Wie aus einem Märchen könnte man die Beziehung zwischen den Autoren Nick und Amy bezeichnen. Wenigstens auf den ersten Blick und zweifellos in ihren ersten Monaten. Doch Nick und Amy haben sich auseinandergelebt. Er spielt zuhause angeödet Videogames während sie von ihren Einkünften als einstige Hitautorin zerrt. Intellektuelle Gespräche führen die beiden schon lange nicht mehr. Als Nick eines Tages nach Hause kommt, ist Amy verschwunden. Scheinbar das Opfer einer Entführung, setzen Amys Eltern alles daran um ihre geliebte Tochter wiederzufinden und Nick gerät mehr und mehr in die Schusslinie der amerikanischen Hetzmedien.
David Fincher reitet auf einer Welle des Erfolgs. The Curious Case of Benjamin Button war bisher sein erfolgreichster Film, in den USA getoppt von Gone Girl, der auch weltweit ein schönes Einspielergebnis erzielte, noch vor dem vielgelobten aber trägen The Social Network. Gerade in Hinblick auf die Staaten ist das umso erstaunlicher, bedenkt man wie kritisch Fincher und Autorin Gillian Flynn, die Novelle als auch Drehbuch geschrieben hat, mit den amerikanischen Medien, allen voran der TV-Hysterie und Vorverurteilungsmaschinerie, deren Formate und Zeitgeist längst nach Europa übergeschwappt sind, hier umgeht. Ganz abgesehen vom Film selber, der doch arg überlang scheint und nach 2 Stunden auseinanderzubrechen droht wie ein alter Citroën 2CV. Ganz abgesehen von der, wenn auch gewollt, überkandidelten Darstellung von Rosamund Pike als Amy Dunne, die im Off weitaus besser rüberkommt als wenn sie on-screen zu sehen ist. Umso gelungener dafür die Darstellung von Ben Affleck, der gar sein Damen Herzen höher schlagendes Lächeln aufsetzen darf (köstllich der Moment als ein Reporter „Smile!“ schreit und Nick Dunne dies prompt befolgt, vor dem überlebensgrossen Missing Plakat seiner Frau stehend). Fein ist auch das Spiel von Kim Dickens (Hollow Man) und Carrie Coon.
Solange Fincher den Zuseher in Unsicherheit wiegt, funktioniert der Film. Beginnt er das Rätsel aufzulösen, bröckelt Gone Girl nach und nach auseinander. Ganz ohne Zweifel, gemacht ist der Film wie von Fincher gewohnt herausragend, wenn auch die künstliche Nachbearbeitung (etwa der makellose Teint von Frau Pike oder der märchenhafte Zuckerstaub in New York) hie und da arg übertrieben scheinen. Diese digitalen, optischen Spielereien kennen wir spätestens seit Benjamin Button, nicht nur zum Wohlwollen des Films.
Bereits zum dritten Mal komponieren Atticus Ross und Trent Reznor die Musik für einen David Fincher Film (Social Network, The Girl with the Dragon Tatoo) und holen somit Howard Shore ein, der ebenfalls drei Filme des Regisseurs musikalisch bearbeitete (Se7en, The Game, Panic Room). Ihre Musik ist hauptsächlich von tiefen Bassatmosphären, Sphären und Effekten elektronischer Natur geprägt, funktionell, manchmal wirklich an die sprichwörtlichen Nieren gehend und das 5. oder 7.1 Dolby System auskostend. Ich würde mir bald wieder einen Shore/Fincher wünschen. Eine CD mit viel Score ist bei Sony Music erschienen.
Phil, 27.1.2015
GONE GIRL R: David Fincher D: Ben Affleck, Rosamund Pike u.a. Musik: Trent Reznor, Atticus Ross Verleih: Fox (blu-ray)