von Phil Blumenthal
Michael Cimino hatte die Idee zu Heaven’s Gate (1980) noch vor seinem grossen Erfolg mit The Deer Hunter. Anfang der Siebziger Jahre konzipierte er eine Story mit dem Titel “The Jackson County War”, die von den Unruhen zwischen Viehzüchtern und Landeigentümern erzählte. Damals war der Wilde Westen noch richtig wild und die Cowboys trieben die Rinder ihrer meist steinreichen Bosse über Stock und Stein – dabei waren ihnen die eingezäunten Grundstücke der kleinen Landbesitzer ein Dorn im Auge. So begann es in Jackson County bald zu gären, schliesslich pochten die Viehzüchter darauf, dass das Land allen, aber insbesondere ihnen, gehören würde und sie ungehinderten Zugang zu jedem Stückchen Weideland haben sollten. Einige der meist bitterarmen und hart arbeitenden “Bauern” wussten sich desöfteren nicht anders zu wehren, als die eindringenden Rinder abzuschiessen, auch aus der Not heraus, in den harten Wintern Wyomings etwas Essbares für ihre Familien auf den Tisch zu bringen. Das war ein willkommener Grund für eine Notlösung der Rinderzüchtervereinigung, die darin bestand, eine Todesliste aufzustellen um sich des Problems zu entledigen. Die meist aus Osteuropa stammenden Grundstückbesitzer setzten sich jedoch zur Wehr, so dass schliesslich die Armee eingreifen musste.
Dies ein Storyabriss, in den Cimino die mehr oder weniger auf Fakten basierenden Rollen eines U.S. Marshals (Kris Kristofferson), eines von der Vereinigung angeheuerten Killers (Christopher Walken) und einer Bordellbesitzerin (Isabelle Huppert) einbaute. Ein Problem der Geschichte war aber, wie sich später herausstellen sollte, dass sie sich in der Realität, konträr zu den vollmundigen Verlautbarungen der Filmemacher, nicht ganz so abgespielt hat. Das sollte sich schliesslich als letztes Mosaikstückchen im Theater rund um den Film erweisen, das die Presse damals gerne aufnahm.
Die Story wanderte zuvor von Studio zu Studio und es war schliesslich United Artists, die Cimino den Zuschlag gaben, einen finalen Drehbuchentwurf zu verfassen. United Artists gehörte damals der grossen Versicherungsgesellschaft Transamerica, die von der Filmindustrie freilich wenig verstand, ihren Stockholdern aber eine tolle neue Einnahmequelle versprach. Ausserdem machte sich damals der Besitz eines Filmstudios ganz gut, obwohl die Hollywood-Presse auf diese Übernahmepolitik harsch reagierte. Als der Verkauf an Transamarica anstand, verliessen die kreativen Köpfe des einst grossen Studios das “sinkende Schiff”. Die neue Riege zeigte nicht nur ein anderes, teilweis sonderbares Geschäftsgebahren, sondern auch eine gewisse Unerfahrenheit, was sich später für das Studio, das immerhin Erfolge wie Rocky, die Bond-Filme und den von den Kritikern geliebten Woody Allen verbuchen konnte, als fatal erweisen sollte. Heaven’s Gate sollte das Fass zum Überlaufen bringen.
Startschuss
Michael Cimino galt als “heisser” Filmemacher. Die Spatzen pfiffen es von den Dächern Hollywoods (und im Falle von UA New Yorks und San Franciscos, dem Sitz von Transamerica), dass sein damals in der Endphase befindliches Projekt The Deer Hunter ein Film mit viel Potential sei. Nach seinem Achtungserfolg mit dem Eastwood-Vehikel Thunderbolt and Lightfoot schien ein neuer Meister hinter der Kamera aufgetaucht zu sein. Aber es ging auch schnell die Rede um, dass Twentieth Century Fox Cimino zwingen wollte, den Film auf eine annehmbare Länge zu kürzen, dieser sich diesem Druck aber unter keinen Umständen beugen wollte. Erste Alarmglocken?
Unter der Federführung der Studio Executives Steven Bach und David Fields gelangte Heaven’s Gate schliesslich zur filmfertigen Vorlage. Die Hauptbesetzung würde aus dem damals gefeierten Singer/Songwriter und grossen US-Star Kris Kristofferson, dem bezahlbaren, aber aufsteigenden Charakterdarsteller Christopher Walken, Jeff Bridges, Sam Waterston und dem englischen Bühnenschauspieler John Hurt bestehen – das, nachdem viele der gewünschten Akteure, darunter Jane Fonda, Steve McQueen, Ali MacGraw oder Robert Redford nicht konnten oder wollten. Und Cimino warf einen weiteren Namen in die Runde, der erste grössere Wellen generieren sollte: Die Französin Isabelle Huppert sollte die Rolle der Bordellbesitzerin Ella Watson spielen.
