John Scott Special: Teil 2

Weiter geht es mit ausgesuchten Musiken aus dem Oeuvre von John Scott. Beim Wiederentdecken stösst man auf das ein oder andere Juwel in der Discographie, obwohl uns Autoren immer bewusst war, dass Scott einer der grossen unter den unterschätzten Filmkomponisten ist.


Die Ausgangslage könnte nicht unglaubwürdiger sein: Nachdem Kong schwer getroffen von den Twin Towers gestürzt ist, soll sein Herz durch ein riesiges, künstliches ersetzt werden. Zufälligerweise wird irgendwo in Borneo ein Gigantenweibchen entdeckt, gerade zur rechten Zeit, denn Kong braucht dringend Plasma! John Guillermin selbst hat es sich nicht nehmen lassen, zehn Jahre nach KING KONG (1976) eine Fortsetzung auf die Beine zu stellen, eben KING KONG LIVES (1986). Und ja, diese kommt zwischendurch so rüber wie die damaligen, japanischen Godzilla-Produktionen. Neben den pelzigen Tierchen, die tatsächlich so aussehen, als seien Menschen darin versteckt, ist hier THE TERMINATOR-Linda Hamilton zu sehen. Wem das alles noch nicht genug ist, der darf im Finale auf Kong Junior hoffen, denn Kong und Lady Kong mögen sich doch sehr. Dino De Laurentiis, unter dessen Ägide auch KING KONG (1976) entstand, produziert hier und hat wiederum Carlo Rambaldi (E.T.-THE EXTRA-TERRESTRIAL, 1982), der bereits zehn Jahre zuvor an KONG mitwirkte, aufgeboten. Wie nicht anders zu erwarten, bombte der Film an den Kinokassen. John Guillermins Karriere, er war damals 61 Jahre alt, war damit beendet.

John Scott wählte in erster Linie einen romantischen Ansatz für diesen Riesenaffenfilm und vermischt diesen mit der Grösse einer Abenteuermusik («Lady Kong Gets Gassed»). Damit kam er der Bitte Guillermins nach, der nebst «Ich will eine Melodie!» einen emotionalen Score wünschte. Zwei Hauptthemen stellt Scott sogleich im ersten Track «Prelude» vor. Eines wird als Liebesthema für Kong und seine weibliche Gesellin, aber auch für das menschliche «Pendant» (Linda Hamilton und Brian Kerwin) verwendet. Das zweite Hauptthema wird immer dann eingesetzt, wenn der Film in actionreichere Gefilde abtaucht («Kong Rescues His Lady», «Kong’s Final Battle») und Kong auf seine Widersacher stösst, die gerne martialisch und schwer bewaffnet auftreten. Wie desöfteren ist auch hier die Musik besser als der Film – das kam in den 80ern, wie wir alle wissen, einige Male vor.

MCA veröffentlichte mit dem Film eine LP, die zu einem gesuchten Gut wurde (ich erwischte tatsächlich vor Ort während eines Filmmusikanlasses in L.A. ein Exemplar) – erst 2012 liess sich Intrada erweichen und brachte den Score auf CD heraus.
Phil


Für diesen TV-Film von 1990 mit Michael Gambon in der Rolle von Wilhelm I. betrieb John Scott viele Nachforschungen über die Musik des 11. Jahrhunderts und es stellte sich heraus, dass in Europa zu jener Zeit hauptsächlich kirchliche Gesangskompositionen entstanden. Ansonsten ist anzunehmen, dass Wilhelm I. durch Troubadoure mit Musik in Kontakt gekommen ist. Resultierend aus seinen Erkenntnissen benutzte Scott für diesen Score drei Arten von Musik: authentisch für die Periode, im imaginären Stil für die Periode und zeitgenössisch dramatisch.

