King of Kings (Rhino)

Review aus The Film Music Journal No. 29, 2002

Nach dem epochalen Triumph von BEN HUR dürfte es für Miklós Rózsa nicht leicht gewesen sein, sich für King of Kings zu motivieren. Zum einen hielt er vom Film nicht sonderlich viel, zum anderen hatte er zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit wichtige Stationen im Leben von Jesus Christus wie Geburt, Bergpredigt und Kreuzigung zu vertonen. Die Gefahr eines uninteressanten Routineproduktes war also gegeben, doch fand Rozsa letztlich trotzdem genügend Inspiration, um dem Score sein ganz eigenes Profil zu verleihen. Er liess sich nicht lumpen und brachte für KING OF KINGS nicht weniger als vierzehn Themen zu Papier. Und nun, da Rhino den gesamten Score, verteilt auf zwei CD’s, präsentiert, kann die Musik endlich den mächtigen Schatten von Ben Hur, der stets auf ihr gelegen hat, abschütteln. Dank einer Fülle von bisher unveröffentlichtem Material und bekannten Tracks, die erstmals in ihrer vollen Länge vorliegen, tritt das vielschichtige Konzept des Komponisten zutage, welches die vor zehn Jahren erschienene Sony-CD, die mich nie zu überzeugen vermochte, nur ansatzweise wiedergab. So sind beispielsweise die eher actionbetonten Passagen rund um die Person von Barabbas, die man bisher in diesem Umfang nicht zu hören bekam, um willkommene Akzente besorgt. Auch wird ersichtlich, dass Rózsa zuweilen Ausflüge in seine alten Abenteuer- und Film-Noir-Gefielde unternimmt; vor allem THE THIEF OF BAGDAD blitzt da und dort kurz auf.

Die vorangestellte Overture ist insofern ungewöhnlich, als dass sie auf ein Nebenthema aufgebaut ist, welches im Verlaufe des Scores nur ein einziges Mal erscheint, und zwar in Mount Galilee, jener Sequenz, die uns die Sony-CD als Prelude verkaufen wollte. Der Prototyp dieses Themas ist übrigens bei Petrus› Kreuzigung in QUO VADIS zu hören. Darauf folgt das Prelude endlich in der originalen Filmform, zusammengeschweisst mit Roman Legions, dem ersten von zwei römischen Märschen (der zweite ist Pontius Pilate’s Arrival.

The Last Temptation of Christ beinhaltet -das dürfte hinlänglich bekannt sein -die einzige Zwölftonmusik, die Rózsa je geschrieben hat, und da er sie ausgerechnet dem Satan zuwies, ist wohl kaum misszuverstehen, was er von dieser Kompositionstechnik hielt.

Ein Kapitel für sich ist die Sache mit Salome’s Dances. Das Stück lag Rózsa sehr am Herzen, und was musste erleiden, als er erfuhr, dass die Gattin von Regisseur Nicholas Ray choreografieren würde, obwohl sie noch nie choreografiert hatte, und ein Schulmädchen aus Chicago, das über keinerlei Schauspiel- und Tanzerfahrung vertilgte, die Salome geben würde. Wie berechtigt sein Kummer war, wird jeder bestätigen können, der die Szene gesehen hat; die Musik -der beste aller exotischen Tänze von Rózsa, dem erst noch eine dramaturgische Bedeutung zukam -wurde von sechs auf zwei Minuten zurechtgestutzt und verlor dadurch viel von ihrer Aussagekraft. Ursprünglich sollte Salome ihren Tanz nach der Enthauptung Johannes des Täufers fortsetzen (zumindest legt eine nicht verwendete Reprise diese Absicht nahe), aber man hat wohl die Defizite von Brigid Bazlen erkannt und verzichtete darauf oder opferte sie der Schere. Zu den Höhepunkten des Scores gehören zweifellos die Ereignisse während des Passah-Festes in Jerusalem, die zu einem monumentalen fünfzehnminütigen Track zusammengefasst worden sind. Die ersten sieben Minuten handeln von Jesus› gefeierter Ankunft in der Stadt sowie dem rebellischen Aufstand gegen die Römer, und sie gehören mit zum Spektakulärsten, was Rózsa je geschrieben hat. Im totalen Kontrast dazu folgt danach das «Letzte Abendmahl», wo dreimal ein kurzes Thema zu hören ist, das gerade wegen seiner Schlichtheit aufhorchen lässt. Abgeschlossen wird der Track mit einem feierlichen a capella-Chor, der dem Passah-Fest huldigt.

Neben all dem Spektakel liegen die Stärken der Musik in den religiös begründeten Teilen, die sich mit dem Leben und Wirken von Jesus auseinandersetzen. Immer wieder ist es das Hauptthema, das mal mit Unterstützung des Chores, mal ohne diesen in seinen Bann schlägt, und Stücke wie Miracles oder Sermon an the Mount sind klingende Glaubensbekenntnisse. Sie lassen die Liebe und den Respekt des Komponisten seinen Mitmenschen gegenüber spüren und kommen damit dem Charisma des Messias, wie wir ihn uns aus heutiger Sicht vorstellen, sehr nahe. Davon profitiert der Film natürlich ungemein und er hat es auch bitter nötig.

Kaum war dieses CD-Set auf dem Markt, wurden auch schon kritische Stimmen laut. So wurde zu Recht moniert, dass der Chor im Prelude vom Orchester beinahe erdrückt wird, während er im Film wesentlich besser zur Geltung kommt. Herbe Kritik musste auch das Booklet einstecken. Dieses übernahm man einfach von der einstigen LP-Veröffentlichung; die Liner Notes von Rózsa beziehen sich deshalb auf deren Inhalt und passen nicht wirklich zur aktuellen Edition. Aber diese kleinen Mankos sind zu verschmerzen. Wer bisherige Ausgaben von King of Kings sein Eigen nennt, und deshalb noch zögert, sich die Rhino-Produktion zuzulegen, dem sei gesagt, dass erst damit die ganze Grossartigkeit und der Glanz dieses vorletzten Bibelepos von Miklos Rózsa erfahrbar wird. Daher mein Ratschlag: Das Geld guten Gewissens investieren und die Sony-CD entsorgen, nicht aber das vom Komponisten nachträglich eingespielte Original-Album, denn dieses besitzt dank seinem konzertanten Charakter nach wie vor Repertoirewert.

Andi  |  2002

 

KING OF KINGS

Miklós Rózsa

Rhino

CD 1: 77:36 | 29 Tracks
CD 2: 56:47 | 14 Tracks