Der Hit
Hier einen Hit in der Mache zu haben, schien sich für United Artists etwas später zu bestätigen, als The Deer Hunter fünf Oscars abräumte, darunter zwei für Michael Cimino für die beste Regie und als Produzent für den besten Film. Auch die Filmkritiker nahmen den Dreistünder mit offenen Armen auf und an den Kinokassen verbuchte der Film ebenfalls grossen Erfolg. Die Zeit schien reif für Cimino. Und wie so oft kalkulierten die Studiobosse in ihren ganz eigenen, speziellen Gedankengängen und rechneten hoch: Wenn The Deer Hunter Oscars abholt, dann müssten Heaven’s Gate und Michael Cimino das doch locker wiederholen können. Ein Blick in die Analen der Oscargeschichte hätte allerdings jeden weniger begabten Wettbuchmacher darauf gebracht, dass kein Film desselben Regisseurs so kurz hintereinander bei den Academy Awards nochmals gross abräumen würde. Ein phänomenaler Erfolg von The Godfather und The Godfather II, der dieses kleine Wunder vollbrachte, konnte nur eine Ausnahme der Regel sein. Aber manchmal mahlen die Mühlen in Hollywood eben anders.
Als die Dreharbeiten liefen, war Cimino also ein hochprämiierter Filmemacher. Und der begann sich bald so zu benehmen, wie es die ersten Anzeichen andeuteten: Er kapselte sich – durch seine Produzentin Joan Carelli geschützt – völlig von jeglicher Einflussnahme der Exekutivriege von United Artists ab und hinkte schon nach den ersten zwei Wochen dem kalkulierten Drehplan hinterher. Sein Perfektionismus begann sich aber auch in anderen Bereichen deutlich zu machen. Von Hüten über Stiefel und Gürtelschnallen, alles wurde feinsäuberlich neu fabriziert. Für die abschliessende Schlacht zwischen Grundstückbesitzern und den angeheuerten Killern der Viehhändler wollte Cimino eigens Gras ansäen lassen, um es dann von Pferden, Wagen und Explosionen durchpflügen zu lassen. Das Gärtnerwerk konnte zwar nach deutlichen Worten der Studioheads verhindert werden, der Drehplan jedoch geriet immer mehr aus den Fugen und die Ausgaben summierten sich.
Irgendwann war es zuviel des Guten und die Studio Executives setzten Cimino ab sofort ganz klare Grenzen: So und soviel darf der Rest, der noch zu drehen ist, noch kosten und die vorgegebenen Drehpläne musste er peinlichst genau einhalten, komme was wolle. Jede Ausgabe, sei sie noch so klein, musste belegt und vom Studio abgesegnet werden – oder die Produktion des Films würde von heute auf morgen gestoppt werden. Erst durch diesen Druck schien Cimino zur Vernunft zu kommen und er hielt sich fortan an die Vorgaben des Studios. Plötzlich war es möglich, den Drehplan und die vorgegebenen Ausgaben einzuhalten. Ein weiteres von vielen Problemen kam auf United Artists aber noch zu: Ciminos geplanter Prolog und der Epilog.
Alles in Butter
Für den aufwändigen Prolog musste eine Universität gefunden werden. Weil Harvard die Erlaubnis zum Drehen nicht erteilte, wich man nach Oxford, England, aus. Cimino flog mit seinen Leuten nach Europa, um die Feierichkeiten rund um den Studienabschluss der Freunde Kristofferson und Hurt sowie die grosse Walzerszene zu drehen. Wieder kam die Meldung, dass Cimino das Budget für diese Szene überziehen wolle – und so stand der Film kurz vor dem endgültigen Aus. Das Studio liess keine solchen Spielchen mehr mit sich treiben, obschon riesige Summen bereits investiert worden waren und möglicherweise verloren gingen. Dieses neuerliche, klare Signal zeigte erstaunlicherweise erneut seine Wirkung und Cimino filmte die noch zu drehenden Szenen in der vorgegebenen Zeit und innerhalb des Budgets.
Alles in Butter also? Weit gefehlt! Jetzt begannen die Ränkespiele um die Schnittfassung und Länge des Films. Vertraglich war festgelegt, dass Cimino den Final Cut und das Sagen über die Promotion habe, wenn die Endfassung nicht länger als dreieinhalb Stunden dauern würde. Doch Cimino schnitt und schnitt und schnitt – und als die Premiere bereits verschoben werden musste, war Cimino immer noch im Schneideraum, plazierte eine Wache vor der Türe und liess keinen herein, schon gar niemanden von UA. Und sein Film wurde länger und länger. In dieser Zeit wurde es nahezu unmöglich, mit ihm einen vernünftigen Dialog zu führen. Er liess sich verleugnen, seine Produzentin Carelli stellte sich stets vor ihn und liess die Studioleute immer wieder abblitzen.
