Dragonwyck

Review aus The Film Music Journal No. 30, 2003

Herrliche Zeiten sind das, in denen der Freund Newmanscher Soundtracks mit Originaleditionen seiner Scores alle paar Monate förmlich überschüttet wird.Wenn man bedenkt, daß die DRAGONWYCK-Komposition bereits 57 Jahre auf dem Buckel hat, ist es regelrecht erstaunlich, welch beachtliche Klangqualität die Tontechniker vom Chelsea Rialto Studio aus den alten Masterbändern noch hervorgezaubert haben, selbst wenn man ab und zu etwas Bandrauschen oder ein paar nicht mehr zu entfernende Knackser in Kauf nehmen muß.

Doch was nützt einem die beste moderne digitale Aufnahmetechnik, wenn das spieltechnische Niveau des entsprechenden Orchesters einfach nicht stimmt. Man höre im Vergleich zur jetzt vorliegenden faszinierenden Originaleinspielung die knapp 9-minütige Suite des Scores, die Dirigent Richard Kaufman mit dem New Zealand Symphony Orchestra 1996 für das Koch-Label aufgenommen hat, und man wird sofort erkennen, wie bieder und betulich das gegenüber dem Newman-Dirigat ausgefallen ist. Am allerstärksten fallen diese Schwächen im ruhigen und melodischen Mittelteil der Suite mit dem Miranda-Liebesthema und dem eleganten Walzer in der Ballsequenz ins Gewicht, wo völlig auf die für den Newman-Stil so entscheidenden Streicher- und Holzbläser-Portamenti verzichtet wird. Dadurch bricht die Musik komplett auseinander und verliert ihre ganze Aura, so daß im Endeffekt nur noch ein matter Abglanz des Originals übrigbleibt. Was demgegenüber Newman selbst aus dem brillant spielenden Fox-Orchester herausholt, sucht schon seinesgleichen.

DRAGONWYCK (1946) von Joseph L. Mankiewicz ist ein auch heute noch sehenswertes düsteres Melodram, das im Hudson Valley des Jahres 1844 spielt und die Geschichte der jungen Farmerstochter Miranda (Gene Tierney) erzählt, die von einem entfernten Cousin, dem aristokratischen Gutsbesitzer Nicholas Van Ryn (Vincent Price), zunächst als Gouvernante in seinem Herrensitz DRAGONWYCK eingestellt wird und ihn bald darauf heiratet, nachdem seine erste Frau stirbt. Van Ryn entpuppt sich immer mehr als Psychopath, der bereits seine erste Frau umgebracht hat und nun auch Miranda nach dem Leben trachtet. Wie schon aus dem Inhalt deutlich wird, greift DRAGONWYCK zahlreiche Handlungselemente aus anderen Filmen dieser Zeit wie REBECCA (1940), GASLIGHT (1943) und JANE EYRE (1944) auf.

Auf Grund des makabren Sujets erstaunt es natürlich auch nicht, daß Newman gemessen an seinen anderen satt erstrahlenden Filmmusiken der 40er Jahre bei DRAGONWYCK oft mit weitaus gedämpfteren und düstereren Klangfarben arbeitet – so vor allem mit tiefen, drohenden Holzbläsern, wenn es darum geht, Unbehagen zu schüren und die morbide Atmosphäre um das geheimnisvolle Schloß und seinen Besitzer auszumalen wie in «I Dreamt I Dwelt in Marble Halls». Der «Main Title» wird eröffnet mit einem energisch aufwallenden Orchestertutti, das mit seiner atemberaubenden Wucht direkt unter die Haut geht und bereits auf das drohende Unheil vorausweist. In mehreren Sequenzen des Scores greift Newman auf dieses Motiv zurück, um es überaus effektvoll sinfonisch zu verarbeiten. Wunderschön romantisch und von Sehnsucht getragen ist dagegen das Miranda-Liebesthema, das erstmals in Track 3 («Miranda’s Yearnings») auftaucht – ein echter Newman, der desöfteren auch in einem herrlich elegant-schwungvollen Walzer-Arrangement zu Gehör kommt. Ein genialer Einfall ist zudem die Verwendung eines geisterhaften Soprangesangs und eines Cembalos in Verbindung mit schroffen Dissonanzen der Bläser und hohen Streicher («Dementia», «Katrine Hears Azilde»). Dabei wurden die einzelnen Komponenten zunächst separat aufgenommen und später dann ineinander gemixt, so daß ein fantastischer Klangeffekt entsteht, bei der die “Geisterstimme” von Van Ryns längst verstorbener Urgroßmutter Azilde geradezu sensorisch auf den Zuhörer einwirkt.

DRAGONWYCK erweist sich auf dieser CD als eine durch und durch imposante und aufwühlende Paritur, die Newmans einfühlsame Arbeitsweise nachdrücklich unter Beweis stellt. Äußerst liebevoll aufgemacht kommt das 20-seitige Booklet daher, und das sinnlich-glamouröse Cover ist sowieso mit das Schönste, das im abgelaufenen Jahr eine Filmmusik-CD zierte.

Stefan  |  2003

DRAGONWYCK

Alfred Newman

SAE

79:53 | 28 Tracks