El Cid (Tadlow)

Miklós Rózsa

Tadlow Music CD005

CD 1: 75:53 / 27 Tracks
CD 2: 73:39 / 21 Tracks
CD 3: 32:21 / 8 Tracks

Als Miklós Rózsa seine Musik für King of Kings vollendet hatte, konnte er nicht ahnen, dass es kurz darauf zu einer weiteren Zusammenarbeit mit Samuel Bronston kommen sollte, denn als nächstes stand Mutiny on the Bounty auf seinem Dienstplan. Doch der russischstämmige Produzent, der seine Filme gerne mit der grossen Kelle anrührte, war mit dem für El Cid vorgesehenen Mario Nascimbene uneins und lotste Rózsa aus dem Vertrag mit MGM heraus.

Das kam dem Komponisten nicht ungelegen, denn an dem nautischen Abenteuer lag ihm nicht viel. Und auch wenn seine Begegnung mit Spaniens Nationalhelden zunächst im Frust endete, weil man ohne seine Konsultation rund 23 Minuten Musik aus dem fertigen Film herausschnitt, war er im Rückblick doch äusserst stolz auf sein Werk und verband damit zweifellos auch die Erinnerungen an seine Arbeit, die er im sommerlichen Madrid im Beisein seiner Familie verrichten durfte. Angenehme Bedingungen, die seine Inspiration beflügelten, wie er selbst zugab: «Spanien beeinflusste den Score, ich hätte nirgendwo sonst solche Musik schreiben können.»

Wie üblich begab sich Rózsa auf die Suche nach historisch korrekter Musik. Der hochbetagte Dr. Ramon Menendez Pidal – die El-Cid-Koryphäe schlechthin – stand ihm dabei beratend zur Seite und empfahl ihm die «Cantigas de Santa Maria», eine Liedersammlung aus dem 12. Jahrhundert. Aber auch die «Llibre Vernell» – Manuskripte des Klosters Montserrat bei Barcelona aus dem 14. Jahrhundert – fand für den Score Berücksichtigung. Diese Quellen machte sich Rózsa so sehr zu eigen, dass man nicht im Entferntesten auf den Gedanken käme, sie stammten nicht von ihm selbst.

El Cid wurde 1961 von Anthony Mann bildgewaltig und farbenprächtig in Szene gesetzt. Die Titelrolle gibt der damals auf markante historische Persönlichkeiten abonnierte Charlton Heston, neben ihm agieren Sophia Loren als seine Geliebte Jimena und Herbert Lom als Ben Yussuf, Führer der auf die iberische Halbinsel einfallenden Mauren. Bestimmt ist der Streifen kein Meisterwerk, aber vor allem auch dank der Musik immerhin ein spektakuläres Filmerlebnis. Rózsa reiht sich damit ein in die Liste von Komponisten, die von der geschichtsträchtigen Kultur Spaniens zu besonders eindrucksvollen Werken stimuliert wurden, wie etwa Max Steiner mit Adventures of Don Juan oder Alfred Newman mit Captain from Castile.

Der Film greift universelle Themen wie Liebe, Machtgier, Nationalstolz und Religion auf, die Rózsa als tragende Elemente für sein formal ausgereiftes Klanggebäude dienen. Dessen Architektur beruht auf thematischer Feinarbeit, die wie ein präzises Uhrwerk ineinandergreift. Natürlich erhalten alle Hauptfiguren ihre mannigfaltig in Erscheinung tretenden Themen; jenes seine starke Persönlichkeit untermauernde für den Cid, jenes düstere und undurchschaubare für den hinterlistigen Count Ordóñez, jenes orientalische, sich bedrohlich wie eine Schlange vor dem Opfer windende für Ben Yussuf.