Die Grüppchenbildungen innerhalb des ganzen Gefüges zeichneten sich allerdings früh ab, sie wurden aber nicht rechtzeitig erkannt. Carelli konnte nicht mit Production Manager Charlie Okun. Steven Bach hielt seinem Studioboss Andy Albeck bis zuletzt die Stange, während Bachs Partner im ausführenden Geschäftsbereich, David Fields, abgesägt wurde. Der Verleihchef für Europa glaubte an einen absoluten Hit, während der zuständige Studio Executive Production Manager Lee Katz, zuständig für Budgetfragen, von Beginn weg und ohne Umschweife klarstellte, dass Heaven’s Gate kein Business machen würde und er, je länger die Arbeiten am Film dauerten, immer wieder mit Zahlen belegte, was möglich sei und was eben nicht – und wie desaströs falsch die ersten Budgetberechnungen seitens Carellis waren. Doch Bach und Albeck glaubten nach wie vor fest daran, einen Hit in Händen zu halten, sonst hätten sie die Finanzierung für den Prolog und den Epilog nicht bewilligt.
Das Schiff sinkt
Derweil schockte Cimino seine Bosse erneut, als er den Namen des Komponisten für die Filmmusik bekannt gab: David Mansfield, ein 24 Jahre junger Musiker ohne jegliche Erfahrung im Filmbusiness. Bach erinnerte sich: Dieser Junge, der einen kleinen Part im Film spielte und die Fiedel schwang, soll einen Multimillionen-Dollar-Film musikalisch betreuen? Einst war John Williams im Gespräch, doch die andauernden Verzögerungen liessen ein solches Engagement nicht mehr zu, Williams war mit anderen Projekten besetzt. Mansfield schliesslich erhielt, vehement von Cimino verteidigt, den Zuschlag. Aber auch hier ging es nicht ohne falsche Töne. Produzentin Joan Carelli sicherte sich laut Bach die Verlagsrechte an der Musik. Das heisst, Mansfield komponierte quasi in ihrem Auftrag, sie kaufte ihm seine Musik ab und verkaufte sie wiederum an United Artists. Sehr eigentümlich…
Nach diversen verschobenen Premieren und einer katastrophalen Vorführung einer fünfeinhalb Stunden-Fassung, mit der Cimino also auch sein Recht auf den Final Cut verwirkte, lag schliesslich eine 228 Minuten Version vor, die man Gästen, Studioleuten und der Presse vorführte. Diese wurde tatsächlich auch von Cimino geschnitten, nachdem er sich nach der katastrophalen Premiere reumütig zeigte. Nach der mit Spannung erwarteten Vorführung war die Enttäuschung allerdings zu spüren. Sicher, der Film war wunderschön fotografiert (Vilmos Zsigmonds Werk), die Musik von Mansfield wurde als Highlight bezeichnet, aber sonst? Zu lang, zu verwirrend, zu aufgeblasen. Die Gäste hatten in der Pause nicht einmal Lust, am üblichen Champagnernuckeln teilzunehmen, ein schlechtes Vorzeichen wie sich heraustellen sollte. Hie und da war zu hören, ob man sich denn jetzt wirklich auch noch die zweite Hälfte antun müsse.
Die Stimmen nach der Vorführung waren vernichtend, die Kritiken verheerend. Heaven’s Gate wurde dankbar von der Presse als Opferlamm aufgenommen, schliesslich taten Studio und Regisseur während des Drehs alles, damit nichts, aber auch gar nichts an die Öffentlichkeit kam und doch tröpfelten immer wieder Gerüchte durch. Kaum ein gutes Haar wurde am Film gelassen und United Artists stand plötzlich mit abgesägten Hosen da: Könnte es sein, dass der eingeplante Hit keiner werden würde? Oder wird das Publikum besser auf den Film reagieren als die Kritik? In den Chefetagen begann es zu rumoren. Und man tat schliesslich das, was man immer tut, wenn ein Film nicht zu funktionieren scheint: Man nimmt dem Regisseur sein Werk weg (der sich nun weigerte, weitere Kürzungen vorzunehmen) und liess den Film von Cutter William Reynolds auf rund 149 Minuten kürzen… und hoffte.