Der Komponist spielte seinen Score mit dem Berliner Radio-Konzert-Orchester und dem Gregory Choir of London mit Tenor-Solist Geraint Lewis ein. Es ist denn auch der Chor, der in «Exultet» und «Alleluia» nach Art von Mönchsgesang für Authenzität besorgt ist, ebenso wie der Minne-Tenor in «O Admirabile». Während die kurzen Tänze «Rondeau» und «Gigue» mit ihren alten Instrumenten zur imaginären Kategorie gehören, präsentiert sich der Hauptteil der Musik in zeitgenössischer Dramatik. Herausstechend natürlich das Hauptthema, ein prachtvoller, mit Fanfaren geschmückter Marsch. Viel Martialisches im Bereich von Action und Spannung (u. a. «Hastings 1066», «Allegiance to the King», «Hereward the Wake») aber auch Romantisches (das beschwingte «William and Matilda» und das trotz des Titels nur bedingt in Elegie gehaltene «Matilda’s Death») prägen diesen sehr überzeugend gestalteten, historischen Score.
Andi


Die Filme, die von Charlton Heston in Szene gesetzt wurden, kann man an einer Hand abzählen. Der erste seiner drei Werke, war die filmische Umsetzung des William Shakespeare-Stoffs ANTONY AND CLEOPATRA. Was Heston ritt, nach dem kolossalen Flop von CLEOPATRA (1963) zehn Jahre zuvor und der Tatsache, dass das Genre so gut wie von den Kinoleinwänden verschwunden war, wieder auf Sandalen und Kurzschwert zu setzen, ist schwierig nachzuvollziehen. Vielleicht war es seine Liebe zum Charakter des Marcus Antonius, den er zuvor bereits zwei Mal gespielt hatte: JULIUS CAESAR (1953 und 1970)? Eigentlich sollte die in Spanien gedrehte 1.8 Millionen Dollar Produktion von Orson Wells inszeniert werden, doch dieser lehnte ab und so nahm Heston das Heft selber in die Hand. Neben Heston sind u.a. Hildegard Neil (zuvor vor allem im TV zu sehen), Eric Porter (NICHOLAS AND ALEXANDRA, 1971), Theaterdarsteller John Castle und Fernando Rey (THE FRENCH CONNECTION, 1971) zu sehen. Der Film erhielt durchweg schlechte Kritiken und kam insbesondere in den USA kaum in die Filmtheater.

Wie so oft der Fall, ist auch hier die Musik das, was vom Film geblieben ist. Für nicht wenige John Scott-Fans gehört ANTONY AND CLEOPATRA zu ihren Favoriten des Komponisten – verständlicherweise, denn die Musik ist schlicht und ergreifend traumhaft. Eröffnet wird die Musik mit der monumentalen „Overture“ für Orchester und Chor. Beinahe fühlt man sich in die 50er Jahre und die goldene Zeit des überlangen Sandalenfilms zurückversetzt. In dieser Ouvertüre arbeitet Scott sein episch romantisches Haupt- und Liebesthema aus und präsentiert es im letzten Drittel des 9-Minuten Tracks in seiner ganzen Pracht. Scott greift es im 58 Minuten langen Score immer wieder auf, zumeist von den Streichern, aber auch von Querflöte, Oboe und Fagott, aber auch mal von einer Sitar („One Last Night of Love“) gespielt. In „Main Titles“ erfährt es eine weitere herrliche Ausarbeitung. Nebst einem zweiten Thema („Give Me to Drink Madragora„), dem der Komponist eine verträumt leichtfüssige Note verleiht, bleibt Platz für dramatische Schlachtmusik: „Battle of Aticum“, „He Goes Forth Gallantly“ und Spannungsmusik, mit Blech und Perkussion in „Pompey“. Ein bisschen Hollywood-Ethnik (Schellenkranz, Holzbläser mit leicht, sagen wir mal, ägyptischem Touch) darf nicht fehlen, aber sie ist sehr dezent ausgeführt („Rome and Octavia“).

