Review aus The Film Music Journal No. 33/34, 2005
MALTA GC (1942) ist ein kurzer Dokumentarfilm über die Lebensumstände auf der unter dauernden Luftangriffen leidenden Mittelmeerinsel, deren Bewohner für ihr Durchhaltevermögen und ihre britenfreundliche Haltung mit dem Georgskreuz ausgezeichnet wurden. Für den damals schon beinahe 60jährigen Bax war dies die erste Filmmusik überhaupt. Er fühlte sich nicht zu dieser Gattung berufen, ließ sich aber, wahrscheinlich von Muir Mathieson, dazu überreden, den Auftrag anzunehmen. Und obwohl er mit dem Ergebnis nicht zufrieden war, kam die dem Werk entsprungene Konzertsuite beim Publikum sehr gut an.
Kenneth Alwyn hat mit dem Royal Philharmonic Orchestra in den Achtziger Jahren für «Cloud Nine» den ganzen Malta-Score eingespielt (zusammen mit OLIVER TWIST-Auszügen), bei Rumon Gamba reichte es aus Platzgründen nur für den zweiten Teil. Nach einem kurzen Marsch untermalt ein ruhiges Zwischenspiel die Arbeit von Frauen in einer Gemeinschaftsküche. Es folgt optimistische und verspielte Musik, die Wiederaufbauarbeiten und Schulkinder begleitet, dazwischen sind bedrohliche, mit Flugzeugbildern unterlegte Noten zu hören. Abgeschlossen wird das Werk von einem zeremoniellen Marsch, wie ihn die Briten ganz einfach im Blut zu haben scheinen.
Obwohl Arnold Bax für die literarische Vorlage zu OLIVER TWIST (1946) nicht allzuviel übrig hatte, gelang ihm für die klassische David-Lean-Verfilmung ein ungemein stimmungsvoller und sujetgerechter Score. Zwar wirkt die Musik, wie bei Bax üblich, anfänglich ein wenig nüchtern und unnahbar, aber wer sich näher damit befasst, erkennt bald, dass sich unter der spröden Schale viel Leidenschaft und Ideenreichtum verbirgt. Das «Prelude» beinhaltet zwei Hauptgedanken: Die Trompeten spielen das Medaillon-Thema (der Inhalt dieses Schmuckstücks offenbart Olivers Abstammung) und in den hohen Streichern meldet sich das Oliver-Thema zu Wort. Diese Themen drängen sich selten in den Vordergrund, sondern werden variiert und passen sich den Stimmungen an. Aber natürlich hat gerade das Oliver-Thema auch seine prominenten Auftritte, zum Beispiel durch das Klavier in «Olivers’ Sleepless Night und vollorchestral im feierlichen Finale.
Bax hat das Geschehen, wie ich finde, ausgezeichnet aus der Sicht des jungen Helden, der sich nicht unterkriegen lässt, eingefangen. Die tragischen Ereignisse unterlegt er sensibel mit getragener und leiser Musik – oft instrumentiert nur für Streicher, Holzbläser und gestopfte Trompeten – die Trauer und Leid, nie aber Verzweiflung ausdrückt. Kindliche Unbekümmertheit prägt die lebhaften Tracks. Wenn Oliver nach London flieht und sich einer Bande von jugendlichen Straßenräubern anschließt, findet der Komponist nicht nur die richtigen Klänge für die prächtigen Ansichten der Stadt, sondern auch für das diebische Vergnügen Olivers an einer für ihn neuen Welt. Verschmitzt und treffend begleitet die Musik unehrenhaftes Treiben, irrwitzige Verfolgungsjagden und die karikaturhaften Charaktere, allen voran den von Alec Guinness verkörperten Bandenchef, dessen unvergessliche Tanzeinlage sich im auf derbe Art ästhetischen «Fagin’s Romp» – das Showstück des Scores – wiederfindet. Hier wie auch beispielsweise in «The Chase» erweist sich, wie souverän es Bax verstand, das Orchester mit bewundernswerter Raffinesse aufspielen zu lassen.
Man mag es angesichts der liebevollen Musik kaum glauben, dass er gegenüber dem Charles-Dickens-Roman so negativ eingestellt gewesen sein soll. Für diese Einspielung von OLIVER TWIST nutzte man verschiedene Quellen, aber dass der Score nun komplett vorliegt, verdankt er einem glücklichen Umstand, fischte man doch eine Partitur mit verloren geglaubten Teilen aus einem Müllcontainer(!). Graham Parlett hat die Vision von Bax wieder hergestellt, das heisst, die Musik unterscheidet sich teilweise von der Filmversion. Im Vergleich zum erwähnten Kenneth Alwyn schneidet Rumon Gambas Interpretation etwas schlechter ab, aber vielleicht entsteht dieser Eindruck auch nur wegen der Aufnahme, die ein wenig unter grossen Dynamikunterschieden leidet. Das soll aber niemanden davon abhalten, sich diese CD zu kaufen, denn der einzige Spielfilm-Score von einem der bedeutenden britischen Komponisten des 20. Jahrhunderts wird in seiner kompletten Form wohl nicht so schnell das Licht einer anderen Veröffentlichung erblicken.
Andi | 2005
THE FILM MUSIC OF SIR ARNOLD BAX
Oliver Twist / Malta GC
Arnold Bax
Chandos Chan 10126
73:06 | 34 Tracks