von Jo Schreiber
What is Brazil?
So heißt die Doku, die auf der Bluray-Disk enthalten ist. Und obwohl ich sie mir erst vor kurzem anschaute, kann ich diese Frage nicht beantworten. Und damit sind wir eigentlich schon mittendrin. Denn vermutlich gibt es keine eindeutige Antwort darauf, nur persönliche Sicht- und Herangehensweisen zu diesem Film.
BRAZIL (1985) von Terry Gilliam sah ich nie auf großer Leinwand, sondern bisher nur auf VHS und DVD. Neben 2001 – A SPACE ODYSSEY, war es früher mein Film der Wahl, wenn ich spät abends noch etwas ganz Außergewöhnliches sehen wollte. Für mich funktioniert Brazil wie ein bitterböser (Alb)traum.
Die Handlung spielt in der nahen Zukunft, in einer Welt mit totalitärem System. In einer Welt, (oh, das klingt ja wie ein Trailerklischee), die geprägt ist von Spießbürgertum, behördlicher Ordnung, plastischer Chirurgie für jedermann, offenen, ausladenden Abzugsrohren in der Wohnung und Hunden, denen per Popopflaster das große Geschäft untersagt wird.
Verwirrt? Das macht rein gar nichts – das ist BRAZIL, womit die Eingangsfrage ja doch irgendwie beantwortet ist. Der Song Aquarela do Brasil setzt den Ton für diesen Film. Er wird immer wieder angespielt, mitgesummt oder drängt sich in den Soundtrack von Michael Kamen. Für einen kurzen Moment variiert die Melodie dabei sogar in Richtung des GONE WITH THE WIND Hauptthemas (die ersten drei Töne davon), meine ich jedenfalls herausgehört zu haben.
Brazil ist übrigens auch ein “Weihnachtsfilm”. Zumindest spielt die Handlung während dieser besinnlichen Zeit.
Wir folgen Sam Lowry (Sir Jonathan Pryce) der für das Ministerium für Information tätig ist. Nachts träumt er oft davon, dass er als geflügelter Held eine geheimnisvolle Frau zu retten versucht, die immer wieder seinen Namen ruft – Sam.
Tagsüber muss Lowry gerade die versehentliche Verhaftung und Tötung von Archibald Buttle während dessen Vernehmung (“Wäre uns sein Herzleiden doch nur bekannt gewesen…”) irgendwie geradebiegen.
Statt A. Buttle hätte eigentlich A. Tuttle festgenommen werden sollen. Doch durch einen kuriosen Zufall wurden die Nachnamen vertauscht.
© Universal Pictures/20th Century Fox
Sam begibt sich zu Buttles Witwe, um ihr einen Rückvergütungsscheck des Informationsministeriums für ihren verstorbenen Mann zu überbringen. Durch diese Aktion verspricht sich die für die Verhaftung zuständige Behörde, den unangenehmen Vorgang aus der Welt schaffen zu können. Lowry muss Mrs. Buttle persönlich aufsuchen, da diese kein eigenes Bankkonto besitzt.
Während seines dienstlichen Besuchs, erblickt Sam plötzlich Jill Layton (Kim Greist), eine Nachbarin der Buttles – es ist die Frau aus seinen Träumen. Und wie in einem Traum, in dem man etwas oder jemanden unbedingt erreichen will, es aber einfach nicht schafft, ergeht es nun Sam. Ob die Beiden sich schließlich doch begegnen oder gar finden, sei an dieser Stelle aber nicht verraten.
Die Spezialeffekte sind mMn erstaunlich gut gealtert. Es gibt Miniaturaufnahmen, die so gut fotografiert sind, dass sie selbst heute noch funktionieren. Bei den Flugaufnahmen von Sam wird gekonnt zwischen Großaufnahmen von Pryce und dem verkleinerten Modell seines Charakters hin und her gewechselt. Die Übergänge sind nahtlos. Diffuses Licht und Wolken helfen dabei, diese zu verbergen.
Brazil ist ein einzigartiger Film, in dem man sich regelrecht verlieren kann. Besonders während der letzten zwanzig Minuten fühlt man sich wie in einen rauschenden, eskapistischen und unheilvollen Traum versetzt. Großaufnahmen von Personen oder grotesken Masken, die durch die Verwendung des Weitwinkelobjetivs noch verstörender als ohnehin schon wirken, unerklärliche Phänomene und plötzliche Ortswechsel sorgen für Verwirrung und Grusel.
Die Inszenierung ist straff, wie aus einem Guss und lässt kaum Zeit zum Luftholen oder Nachdenken. Längen gibt es keine, im Gegenteil.
Neben dem glaubhaften Design der Welt mit ihrer 50er Jahre Technik, die stets so wirkt, als wäre am Gehäuse gespart worden, ist mir besonders das Sounddesign im Gedächtnis geblieben. Telefone und Türklingeln zum Beispiel haben etwas Vertrautes, doch klingen sie gleichzeitig unheimlich und bedrohlich.
Garniert wird der ganze Reigen durch Kurzauftritte von Robert de Niro als unerschrockener Klempner und Freiheitskämpfer. Sehenswert.
Man kann diesen Film mit Abstand durchaus immer wieder schauen und dabei Neues entdecken. Allerdings eignet er sich trotz Weihnachtssetting wohl eher nicht als Weihnachtsfilm. Da greift man vielleicht doch besser zu LITTLE LORD FAUNTLEROY oder HOME ALONE…
BRAZIL (1985)
Universal Pictures, 20th Century Fox
Embassy International Pictures, Brazil Productions
Produziert von Arnon Milchan
Regie Terry Gilliam
Musik Michael Kamen
Brazil …
Where hearts were entertaining June
We stood beneath an amber moon
And softly murmurr’d “some day soon”
We kissed and clung together
Then
Tomorrow was another day
The morning found me miles away
With still a million things to say
Now
When twilight dims the sky above
Recalling thrills of our love
There’s one thing I’m certain of
Return I will
To old Brazil
Composer(s) Ary Barroso
Lyricist(s) Ary Barroso, Bob Russel (English version)
Jo | 09.11.24