Doch hoffen ist im Filmgeschäft eher der falsche Weg. Dieselben Kritiker, die die lange Version als fades und selbstgefälliges Werk beschrieben, vermissten in der gekürzten Fassung all das, was ihnen in der langen Version nicht gefiel. Dann sickerte noch durch, dass die Story entgegen den Beteuerungen Ciminos ein gehöriges Mass an Fiktion beinhaltete. Sein Verhalten auf dem Set und andere Probleme sickerten durch und die Presse begann nun auch UA nach und nach zu zerpflücken. Heaven’s Gate floppte an den Kinokassen. Kaum jemand wollte Michael Ciminos Film sehen. In Europa fielen die Kritiken ein wenig günstiger aus, aber auch hier gab es keine Unterstützung an den Kinokassen. Erst etwas später, als die 228 Minuten Fassung in England gezeigt wurde und die ganzen Zeitungsgeschichten verraucht waren, fand der Film ein kleines Publikum und erhielt durchaus auch sehr wohlwollende Kritiken. Aber es war längst zu spät.
Das Heaven’s Gate Debakel kostete Studioboss Andy Albeck und Head of Production Steven Bach “den Kopf” und nur wenig später wurde das Traditionshaus United Artists von Transamerica an MGM verscherbelt. Heaven’s Gate wurde zu einem der ganz grossen Flops in einer Zeit, in der Raiders of the Lost Ark, The Empire Strikes Back und E.T.Rekordeinspielergebnise erzielten. Und er wurde zum Film, der ein grosses Filmstudio nicht nur ins Wanken, sondern zum Sinken brachte.
Michael Cimino konnte nie mehr an den Erfolg von The Deer Hunteranknüpfen. Auch sein nächster Film, Year of the Dragon (1985), war ein mässiger Erfolg und mit 24 Millionen Budget wiederum ein recht teures Werk. Filmisch misslungen allerdings war The Sicilian (1987) mit einem völlig fehlbesetzten Christopher Lambert in der Hauptrolle. 1990 folgte die Verfilmung des Broadwaystücks Desperate Hours und 1996 schliesslich Ciminos letzter Film, The Sunchaser. Beide waren erfolglos. Ob der einst gefeierte Regisseur je wieder einen Film machen wird, ist zu bezweifeln.
Die DVD
Den Film kann man sich in seiner 209 Minuten Version auf einer MGM DVD ansehen. Zwar in 2.35:1 Widescreen gehalten ist die Bildqualität leider aber nicht die beste. Vor allem eine gewisse Unschärfe und Schlierigkeit beeinträchtigen die wunderschönen Bilder, die der Film zu bieten hat. Der Englische Originalton ist in Dolby Digital 5.1 vorhanden, auf der Deutschen Spur muss man sich mit Monoton zufriedengeben. Extras gibt es leider keine, das ist gerade bei dieser von Problemen durchschüttelten Produktion aber auch der Grösse des Films doch sehr bedauerlich. Hier hätte es viel zu erzählen gegeben. Und wie heisst es so schön? «Die in den Kommentaren geäusserten Meinungen geben nicht die Ansichten des Studios wieder…».
Die Musik von Heaven’s Gate
Das Album
Auf Tonträger ist Heaven’s Gate seinerzeit von EMI auf einer LP veröffentlicht worden. Erst lange Zeit später (ob die problematischen Verlagsrechte daran schuld waren, weiss man nicht genau), 1999, fand der Score seinen Weg auf CD und zwar bei Rykodisc mit 25 Tracks gegenüber deren 13 der LP. Dabei sind die ersten 13 Stücke identisch mit der alten LP-Fassung. Die Rykodisc Edition ist inzwischen ausverkauft und bei den üblichen Auktionshäusern oder über Amazon Marketplace zu beziehen. Dafür muss man allerdings ein wenig tiefer in die Tasche greifen, Fans des Films dürften das allerdings wohl auch tun.
Mansfields Musik profitiert im Film von ihrer Einfachheit und dem repetitiven Charakter. Sie bildet damit ein gelungenes, emotionales Gleichgewicht zur durchaus komplexen Story. Die Intimität, die durch die zumeist kleine Besetzung (nur in einigen wenigen Tracks wie zB. der Pausenmusik wird auf ein Streichorchester zurückgegriffen) und die einfachen, kantenlosen Themen unterstrichen wird, strahlt dabei ein reizvolles Gefühl der Sehnsucht und des Verlustes aus. Über allem schwebt eine gewisse Melancholie, eine der grossen Stärken des Scores.
Prinzipiell ist Mansfields Musik wie folgt aufgeteilt:
– Slow Water, das eigentliche Hauptthema des Scores, das geprägt ist von seinem osteuropäischen Charakter.
– Ella’s Waltz, das Liebesthema, das die schwierige und doch so tiefe Beziehung, (er, der sich nicht fest binden will; sie, die einen festen Halt sucht und Averill heiraten möchte, dazu ihre Flucht in eine Beziehung mit dem Auftragskiller Champion) zwischen Ella und James Averill untermalt, ist ein durchaus fröhlich und positiv anmutendes Motiv. Im Verlaufe des Films entpuppt es sich als eigentliches Hauptthema.
