Double Indemnity (Film Noir Scores, Koch)

Review aus The Film Music Journal No. 11, 1997

Die Vielzahl der existierenden Rózsa -Alben wird nun um ein weiteres, allerdings exzellent ediertes bereichert. Neben seinen legendären Abenteuerscores und den großen Epen sind es besonders die Beiträge zur „Schwarzen Serie“, welche Rózsa Ruhm begründeten und am Leben erhalten. Eine Reihe weniger bekannter Arbeiten hat er selbst noch in den siebziger Jahren auf drei längst für die CD-Wiederveröffentlichung fälligen Polydor-Platten auszugsweise zugänglich gemacht, wobei allerdings deutlich wurde, daß der Dirigent Rózsa bei weitem nicht die Kompetenz des Komponisten besaß. Ein wenig flackerhaft ging es immer zu, wenn er dirigierte. Nach seinem Tod übernehmen dies nun andere, teilweise mit sehr viel mehr Subtilität.

Während das Silva Screen-Album etwa noch wenig profiliert erschien, wirft die stattlich angewachsene Serie der Koch-Aufnahmen mittlerweile üppige digitale Streiflichter auf des Ungarn konzertante wie filmbezogene Musik. James Sedares hat nun sein mit Rózsa Musik vertrautes New Zealand Symphony Orchestra aufgeboten und zwei lange Suiten aus THE LOST WEEKEND (33:33) und DOUBLE INDEMNITY (26:19) sowie immer noch ausgedehnte 11:18 aus THE KILLERS dirigiert, drei meisterhafte Filmen also, die zwischen 1944 und 1946 entstanden sind. Ersterer wurde vergangenes Jahr auch von Tsunami als Originalsoundtrack ediert, fast gleichlang übrigens. Die anderen Streifen waren bislang eher unterrepräsentiert.

THE LOST WEEKEND, das Trinkerdrama mit Ray Milland, zeigt Rózsa auf höchster Höhe seines Könnens. Ein glutvolles romantisches Thema für die fraglos klischeehafte Vorstellung, die große Liebe könne schließlich bei etwas Standhaftigkeit jedes Problem lösen, steht zwischen jenen Passagen, welche Rózsas ganz neuen Tonfall in den vierziger Jahren repräsentieren. Denn wie im fast gleichzeitig gedrehten Oscar-Bringer SPELLBOUND setzte der Komponist zur musikalischen Repräsentation des psychisch derangierten Helden ein Theremin ein, jenes rührend primitive Kultinstrument, das schon eine eigene Homepage im Web nach sich gezogen hat. Unvergeßliche Momente der Musik liegen aber auch abseits der drastischen Deliriumsszenen, wie sie gleichfalls von den Romantizismen entfernt sind. Rózsa gelang es nämlich, bei stetiger Weiterentwicklung eines für sich genommen gar nicht so erheblichen Hauptgedankens die Zuspitzung des Dramas bündig mitzuverfolgen. Wer Ray Millands Porträt des Alkoholikers gesehen hat, dem genügt bloßes Hören der Sequenz „The Walk“ (Teil von Track 2), um die ganze Ausweglosigkeit als Widerhall zu erleben. Es gibt wenig andere Filmmusik, die ebenso dramatisches, unverzichtbares Gewicht für die Filmerzählung besitzt wie diese – und die trotzdem sich auch dem filmunkundigen Sammler als autonomes Kunstwerk einprägen müßte.

Die beiden anderen Filme und ihre Scores stehen demgegenüber kaum zurück. THE KILLERS von Robert Slodmak ist die Geschichte eines vom Opfer wehrlos hingenommenen Mordes und dessen Hintergründen. Mir ist kein anderes Rózsa -Hauptthema von derartiger Aggressivität und rhythmischer Raffinesse bekannt wie dieses (später in der TV-Serie DRAGNET verwendete). Und als weiteres Faszinosum sei nur der letzte Track der CD genannt, dessen für den Konzertgebrauch zusammenfrisierter Boogie-Woogie nach und nach vom Trommelwirbel und dann Rózsas Reprise des Hauptthemas unterwandert und verdrängt wird.

DOUBLE INDEMNITY schließlich wurde wie THE LOST WEEKEND von Billy Wilder gedreht. Fred MacMurray, gegen sein Image als Mitchell-Leisen-Komödiant besetzt, zudem latent bisexuell wie sein Freund Edward G. Robinson, erzählt die Geschichte seiner Verstrickung in einen Mord und die Haßliebe zu Mrs. Dietrichson alias Barbara Stanwyck. Als bannende Vorwegnahme des Unabwendbaren liefert Rózsa unter den Credits eine Art Trauermarsch, der später in manch anderem Film als Library Music eingesetzt wurde. Ein weiteres Thema erklingt im Film erstmals, als uns die Femme Fatale vorgestellt wird: flirrende Streicher und Flöten, dann ein romantischer Hauch (Track 1, ab ca. 2:50) übernehmen das „Netz“, welches sich nach und nach um MacMurray zusammenzieht. Rózsas Musik für diese und andere Film Noirs (wie SPELLBOUND, CRISS CROSS und A DOUBLE LIFE) hat ihr Geheimnis wohl darin, daß sie die auf dem Leipziger Konservatorium erlernten klassischen Satztechniken einerseits reduziert, vereinfacht, für den Filmgebrauch und spontanes Verstehen zurichtet; andererseits dienen sie aber nach wie vor als Fundament seines Kompositionsstils und lassen die Gratwanderung zwischen üppiger Spätestromantik und gemäßigter Moderne stets zu einem wundersamen Hörerlebnis werden.

Im Unterschied zu Kochs EL CID-CD etwa, dessen Darbietung durch die Musiker nicht nur der schwerfälligen Tempi wegen zu wünschen übrig läßt, sind die Interpretionen des neuen Rózsa-Programms – mit Ausnahme des um seine Kanten gebrachten «Main Title» aus THE KILLERS – vorzüglich gelungen und erheben die auch hinsichtlich der Texte (plus Filmliste) gut ausgestattete CD zu einer wichtigen Bereicherung der Rózsa-Diskographie; ein Muß auch für denjenigen, der schon so manches von ihm besitzt.

Matthias  |  1997

 

DOUBLE INDEMNITY (Film Noir Scores)

Miklós Rózsa

Koch

71:25 | 9 Tracks