The Court-Martial of Billy Mitchell

Review aus The Film Music Journal No. 28, 2002

Eine der erfreulichsten Nachrichten auf dem Soundtrackmarkt ist, daß mit dieser limitierten Screen Archives-CD der Name Dimitri Tiomkin, der den meisten jüngeren Sammlern inzwischen schon gar kein Begriff mehr sein dürfte, wieder ein bißchen mehr ins öffentliche Licht gerückt wird. Sehr rar gesät waren in den letzten Jahren Tonträger mit Filmmusiken des russischen Emigranten und Alexander Glasunow-Schülers – das ein oder andere Bootleg war dabei, dazu ein paar von LP überspielte halblegale Tsunami-CDs vor mehr als fünf Jahren. Und das wars dann im Prinzip auch schon.

Umso erfreulicher ist daher das Engagement der beiden Soundtrack-Enthusiasten Ray Faiola und Craig Spaulding zu bewerten, ohne jedwedes kommerzielle Kalkül einen allgemein eher unbekannten Tiomkin-Score zum dialoglastigen Otto Preminger-Gerichtsdrama THE COURT-MARTIAL OF BILLY MITCHELL aus dem Jahre 1955 nun tontechnisch restauriert seine CD-Premiere feiern zu lassen.

Big T oder Dimi, wie er von seinen Freunden liebevoll genannt wurde, war kein Komponist, der sich in irgendeiner Form Zügel anlegen ließ oder gar kleingeistig dachte, vielmehr lag sein Talent in der dramatischen Aufbereitung großbögig gedachter Melodieschöpfungen. Aufpeitschende Steigerungen, wuchtige Klangmassen und pulsierende Rhythmen, überhaupt der Zug zum Grandiosen, sind typische Bestandteile des so unverwechselbaren Tiomkin-Sounds. Und so nimmt es denn auch nicht wunder, daß Tiomkin das eher statische und theaterhafte Charakterdrama geradezu voll bewaffnet mit furiosen Pauken und Trompeten angeht, als hätte er ein großangelegtes Epos von der Garnitur eines THE FALL OF THE ROMAN EMPIRE (1964) oder einen Western à la THE ALAMO (1960), der in der Partitur schon lange Schatten vorauswirft, zu betreuen. Vermutlich war jedoch die überbordende Grandeur den Produzenten des Films bzw. Regisseur Preminger selbst dann doch des Guten zuviel, weshalb in der endgültigen Schnittfassung nur etwa die Hälfte des von Tiomkin komponierten und hier auf der CD in voller Läge präsentierten 34-minütigen Scores seine Verwendung fand.

THE COURT-MARTIAL OF BILLY MITCHELL spielt zu Beginn der 20er Jahre und handelt vom Fliegeroffzier Billy Mitchell (Gary Cooper), der darum kämpfte, daß die USArmy endlich die zukunftsträchtige Bedeutung der amerikanischen Luftwaffe anerkennt, und sich sogar vor das Kriegsgericht stellen läßt, um seine Anklage gegen die militärische Hierarchie so vor aller Öffentlichkeit vorzubringen und seine Pläne zur Verbesserung der nationalen Verteidigung durchzusetzen. Aufgrund dieses Sujets überrascht die heroischmilitärische Note, die Tiomkin seiner Komposition angedeihen läßt, natürlich keineswegs: Mitreißend, aufbrausend und mit prägnanten Rhythmen durchsetzt hebt so bereits der «Main Title» an, in dem das wuchtige THE COURT-MARTIAL OF BILLY MITCHELL -Hauptthema, von einem drängenden Trommelwirbel untermauert, zunächst von den Streichern vorgestellt wird, und nach einem blechübersäten Mittelteil das volle Orchester diesen schwungvollen Melodiebogen erneut aufgreift.

Im Wesentlichen bestreitet Tiomkin mit diesem sehr eingängigen und zugleich sehr wandlungsfähigen Thema seine halbstündige Partitur und weiß mit allen Facetten seines kompositorischen Handwerks zu glänzen: Ein reger Fluß von aufbrausenden Blechbläserattacken, stürmischen Fugen und einnehmenden Streicherelegien strömt an den Ohren des Hörers vorbei und sorgt für stete musikalische Abwechslung, ohne jedoch in irgendeiner Weise unstrukturiert zu wirken. Das Geheimnis der großen Hollywood-Komponisten bestand ja gerade darin, der Musik trotz der Verschiedenheit der einzelnen Komponenten durch immer wieder aufgegriffene thematische Bindeglieder eine innere Geschlossenheit und ein formales Gefüge zu verleihen – und wie die anderen der Spätromantik verpflichteten europäischen Emigranten, etwa Rózsa, Waxman oder Korngold, war natürlich auch Tiomkin ein Meister dieser Kompositionstechnik.

THE COURT-MARTIAL OF BILLY MITCHELL sollte man vielleicht nicht zu den absoluten Höhepunkten seines Schaffens zählen, nichtsdestotrotz erwartet einen hier ein mit großer Kunstfertigkeit zelebriertes Handwerk der alten Schule und ein Feuerwerk effektvoller Musikantik, die durch einen heutzutage selten gewordenen schmissigen Elan besticht. Dem eigentlichen Score beigefügt hat das Screen Archives-Label eine Art Radio-Hörspiel, das zuvor schon einmal auf einer 1974 erschienenen raren Bootleg-LP erhältlich war. Über eine Strecke von mehr als 40 Minuten werden die entscheidenden Szenen der Gerichtsverhandlung direkt aus dem Film aneinandergehängt, was natürlich ohne die zugehörigen Bilder reichlich seltsam anmutet. Wer mag, kann sich wenigstens an den Originalstimmen von Gary Cooper, Ralph Bellamy, Rod Steiger oder Charles Bickford delektieren, während die Musik in diesen Passagen grundsätzlich außen vor bleibt. Für Freunde der Filmmusik folglich ein eher abschreckendes Erlebnis.

Wie üblich bei den Screen Archives bzw. BYU-Veröfentlichungen rundet ein schönes 22- seitiges Booklet, zum Teil mit Farbfotos aus dem Film ausgestattet, diese allgemein empfehlenswerte Veröffentlichung ab. Eine weitere Tiomkin-Scheibe von Screen Archives ist übrigens schon in Arbeit und wird im Frühjahr 2002 das Licht der Welt erblicken. Dabei handelt es sich um die wunderbar pastorale Musik zum Howard Hawks-Westernmeisterwerk THE BIG SKY (1952), wohl eines der lyrischsten Werke aus der Feder des Komponisten.

Stefan  |  2002

THE COURT-MARTIAL OF BILLY MITCHELL
Dimitri Tiomkin
SAE
75:22 | 31 Tracks