Beneath the 12-Mile Reef

Review aus The Film Music Journal No. 25, 2001

Kaum eine Partitur der fünfziger Jahre taucht auf den Wunschlisten von Filmmusiksammlern häufiger aus als Bernard Herrmanns Abenteuerscore BENEATH THE 12-MILE REEF (1953). Und trotzdem ist dieser Titel beim breiten Fan-Volk unbekannter als CTIZEN KANE, VERTIGO oder TAXI DRIVER. Das beruht vor allem auf dem Umstand, daß der zugeöbrige Film ein banaler Durchschnittsfilm ist, wie ihn die Fox andauernd auf die Leinwand brachte. Gut, als frühes Beispiel eines Cinemascopepioniers mit Stereoton mag BENEATH THE 12-MILE REEF auch sonst erwähnenswert sein, doch hat er seinen größten Vorzug in den vielen gut gefilmten Landschafts-und Unterwasserszenen ohne Dialoge; was es gestattet, auch auf der US-DVD die Reise in lichtdurchflutete Meerestiefen zu genießen. Die plumpe Story um zwei rivalisierende Taucherfamilien kann man ebenso vergessen wie den Kampf mit dem Oktopus im Finale, denn einen solchen gab es gut zehn Jahre vorher in REAP THE WILD WIND weitaus gekonnter inszeniert.

Der Film wäre also vergessen, führte er nicht im Vorspann den Namen Bernard Herrmann. Dessen Musik ist aber die Quintessenz seines gesamten Schaffens, vereint sie doch die brütend-romantischen Elemente der vierziger Jahre (WUTHERING HEIGHTS, JANE EYRE, THE GHOST AND MRS. MUIR) mit den experimentellen Klangwelten der Ray Harryhausen-Abenteuer. Mit BENEATH THE 12-MILE REEF gelang Herrmann das Kunststück, den Kern der Story zu erfassen, obgleich der Film alle Möglichkeiten verschenkt: in wesentlichen Zügen diente Shakespeares «Romeo and Juliet» als Plot, jedoch mit einer optimistischen Variante als Ende. Herrmann stürzt sich wie ein Besessener in die Arbeit, schreibt Musik, deren elegischer, in sich gekehrter Grundcharakter das Potential dieser Story aufscheinen läßt. Höre man nur einmal die knapp dreiminütige «Elegy» – ein dunkler Akkord des gedämpft spielenden Orchesters, dann eine selbstvergessene Melodie des Englischhorns, das sich nur mit Mühe über den nachtschwarzen Mischklang erhebt, seiner Magnetkraft verbunden bleibt. Auch die Streicher vermögen das nicht zu ändern, lassen aber die Dynamik anschwellen und lassen dem Hörer keine Wahl als Anteil zu nehmen an Herrmanns Weltschmerzarie.

Andere Stücke öffnen sich nicht so weit, reihen sich eher ein in die Tradition der großen Orchesterfarbenkunstwerke à la Rimsky-Korsakoff, Delius oder Ravel. Und dann ist da das Hauptthema, mit dem der ganze Score beginnt, zuerst als Fanfare, später als stark zurückgenommene Kantilene. Verfolge man nur einmal die Geschichte dieses durch seinen Septimsprung charakterisierten Themas, das schon im ersten Track vom Blech an die Geigen weitergereicht wird und sogleich den Sehnsuchtston anschlägt, der diese Musik so nachhaltig prägt.

Und wo bleibt der experimentelle Anteil? Er beginnt ab Track 2 und hüllt all jene Szenen ein, die unter Wasser spielen. Die Anwesenheit einer Harfe ist eher ein Klischee für See-Musiken; Herrmann macht scheinbar keine Ausnahme – nur wird das Klischee bei ihm zum gründlich durchdachten Thema der Musik. Mit neun (!) hinsichtlich der Stimmführung unabhängigen Harfen erzeugt Herrmann einen mystischen Sound, zwischen Neugierde, Gefahr und Abgrund vermittelnd, diesem Komponisten ganz zu eigen.

Nun ist ja mancher Sammler durchaus interessiert an den besten Partituren der Vergangenheit, macht aber einen Bogen um Originalaufnahmen. Verständlich, hat man etwa jene Viertelstunde im Ohr, die sich auf einer Tsunami-CD vor sechs Jahren breitmachte: dumpfer Monoton, die Folge eines mehrfachen Kopiervorgangs. Dem FSM-Team ist es nun endlich gelungen, in den Fox-Archiven an die bestmöglichen Masterbänder (35mm-Kopie) zu gelangen, und die Techniker haben das Menschenmögliche getan. BENEATH THE 12-MILE REEF klingt vielleicht nicht so räumlich wie aktuelle Einspielungen, ist davon abgesehen jedoch sehr nahe und transparent und obertonreich. Fast eine Stunde Musik der innigsten, ehrlichsten Romantik, die man im 20. Jahrhundert finden kann; von Herrmann selbst orchestriert und dirigiert.

Mit größtmöglichem Nachdruck empfehle ich zur Abwechslung sämtlichen Leserinnen des Journals eine CD. Denn wem könnte diese Musik mißfallen?

Matthias  |  2001

BENEATH THE 12-MILE REEF

Bernard Herrmann

Film Score Monthly

55:06 | 22 Tracks