Ohne Umschweife darf behauptet werden: ANTONY & CLEOPATRA ist eine von John Scotts schönsten Arbeiten und eine der unterschätztesten Musiken der 70er Jahre, was mitunter daran liegen mag, dass kaum jemand den Film gesehen hat. Erschienen ist die Musik einst als Bootleg (da liess man es sich nehmen und nannte das Radio Sinfonieorchester Berlin, DDR, als Einspielquelle, was allerdings kaum stimmen dürfte. In den Liner Notes der offiziellen CD wird das London Philharmonic Orchestra genannt*) und später bei John Scotts eigenem Label. Nebst THE FINAL COUNTDOWN und SHOGUN MAYEDA ist diese Filmmusik eine meiner Topempfehlungen, sollte man mit dem Werk des Komponisten bisher noch nicht in Berührung gekommen sein.
Phil

*Danke an Klaus für die Recherche


MOUNTBATTEN: THE LAST VICEROY ist eine britische Mini-Series, die 1986 für den Sender ITV entstanden ist und die Zeit umfasst, in der Lord Mountbatten vom Supreme Commander Südostasiens zum Vizekönig Indiens ernannt wurde.  Parallel wird der steinige Weg Indiens in die Unabhängigkeit beschrieben. Der Charakterdarsteller Nicol Williamson (THE SEVEN-PER-CENT SOLUTION, 1976; EXCALIBUR, 1981) spielt die Hauptrolle. An seiner Seite ist Janet Suzman (NICHOLAS AND ALEXANDRA, 1972) zu sehen. Die Serie wurde für 3 Emmys nominiert, David Butler (BEAR ISLAND, 1979) erhielt den Preis für sein Drehbuch.

Scott beginnt seinen Score mit einer Fanfare und geht gleich danach in ein nobles Hauptthema für Streicher über, ehe das Englischhorn für ein weiterführendes Motiv verantwortlich ist. Abgeschlossen wird „Main Title“ schliesslich von einem Tutti, das auf Britanniens Königshaus verweist. Dieses Hauptthema spielt Scott immer wieder an, in kürzeren und längeren Fassungen. In „The New Viceroy“ wird der neu installierten Mountbatten mit einem „aristokratischen“ Stück geehrt, das sich gegen Ende hin steigert. Hier ist ebenfalls das anfangs des Abschnitts erwähnte, zweite Thema zu hören. Wie bei Scott gewohnt sicher, fein gemacht und üppig orchestriert sind die dramatischen Spannungsstücke ausgeführt („Jinnah and the Muslim Day of Action“, „10‘000 Patans“ und das mitreissende „Rape of a Village“). Dem Lokalkolorit räumt MOUNTBATTEN ebenfalls seinen Platz ein, ohne dass es überbordend wirkt. So sind in „The Homeless“ eine Sitar und eine indische Flöte zu hören. Indisches Schlagwerk (Handtrommeln, Idiophone etc.), mit „westlichen“ Streichern und Englischhorn gepaart, verwendet Scott in „Nehru“ und in „Teachings of Ghandi“ u.a. das gestrichene Sarangi. Ein Amalgam beider Stile wird im feierlichen „Independence Day“ gezeigt, das schliesslich in die beiden Hauptthemen und Mountbattens „königliches“ Motiv mündet.

MOUNTBATTEN: THE LAST VICEROY ist eine tolle, abwechslungsreiche Musik, die selbst beim ein oder anderen Scott’isten ein wenig ein (unverdientes) Aschenputtel-Dasein verbringt. Erstmals auf CD ist MOUNTBATTEN 2016 in Varèses LP to CD Subscription Series (die nach ihrer Erstausgabe auch gleich wieder eingestellt wurde) erschienen, zuvor gab es denn Score nur als LP beim gleichen Label (und einer mir nicht bekannten englischen Veröffentlichung als CD).
Phil

Dieser auch als KABUTO betitelte, in Japan produzierte Abenteuerfilm ist im 17. Jahrhundert angesiedelt, als das Land der aufgehenden Sonne durch eine östliche und eine westliche Armee zweigeteilt wurde. Da die westlichen Soldaten über Feuerwaffen verfügen, geraten die Gegner im Osten langsam ins Hintertreffen und senden deshalb den Samurai Mayeda sowie dessen Sohn nach Spanien, um dort 5000 Musketen zu erwerben. Unter der Regie von Gordon Hessler gibt sich als bekanntestes japanisches Gesicht Toshiro Mifune die Ehre, unter seinen westlichen Kollegen findet man u. a. David Essex, Christopher Lee und John Rhys-Davies.