– Song of 70, der als Verbindung zwischen Averills Charakter und seinem Jugendfreund aus Universitätstagen, gespielt von John Hurt, dient.
– Source music: hier finden wir Mansfields Interpretationen von „An der schönen blauen Donau“, dem Traditional „Battle Hymn of the Republic“, Stücke wie Village Dance und Playing in the Barn.
Mansfield verzichtet auf eigentliche Variationen dieser Themen, die immer wieder zu hören sind. Nur selten verbindet er sie in einem Track. Abwechslung schafft er mit den eingesetzten Instrumenten und unterschiedlichen Tempi, als Steigerung lässt er das Thema jeweils eine Oktave höher erklingen.
Wer hier also einen abwechslungsreichen, grossen und bunten Westernscore erwartet, der dürfte sich mit Heaven’s Gate eher schwer tun. Die Musik funktioniert eigentlich nur, wenn man Affinitäten zum Film hat. Doch selbst dann ist die lange Rykodisc-Version von zu vielen Wiederholungen geprägt, als dass man diese CD immer und immer wieder laufen lassen würde, um sich an einer mannigfaltigen Musik zu ergötzen. Aber so ab und zu mal reinschnuppern, dann sind Mansfields Themen eben doch ganz hübsch anzuhören, wenngleich die Sequenzierung der Rykodisc etwas speziell ausgefallen ist: Tracks 1 – 13 = LP, dann folgt die Overture und 5 Tracks gegen Schluss dann noch Intermission. Auch die zusätzlichen 8 Tracks (18 – 25) bringen kein neues Material, dafür aber mit Champion’s Death und The People Revoltmit ein wenig Spannungsatmosphäre so etwas wie einen kleinen, dramaturgischen „Umschwung“.
David Mansfield & Heaven’s Gate – Ein Interview
David Mansfield wurde 1956 in New Jersey geboren und genoss als Kind eine Ausbildung als Violinist. 1974 ging er mit Bob Dylan auf Tournee und blieb 4 Jahre in dessen Gruppe. 1976 bot ihm Arista Records einen Plattenvertrag an und er begann unter anderem mit T-Bone Burnett Alben zu produzieren. Über die Jahre hat Mansfield mit unzähligen Künstlern gearbeitet und auf deren Alben gespielt, u.a. Bruce Hornsby, Johnny Cash, Jimmy Cliff, Ry Cooder, John Denver, Suzanne Vega, Ringo Starr.
Seine Filmmusik-Karriere begann 1980 mit Heaven’s Gate, in dem er auch einen kleinen Part spielte. Mit Michael Cimino sollte Mansfield daraufhin an 3 weiteren Filmen zusammenarbeiten. Andere Filmmusiken sind Transamerica, Ballad of Little Joe, The Apostlemit Robert Duvall, Nobody Writes to the Colonel, Divine Secrets of the Ya-Ya Sisterhood, Club Paradise, Then She Found Me, A Streetcar Named Desire (1996), Truman und Broken Trail (mit Van Dyke Parks).
Dieses Gespräch mit David Mansfield fand im Juli 2009 statt.
? Dein erstes Filmmusikengagement war Heaven’s Gate, in welchem Du auch eine kleine Rolle hattest. Wie kam es dazu?
David Mansfield: Ich wurde ursprünglich als Musiker engagiert, um vor der Kamera zu musizieren, zusammen mit T-Bone Burnett, Gerry McGee und dem leider verstorbenen Stephen Burton (auch bekannt als Mitglied von Huey Lewis and the News). Cimino hat uns dann stärker in den Film integriert, indem er uns kleine Parts gab und wir nicht nur in der Roller Skating Szene auftauchen und danach wieder verschwinden würden. Meine Rolle war die des Hausjungen von Ella Watson, John DeCorey. So war ich während der gesamten Produktionszeit in Montana. Nach Ende der Dreharbeiten nahm ich zuhause ein paar Demos der Songs auf, die wir auf dem Set gelernt hatten. Joan Carelli, die Produzentin, liess das Tape kommentarlos Michael (Cimino) zukommen, ohne Angaben vom wem es stammt. Damals wurde gerade – nachdem John Williams, der ursprünglich die Musik schreiben sollte, wegen Terminkonflikten u.a. mit den Boston Pops, aussteigen musste – ein neuer Komponist gesucht. Michael spielte die Musik zum Film und ihm gefiel was er hörte so sehr, dass er die Suche nach einem Komponisten abblies. Carelli sagte, Cimino sei zunächst etwas geschockt und verärgert gewesen, als er erfuhr, dass die Musik in die er so vernarrt war, von diesem kleinen, 24 jährigen Kerl stammte, den er für die Heaven’s Gate Band [Heaven’s Gate war der Name der Rollschuhbahn im Film; phb] engagiert hatte.