Mit erlesener Schönheit wird Jimena umgeben. Das betrifft sowohl ihr eigenes Thema, das gerne von Holzbläser-Soli dargebracht wird, als auch das unvergessliche Liebesthema, das ebenso hingebungsvoll wie melancholisch und zerbrechlich wirkt im Spiel der Solovioline. Oft wird dieses Thema begleitet von einer dezenten, aber doch ungeheuer viel zur Stimmung beitragenden Gitarre. Ins Zentrum gerückt wird das für Spanien so typische Saiteninstrument in The Twins; bei dieser Melodie für die Töchter des Cid handelt es sich um den prominentesten Einsatz einer Cantiga; in diesem Fall ist es die Nr. 322. Weitere Cantigas finden sich grösstenteils in Momenten, wo sich Rózsa mit wenigen Instrumenten – Blockflöten, Harfen und Gitarren – begnügt, wie Palace Music (Nr. 189) und Wedding Supper (Nr. 3).

Neben wunderbaren, mal pastoral, mal impressionistisch angehauchten Landschaftsuntermalungen zeichnet sich die Vielfalt dieses Scores auch dadurch aus, dass sich Rózsa nicht mit simplen Repetitionen zufrieden gibt, sondern seine Fanfaren und seine vorwärtstreibenden Motive für die Ritter hoch zu Ross stets variiert und dadurch der ohnehin hohen Attraktivität von El Cid weitere Reize verleiht. Der Score gipfelt in der grossangelegten Schlacht von Valencia, wo die Musik von  Enegieschüben während der Kampfszenen und kontrastrierenden, elegischen Ruhepunkten geprägt ist. Unter den Gefallenen befindet sich auch der Cid, der zur Täuschung des Feindes in The Legend and Epilogue unter dem mächtigen Klang einer Kirchenorgel zu seinem letzten Ritt aufbricht, und dem der lediglich in den letzten Minuten zum Einsatz kommende Chorgesang die Aura der Unsterblichkeit verleiht.

El Cid gehört zu den populärsten Werken von Miklós Rózsa, und für viele dürfte sich mit dieser Veröffentlichung des kompletten Scores einschliesslich nichtverwendeten Materials ein Traum erfüllen oder sie zumindest über den Umstand, dass die Originalbänder bislang nicht lokalisiert werden konnten, hinwegtrösten. Der Klang ist voluminös und doch – dank klassischer, trockener Studioaufnahme mit Plattenhall – transparent. Der Charakteristik von Rózsas Musik ist man sehr nahe gekommen, die Tempi sind akkurat, und deshalb überzeugt Tadlow – im Gegensatz zu Koch mit der dürftigen Sedares-Einspielung – in allen Belangen. Für mich ist dies somit eine der bedeutendsten Filmmusik-Neueinspielungen aller Zeiten, die nicht hoch genug empfohlen werden kann.

Während sich der Score auf die ersten zwei CDs verteilt, enthält CD 3 ein paar alternative Cues (inklusive des berühmt-berüchtigten, kitschigen Vokalepilogs The Falcon and the Dove), eine Suite aus Double Indemnity sowie einen interaktiven Teil mit Clips und Interviews. Im informativen Booklet erfahren wir unter anderem, dass El Cid die Lieblingsfilmmusik von Produzent James Fitzpatrick ist. Limitiert auf 3000 Stück, ist die Edition nach wie vor erhältlich, und sollte es zu einem Ausverkauf kommen, wird möglicherweise ein Doppelalbum ohne Extras nachgeschoben. Silva Screen bietet die Tracks auch als Download an.

Nic Raine und die früher vielbelächelten Prager Philharmoniker bestätigen den guten Eindruck, den sie spätestens mit The Private Life of Sherlock Holmes hinterliessen, und sie mausern sich langsam, aber sicher zur ernsthaften Konkurrenz für Morgan/Stromberg. Deshalb darf man schon mal gespannt sein auf die in der Pipeline stehenden Tadlow-Kompletteinspielungen von Exodus und Lawrence of Arabia.

Andi, 28.4.2009