The Barefoot Contessa / Constantino il Grande / Giuseppe Venduto dai Fratelli

Review aus The Film Music Journal No. 21, 2000

«Das neue Goldsmith-Album kriegen Sie erst, wenn Sie mir fünf Nascimbene-CDs abgenommen haben!» Gefährlich schwoll sie an, die Ader auf der Stirn des Filmmusikhändlers. Um den unmittelbar bevorstehenden Schlaganfall zu vermeiden, ließ ich mich auf einen Handel ein und erwarb immerhin zwei Stunden Musik des italienischen Altmeisters, der in den Annalen des Film Music Journals bislang fast gar nicht aufgetaucht ist.

Italien-Fans kühlen ihren Sammlerwahn bei Morricone oder Rota. Und als Nicht-Exilant ging Nascimbene einfach zu spät nach Hollywood, um noch in den Genuß des entsprechenden Leidensbonus zu gelangen. Wir wollen aber nicht voreilig annehmen, daß die sträfliche Mißachtung etwas mit dem Niveau seiner Orchestermusik zu tun habe. Scheibe Nr. 1 zeigt Nascimbene von seiner um zeitgenössische Sujets bemühten Seite. THE BAREFOOT CONTESSA (1954) ist der bekannteste dieser Filme: Ava Gardner, Humphrey Bogart und Edmond O’Brien sorgen dafür, daß das Innenleben der Filmindustrie mal wieder von der häßlichen Seite gezeigt wird; als Angelpunkt für verschiedene Rückblenden dient eine regenschwere Friedhofszene.

Nascimbene gelingt es, einen herrlichsentimentalen «Main Title» aufzuzäumen, wie er damals besonders geschätzt wurde; fügt aber eine tragische Note hinzu, in der sich das Schicksal der Titelfigur bündelt. Ansonsten überwiegen Stücke im Latinotouch, mal romanzenhaft, mal ausgelassen. Ein schöner Score. ROOM AT THE TOP (1959) soll allen Handbüchern zufolge ein geniales Filmdrama sein. Warum kommen stattdessen meistens schwachsinnige Spektakel im Fernsehen? Die Musik, ambitioniert aber zurückhaltend, vergleichsweise modern und einfühlsam, gibt zumindest einen Hinweis auf die Richtigkeit der Bewertung, verlangt aufmerksames Zuhören. THE QUIET AMERICAN (1959) hätte als Verfilmung eines guten Graham-Greene-Stoffes immerhin ein Ereignis werden können, litt aber an Fehlbesetzungen und einer redseligen Inszenierung. Wo sollte Nascimbene da noch Musik platzieren? Das wußte er offensichtlich auch nicht genau, und so bleibt sein Score hier unverbindlich-exotisch, bildet mit einer Viertelstunde am Schluß aber auch das kürzeste Glied dieser insgesamt mit jeder Wiederholung eindrucksvolleren Auswahl.

Wesentlich bekannter wurde Nascimbene allerdings mit seinen Beiträgen zu historischen Gemetzeln in Sandalen. THE VIKINGS (1958), bereits früher auf CD veröffentlicht, ist als Film noch halbwegs erträglich, während die beiden auf der zweiten Scheibe repräsentierten Kostümorgien recht brachiale Zugeständnisse an damalige Massengelüste machen und sich dabei offenherzig im Magazin historischer Vorlagen bedienen: CONSTANTINO IL GRANDE und GIUSEPPE VENDUTO DAI FRATELLI.

Viel Blech nicht nur auf den römischen Straßen, sondern auch im Orchester, alle paar Momente ein Tusch, chorische Pathosdreingaben, inflationäre Quintparallelen, dazu der Versuch, mit Flötenthemen die leichtbekleidete Weiblichkeit zu charakterisieren. Dabei gibt es zwischendurch gewiß hörenswerte Momente des Lyrikers Nascimbene; nur werden die alsbald niedergetrampelt von der nächsten dumpf dahertrötenden Blechallianz. Den Übergang zwischen beiden Kompositionen habe ich beim Hören glatt verpaßt, weil es gleich im alten Trott weitergeht. GIUSEPPE VENDUTO DAI FRATELLI kommt als die einfallsreichere Arbeit aber auf Dauer besser weg als CONSTANTINO IL GRANDE.

Alles in allem aufwendig produzierter Trash, in keinster Weise mit den besten filmmusikalischen Geschichtsstunden zu vergleichen, für die nach wie vor die Namen Rózsa, Waxman und Tiomkin als erste zu anzuwählen sind. Mein Händler wedelt schon wieder mit den nächsten CDs, aber da muß erst mal ausgekundschaftet werden, was für filmische Berserker sich hinter den italienischen Titeln verbergen. Einstweilen:

The Barefoot Contessa
Room at the Top
The Quiet American
Constantin il Grande
Giuseppe Vendutto dai Fratelli

Matthias  |  2000

CONSTANTINO IL GRANDE / GIUSEPPE VENDUTO DAI FRATELLI
Mario Nascimbene
Beat Records
65:20 | 39 Tracks

 

 

 

THE BAREFOOT CONTESSA & various
Mario Nascimbene
drg
59:35 | 24 Tracks