? Wie gingst Du mit diesem plötzlichen Durchbruch um, als junger Komponist für einen grossen Film zu schreiben?
David Mansfield: Obwohl ich noch sehr jung war, hatte ich als Musiker doch schon einige Erfahrung. Während ich in der High School war, erhielt ich einen Vertrag mit Warner Brothers, spielte als 18 Jähriger mit Bob Dylan und mit T-Bone und Steven Soles in der The Alpha Band. Hinsichtlich keiner Erfahrung im Filmbusiness: Das war für mich in diesem Sinne überhaupt kein Problem, da ich etwas machte, was bei mir seit meiner Kindheit präsent war, osteuropäische Volksmusik. Mein Vater, ein professioneller Violinist, stammt aus Osteuropa.
? Das Engagement als Musiker, der im Film mitspielen sollte, erhieltst Du also auf Grund Deiner Karriere als Folk/Pop-Musiker?
David Mansfield: Ja. Joan Carelli hat mich auf der Bühne mit Bob Dylan im Madison Square Garden spielen sehen. Als es um die Besetzung der Heaven’s Gate Band ging erinnerte sie sich an mich.
? Was sagte Dein Vater zu Deiner Karriere als Musiker?
David Mansfield: Er war gar nicht begeistert, dass ich Popmusiker werden würde. Er hielt das für eine äusserst unsichere Berufswahl…! Als Musiker, der seit den 60er Jahren in der NY Philharmonic Violine spielte, war Popmusik für ihn keine wirkliche Musik. Dieses Missfallen dauerte an bis ich begann für Orchester zu komponieren. Das beruhigte ihn dann doch!
? Hast Du die Unsicherheit der Studioleute von United Artists mitbekommen, als die Idee aufkam, dass Du die Musik schreiben würdest und dass es auch Probleme anderer Natur gab?
David Mansfield: Nein. Michael Cimino und Joan Carelli schirmten mich von den Problemen rund um die Produktion und der post production völlig ab. Zum Glück.
? Du hattest also nie mit den Studio Executives zu tun?
David Mansfield: Ich habe David Fields [Head of Production bei United Artists mit Steven Bach; phb] und ein oder zwei andere Leute während den Dreharbeiten kennengelernt, aber ansonsten hatte ich während der Filmmusik-Produktion nie mit jemandem vom Studio zu tun. Auch für die Erlaubnis von nachträglichen Aufnahmen mit einer Streicherbesetzung, etwa für die „Intermission“, nicht. Das lief alles über Cimino und Carelli.
? Steven Bach, der „Final Cut – Art, Money and Ego“ geschrieben hat und sich darin über die Produktion des Filmes ausliess, fand in seinem Buch nur lobende Worte für Deine Filmmusik…
David Mansfield: Das ist sehr nett von ihm. Über all die Jahre habe ich immer wieder tolle Komplimente für diesen Score erhalten.
? Was war der Grund, einen sehr traditionellen, Folkmusic geprägten Score zu wählen?
David Mansfield: Ich kann das nicht mal genau sagen, da müsste man schon Michael Cimino fragen. Aber ich denke die differenzierte Gegenüberstellung zwischen der Szenerie der Bilder und einem stillen, intimen Score war wohl ausschlaggebend dafür. Ebenso das Gefühl von Erinnerung und Verlust, das den gesamten Film einnimmt. Das Mandocello [eine Mandoline in Gitarrengrösse; phb], das ich sehr oft einsetzte, verleiht dem Ganzen ausserdem ein Gefühl einer vergangenen Ära.
Es wäre sicherlich nicht falsch gewesen ein grosses Orchester einzusetzen. Auf jeden Fall wäre es auf die Art der Ausführung angekommen und nicht auf die Instrumentation per se. Ein Folkscore allerdings war sicher eine etwas gewagte Wahl.
? Ein spezieller Weg…
David Mansfield: Durchaus, aber kein Unpassender. Ausserdem, Ry Cooder begann zu jener Zeit mit Filmmusik. Ich bin ziemlich sicher, dass The Long Riders, für den er die Musik schrieb im selben Jahre in die Kinos kam wie Heaven’s Gate [Walter Hills Film startete im Mai 1980 etwas erfolgreicher – er spielte in den USA 10 Millionen Dollar ein, Heaven’s Gate startete im November des selben Jahres; phb].
