Review aus The Film Music Journal No. 15, 1998
Tony Thomas hat einen seiner letzten Texte beigesteuert. Ihm und anderen wortgewandten Amerikanern entging offensichtlich, daß sie den Filmkomponisten mit dem schönsten, beruhigendsten Namen in ihren Reihen hatten. Nicht verborgen blieb hingegen der CD-Firma Marco Polo, daß sie mit einer Filmmusik Hugo Friedhofers (1902-1981) gleich noch Werbung pro domo machen konnte. Nur so läßt sich verstehen, daß die erste, aber keineswegs aufregendste Suite dieses üppig besetzten Samplers namensgebend wurde: THE ADVENTURES OF MARCO POLO (1937) durfte aber auch deswegen nicht fehlen, weil mit dieser Komposition die „Solokarriere» des Arrangeurs und Orchestrators Friedhofer begann. Der Film ist eigentlich nur Basil Rathbones wegen sehenswert, gab dieser doch mal wieder ein abgefeimtes Schurkenstück sondergleichen von sich. Erstaunlich zurückhaltend hingegen die Musik, bedenkt man das Entstehungsdatum. Das bewährte Tandem John Morgan/William Stromberg hat eine 13-minütige Suite zusammengestellt, welche als Auftakt passabel vorbeizieht.
Dunkler, leidenschaftlicher, vor allem aber musikalisch gewichtiger wird es im zweiten Score, THE LODGER (1944), der Musik fürs Remake von Hitchcocks Stummfilmklassiker. Erst beim dritten oder vierten Hinhören fällt auf, wie selten doch Filmkomponisten an die Tonsprache Paul Hindemiths anknüpfen. Franz Waxman tat es manchmal, John Williams besonders auffällig in den langsameren Teilen aus SLEEPERS, und THE LODGER verschafft sich gewinnbringendes Kapital, indem Hindemiths freitonale, weder schroffe noch spätromantische Harmonik zur Basis erkoren wird. Die elf Ausschnitte sind von aufregender Prägnanz und zeigen Friedhofer, dessen Kunst durch allzu wenige CDs repräsentiert wird, auf klischeefernen Pfaden.
Sollte jemand allerdings mehr auf süffige Orchestermusik aus sein, so gibt es auch da hinreichend Stoff, vor allem die epische Partitur zu einer kunterbunten Abenteuerschmonzette mit Lana Turner: THE RAINS OF RANCHIPUR (1955) wird von einem prächtig-dekadenten Hauptthema eröffnet, dessen Melodiezug nach einem steilen Aufwärtssprung beständig abwärtszeigt. Kehrt diese auch als Liebesthema firmierende Weise in den folgenden Episoden wieder, so kann sie der Hörer mit entsprechend schmachtendem Gesichtsausdruck mitsummen. Man hört fast, wie Friedhofer angesichts des Rohschnitts zuerst den Kopf geschüttelt hat über soviel Unsinn, sich dann aber sagte, na gut, Herrschaften, dann bitte alles an die Rampe! So etwas wird von den mit Rimsky-Korsakoff-Opern hinreichend vertrauten Moskauer Philharmonikern inbrünstig ausgekostet. Im gleichen Jahr entstand SEVEN CITIES OF GOLD, eine gleichfalls recht putzige Mär über Goldsucher im Kalifornien des 18. Jahrhunderts. Tief Luft holen jetzt, aber mit Alfred Newmans vorab intonierter Fox-Fanfare im Rücken geht es schwungvoll hinein in die pseudomexikanische Partitur, welche Friedhofer zwar nicht auf der Höhe seines Vorjahreshits Vera Cruz präsentiert, den Fans entsprechender Koloristik mit all ihren Ornamenten, Trillern und Schattierungen aber genehm sein dürfte, selbst wenn bereits die Originalaufnahme (Tsunami) im Schrank steht. Während die ersten Auszüge im Leerlauf drehen, wird spätestens in dem wundersamen, rauschhaften Klangkaleidoskop Jose and Lila einsichtig, weshalb Friedhofer als der bedeutendste Orchestrator des alten Hollywoods zu gelten hat. Nicht einmal Rózsas „Song of the Jungle» aus dessen Meisterscore THE JUNGLE BOOK (1942) kann mithalten, und Friedhofers frenetisches Naturstück ist allein schon die Anschaffung der CD wert, taucht es doch tief in die Seele des Hörers ein und färbt noch den düstersten Tag für einige Minuten lieblich um.
Matthias | 1998
THE ADVENTURES OF MARCO POLO
Hugo Friedhofer
Marco Polo
74:09 | 31 Tracks