchestermusik ab. Zudem klingen Stilismen von John Williams
in seiner Musik an, womit sein Score zu My All American zwei der ganz
grossen Filmmusik-Meistern nacheifert. Diese Interpolation mit seinem eigenen
Stil funktioniert wunderbar. Stücke wie First Practice, Arkansas
First Half, Texas Wins, Welcome Back und My All American sind
Sportdrama-Filmmusik vom feinsten. Nicht übermässig originell, jedoch herrlich
„altbewährt“ – energiegeladene, kraftvolle und erhebende Feel-Good-Musik. Doch
auch leise und melancholische Momente sind auf dem toll zusammengestellten
Album zu finden, womit das Hörerlebnis berührend und heiter ausfällt. Die
Spiellänge von gut einer Stunde vergeht im Flug und der Replay-Knopf wird gerne
betätigt. Schön!
4 Basil
CHAIN REACTION
Jerry Goldsmith (Varese Club)
Ich gebe es zu, auf eine weitere Veröffentlichung von Chain Reaction habe ich mich weit weniger gefreut als auf so manchen Goldsmith. Die alte Varese CD hat ihre Runden nur selten gedreht und der Film mit Keanu Reeves und Morgan Freeman ist einfach nur schlecht. Nichtsdestotrotz und wie das harte Leben als Fan eben so ist, wurde die Deluxe Edtion bestellt und siehe da, plötzlich funktioniert auch dieser Score. Gegenüber der 1996er Version, die gerade mal ein halbe Stunde Musik bereit stellte, haben wir hier satte 76 Minuten – und das ganz ohne Bonustracks und andere Zeitfresser. Die Musik kommt knackig, mitreissend und erstaunlich frisch rüber, trotz des Umstands, dass Goldsmith im selben Jahr mit Executive Decision bereits einen weiteren Adrenalinfilm betreuen musste (der noch auf seine Langversions-CD wartet). Und davon, musikalsiches Adrenalin, hat es in Chain Reaction wirklich genug damit die Liebhaber dieser Genremusik auf ihre Kosten kommen!
3.5 Phil
SUFFRAGETTE
Alexandre Desplat (Backlot Music)
Wenn man in einem Land wohnt, in dem das Frauenstimmrecht erst in den 70er Jahren Einzug gehalten hat, ist der Kampf der englischen Suffragetten umso bemerkenswerter, selbst wenn diese dort, nicht zuletzt unter dem Druck der Mächtigen im Lande, nicht nur mit Worten für ihr Recht gekämpft haben – die Taten, die folgten waren schwerwiegend aber bedeutend.
Alexandre Desplat beginnt à la Morricone, mit einem Herzschlagrhythmus (Politfilm eben) gefolgt von einer Horn-Fanfare, in das Hauptthema mündend. Oft setzt Desplat auf repetierende Rhythmen, „An Army“, hier von der Harfe intoniert, unterstützt von monotonen Bässen. Eine kleine Blechblassektion unterstützt für das noble Tun der Frauenrechtlerinnen. Das Gewand erinnert irgendwie an den Carter Burwell Sound, beispielsweise in „Hope“ gut zu erkennen.
Nein, Suffragette ist alles andere als der grosse Desplat-Wurf, keine Eindringlichkeit und Komplexität eines Imitation Game, manches plätschert, obwohl es scheinbar wichtig ist, am Hörer vorbei (Synonym dafür ist „Prison“). Ein wichtiger Film, eine zumindestens auf CD aber einflussarme Musik.
2 Phil
18.2.2016