? Dem Film entsprechend, viele der Grundbesitzer sind ja osteuropäischer, oftmals jüdischer Abstammung, ist ein spürbar „russischer Anstrich“ zu hören…
David Mansfield: Ein Grossteil der Musik beruht auf Volksliedern aus Russland, der Ukraine, Litauen, die im Film von den Schauspielern gesungen werden. Als Cimino und Carelli die kleineren Rollen besetzten, gab es zwei wichtige Kriterien: Die Schauspieler mussten eine Zweitsprache beherrschen und sie sollten eine Ahnung von osteuropäischen Volksliedern haben.
? Dein Hauptthema hat einen sehr melancholischen Charakter. Es ist gleichzeitig recht simpel und eingängig, hinterlässt aber ein Gefühl der Leere. Deutlich wird das insbesondere nach dem Tod von Ella Watson und während der Schlusstitel.
David Mansfield: Das ist genau die Essenz des Films. Ich glaube mich zu erinnern, dass Michael folgenden Satz auf die Titelseite des Drehbuchs schrieb: „What one loves about life are the things that fade“. Selbst die Höhepunkte wie Champions Tod und die Schlacht sind musikalisch umgeben von Melancholie.
? Wann war für Dich klar, dass Du den richtigen Ton für Heaven’s Gategetroffen hattest und dem Film etwas Besonderes beitragen würdest?
David Mansfield: Das war der Fall, als ich die Main Title Musik schrieb. Ich fühlte, dass ich die Seele und das Herz der Story getroffen habe mit diesem Stück.
? Erinnerst Du Dich noch, wo die Musik aufgenommen wurde und wie lange das dauerte?
David Mansfield: Die kleinen Besetzungen für die Folkstücke wurden in Los Angeles in einem kleinen Indie-Studio namens Paramount, das nichts mit dem gleichnamigen Filmstudio zu tun hat, von Larry Hirsch aufgenommen. Das verteilte sich über den langen Schneideprozess hin. Ich war mit Larry über einen Zeitraum von mehreren Monaten im Studio, aber nicht regelmässig oder etwa mehrmals hintereinander. Mit nur einem Musiker, nämlich mir, gab es keine Budgetprobleme – die Musik war zweifellos einer der Posten, der grosszügig unter dem Budget blieb!
? Vielleicht liessen Dich auch deshalb die Studiochefs in Ruhe…
David Mansfield: Möglicherweise. Aber wohl eher, weil sie ansonsten genügend zu tun hatten mit dem Film…
? Wieviele Musiker hatte die grösste Besetzung?
David Mansfield: Es gab zwei Aufnahmesessions mit einem Streichorchester, ungefähr 40 Musiker. Einmal in Los Angeles und einmal in München.
? Gab es Stücke, die Du umschreiben oder ändern musstest?
David Mansfield: Ja, eine ganze Menge sogar, aber es war mehr im Rahmen von: „Lass uns das in einer langsameren Version versuchen…“ usw.
? Wie schon angesprochen, die Presse hatte damals einiges über den Film zu schreiben. Dann kam das miserable Ergebnis an den Kinokassen. Hat Dich das damals in irgendeiner Weise betroffen?
David Mansfield: Nachdem der Film startete, suchte ich einen Agenten, der mich repräsentieren würde und erhielt nur Absagen. Einer liess mich wissen, dass Heaven’s Gate in meiner Filmographie schlimmer sei als gar keinen Film aufweisen zu können!
? In jedem anderen Fall, mit einem derart grossen Studiofilm, hätte Dich wohl jeder Agent mit Handkuss genommen.
David Mansfield: Es war für eine Weile wie ein Fluch. Das änderte sich erst nach und nach, als die Kritiker begannen den Film mit anderen Augen zu sehen und die ganzen Umstände rund um die Produktion sich langsam verzogen hatten.
? Gab es eine Zeit nach Heaven’s Gate, in der Du fast bereut hast, den Film gemacht zu haben?
David Mansfield: Es war sehr frustrierend keine Arbeit zu finden, aber bereut habe ich es nie an diesem Film gearbeitet zu haben – ganz im Gegenteil.
? Wie hast Du den Neustart von Heaven’s Gate im sogenannten Director’s Cut in Erinnerung, als dieselben Kritiker, die ursprünglich dieselbe lange Version nicht ausstehen konnten, den Film plötzlich mochten?
David Mansfield: Jeder, der am Film beteiligt war, fühlte sich irgendwie bestätigt, eine Art der Genugtuung. Aus rein künstlerischer, kreativer Sicht fanden wir die ausufernden Reaktionen damals völlig übertrieben und nicht zu vertreten, trotz der Schwächen (und Stärken!) des Films.
? Alles in allem: Gibt es etwas, was Du nach Heaven’s Gate so nie wieder getan hättest bzw. daraus gelernt hast?
David Mansfield: Ironischerweise nicht, nein. Ich war ein Anfänger in Sachen Filmmusik, wurde an sich von allem, was nicht die Musik betraf, abgeschirmt. Und was ich noch zu lernen hatte, lernte ich im Laufe der Zeit und mit jedem neuen Projekt.