John Scott steuert zu diesem Film eine äusserst bestechende, vom Hungarian State Opera Orchestra eingespielte Musik bei, die zwar erstaunlicherweise die japanische Komponente völlig aussen vor lässt, dessen ungeachtet jedoch zu seinen grossen Würfen gezählt werden darf, da sie nicht mit memorablen Themen geizt. Das prächtige, vielfältig verarbeitete Hauptthema ist vor allem im voll ausgefahrenen Abenteuermodus ein Hochgenuss. Bezüglich Spanien versäumt es Scott nicht, landestypische Klänge zu verwenden, arbeitet aber auch mit Fanfaren und der damaligen Zeit nachempfundenen, höfischen Klängen. Eine weitere wichtige Rolle spielt währschafte Seefahrermusik, zu der sich auch die Dramatik eines Sturms und eines Piratenangriffs gesellt. In Marokko spielende Szenen werden dezent orientalisch untermalt, und nicht nur das romantische Thema für Cecilia (Polly Walker) hat hier einen wundervollen Auftritt, sondern auch martialische Action meldet sich eindringlich zu Wort. «On to new Adventures» bildet mit Haupt- und Cecilia-Thema den mitreissenden Schlusspunkt dieses exzellenten Scores.
Andi


SHERGAR (1999) ist die (beinahe) wahrheitsgetreue Geschichte über ein Rennpferd, das zur Legende wurde. Shergar gewann 1981 mehrere der wichtigsten Rennen in Grossbritannien und wurde zwei Jahre später gestohlen – angeblich soll die IRA dahintergesteckt haben – doch die geforderten 5 Millionen £ Lösegeld wurden nie gezahlt. Was mit Shergar schliesslich passierte, ist bis heute Teil von Spekulationen. Der Filmemacher und Kameramann Dennis C. Lewiston nahm die Story auf und strickte um sie herum das Schicksal eines Jungen, der sich mit dem Pferd anfreundet und es zu retten versucht. Mehrere Filmstudios, darunter Elton Johns Rocket Pictures und Mel Gibsons Icon Pictures waren interessiert an der Geschichte, doch war es schliesslich die noch junge und unbekannte Produktionsfirma Blue Riders Pictures Inc., die die Finanzierung aufbrachte. Lewiston gelang es mit David Warner, Ian Holm und Mickey O’Rourke wohlbekannte Gesichter für SHERGAR zu casten.

Die Musik zu SHERGAR eröffnet mit dem ausführlichen Hauptthema für Celli und Bratschen in «Prelude», gefolgt von Spannungsmusik in «The Abduction», in der das Blech eine gewichtigere Rolle übernimmt. Das klassisch sentimentale Eingangsthema findet desöfteren Verwendung, wie gewohnt von Scott mit sicherer Hand variiert und umorchestriert (mal für Englischhorn, dann vom Horn intoniert) – «Shergar the Champion» und «Pegasus» sind besonders schön anzuhörende Variationen dieses Motivs. Einige dramatisch anmutende Suspensemomente erfasst Scott mit Perkussion, Streicher (Tremolo, Pizzicato), Fagott, Kontrafagott und durchsetzt sie mit einzelnen Trompetenstössen. Die Verbindung aus beidem ist schliesslich in «In the Forest» zu hören, in dem das zweite Thema des Scores zu hören ist. SHERGAR ist eine prächtig anzuhörende Musik, die dann und wann von einem um einen Ticken besseren Orchester profitiert hätte.

Interessante ist die Geschichte um die schwierigen Umstände der Musikaufnahmen, die in den Liner Notes der bei JOS erschienenen CD erzählt wird. Das alleine wäre beinahe Stoff genug für einen Film. Die Aufnahmen in München mussten ohne Schnitte und absolut live geschehen, Umstände, die für eine Filmmusik alles andere als normal sind – ganz abgesehen von anderen Widrigkeiten, auf die Musiker, Toningenieur und Komponist stiessen.
Phil

6.12.2020

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