? Es folgten noch drei weitere Filme mit Michael Cimino: Year of the Dragon, The Sicilian, Desperate Hours. Wie ist es, mit ihm zu arbeiten und hast Du nach Heaven’s Gategezögert, wieder für einen Cimino Film die Musik zu schreiben?
David Mansfield: Absolut nicht. Ich war ausser mir vor Freude und sehr dankbar, als Michael mir anbot bei Year of the Dragon wieder dabei zu sein.
Je mehr er mir zu vertrauen lernte, desto erfüllender wurde für mich die Arbeit mit ihm. Am befriedigendsten für mich war The Sicilian. Michael verhielt sich da sehr respektvoll, ermutigend und inspirierend.
? Inwiefern zeigte sich das?
David Mansfield: Nun, ich merkte, dass er mit dem Resultat sehr zufrieden war, vom Moment an, als er das erste Stück hörte. Seine Zuversicht mir gegenüber war zu spüren und das war enorm befreiend für mich – und wir hatten die selben Vorstellungen was die Musik anbelangte.
Ich erinnere mich noch gut an die Aufnahmen in Budapest, das fühlte sich wie eine grosse Party an. Er und Françoise Bonnot (die für den Filmschnitt verantwortlich war) brachten Kaviar mit ins Tonstudio – wir hatten einfach eine tolle Zeit.
? Ich nehme an, er war auch dankbar, dass Du vor und nach Heaven’s Gate stets zu ihm gehalten hast?
David Mansfield: Gut möglich, allerdings war eher ich der Dankbare, immerhin ist er stets zu mir gestanden.
? Worin liegen die Unterschiede der vier Scores für Michael Cimino? Und gibt es eine Verbindung musikalischerseits?
David Mansfield: Heaven’s Gate war durchwegs von ethnischer Volksmusik geprägt und für mich, da ich zum grössten Teil die Musik ja selber intonierte, hinsichtlich der Einspielung etwas ganz Besonderes. Es war mehr ein Musizieren als ein Komponieren. Year of the Dragonwar meine erste Erfahrung mit einem traditionellen Orchester, obwohl es da auch einige zeitgemässe Synthesizerstücke gab. Hinsichtlich Komposition und Orchestration war das allerdings ein intensiveres Erlebnis, ausserdem dirigierte ich bei diesem Film zum ersten Mal. Das war der Film, bei dem ich mir wirklich meine Sporen als Filmkomponist abverdiente.
Bei The Sicilian hatte ich mehr Selbstvertrauen, fühlte mich sicherer und hatte einfach ein Riesenerlebnis, an diesem Film zu arbeiten. Ich habe es richtig genossen. Desperate Hours war der erste Film, bei dem Michael und ich nicht die gleiche Meinung hatten, kreativerseits. Ich hatte etwas Mühe mit dem grossen, orchestralen Ausdruck und den Emotionen, die Michael wollte. Wir mühten uns damit ab und ich habe das Gefühl, dass sich der Score auch nicht wirklich bewährte.
Das Bindeglied all dieser Filme ist Michaels Sinn für Melancholie, etwas was uns beide verbindet. Das ist stets eine Art roter Faden und ein Diskussionsstrang in allen unseren gemeinsamen Arbeiten gewesen. Was die Beziehung mit ihm als Filmemacher anbelangt, war er für mich eher ein Mentor als ein Regisseur. Ich war ja bloss ein junger Popmusiker, als ich mit ihm zu arbeiten begann und entwickelte mich dank ihm zu einem Filmkomponisten. Dafür werde ich ihm, ebenso wie Joan Carelli und Françoise Bonnot immer dankbar sein.
? Was ist bei Dir in Sachen Musik aktuell?
David Mansfield: Vor ein paar Jahren bin ich ins Westerngenre zurückgekehrt und habe gemeinsam mit meinem alten Freund Van Dyke Parks die Musik für eine Miniseries von Walter Hill geschrieben, Broken Trail. Für Helen Hunt [die Oscarpreisträgerin in der Sparte Beste Hauptdarstellerin für As Good as it Gets, phb] habe ich Then She Found Me vertont, eine Musik an der mir sehr viel liegt. Und ich bin wieder vermehrt zu meiner Tätigkeit als Musiker zurückgekehrt, kürzlich für Sting und dessen neuem Album „If on a Winter’s Night“.
? David, vielen Dank für das Gespräch.
Infos zu David Mansfield: www.david-mansfield.com
Dank an Stefan Schlegel für das Gegenlesen und David Mansfield, der sich die Zeit nahm auf meine Fragen zu antworten.
Phil, 19.7.2009