von Manfred Schreiber
Humorlos, keine Spur. Phantasievoll bis frustriert, aber hallo: Diese Soundtrack-Genießer, es mag global ziemlich agile Heiopeis unserer kompromisslosen Spezies geben – schnäppchengetunte Flohmarktaufpicker, onlinegestählte Jäger, beflissene Archivare, treue Konzertbesucher, in drei Worten: Liebhaber instrumentaler Filmmusik. Ihren Soundtrack-Nerd-Kauz-Standard bollern sie hammerhart raus: Irgendwelche drauf geträllerten Film-Songs (machen wir eine Ausnahme beim ROCKY-Märchen) wollen sie nicht. Echte Genießer brauchen Orchester, Synthes oder Crossover, gern auch ganz Verrücktes – jedenfalls muss es die individuelle Komposition für den Film und seine Bilder sein. Nix mit Dirty-Dancing-Schmarrn.
Mainstream beherrscht natürlich die Welt. Das piekt entsetzlich, ja. Und das macht speziell die Soundtrack-Lover-Community zu musikalischen Exoten – beim Freundeskreis (ohnehin überschaubar), in eigener Ehe (nein, mit Familie geht es garantiert nicht auf Mars-Mission), unter Kollegen (man wird geschnitten, kriegt nur den kaputten Spind in der finsteren Ecke).
Schlimm, da laufen „Experten“ rum, welche ernsthaft verkünden, dass Filmmusik nur gut ist, wenn man sie als Zuschauer überhaupt nicht wahrnimmt – sie, die Filmmusik selbst, „sollte nämlich vielmehr im Unterbewusstsein, dort als Klangteppich…» Solch abstrusen Zustand möchte man bei 1492, DANCES WITH WOLVES oder LORD OF THE RINGS lieber doch nicht heraus hören. Einverstanden, edle Verfechter des Dogma `95 machen bloß ihren Job – so sei es denen auch gegönnt, dass die da viel reden, anstatt Filmmusikbauklötze aufzutürmen.
Diese Zeilen hier widmen sich Produktionen mit höherer Reichweite – auch bissl’ Mainstream. Ein Soundtrack ist ein Character – im besten Falle. Öfters stiefmütterlich hingeramscht: Soundtrack-CD-Sortiment des Kaufhauses von nebenan – irgendwo zwischendrin bei „Weltmusik“, „Indie-Polka“, „Urgelmurgel“ oder „Musical“. Bravo! Da fragt man sich als hartgesottener Filmmusik-Sammler: „Bin ich anders? Werde ich hier gleich runter zum Kellerverlies abgeführt, um angekettet eventuell doch in dieses CD-Einzelstück rein horchen zu dürfen?“
Ist instrumentale Filmmusik für den Durchschnittskinogänger entbehrlich? Relativ, wohl eine Geschmacksfrage – jedenfalls: Einen Gedanken wert. Für Sportevents werden gern Soundtracks hergenommen, um euphorische Massen zu beschallen – Gewinnminimierung steckt sicher nicht dahinter. Oder ist das hier der falsche Planet? Nach Trumps Wahlsieg trat der Gekürte zu Salven aus AIR FORCE ONE vor seine Anhänger.
Für Soundtrack-Enthuisiasten höchst verwunderlich, wenn Kinopublikumpöbel kaum Erinnerungen hegt – zur Filmmusik vom gerade erlebten, treffender: nur konsumierten Film. Erquickt, jubelnd, enttäuscht, verstört oder gar heulend strömen Menschen aus dem Saal in das Foyer hinaus, diskutieren, lamentieren, tuscheln über Star-Frisuren, Songs (Vorsicht: vocal, nicht instrumental!), VFX, Stunts, Jokes, Tragisches oder Gemeucheltes – so was bleibt hängen, doch zum Soundtrack kann sich niemand äußern. Verdammtes Crétin-Gesindel! Gut, nach JAWS hätte man möglicherweise die Chance gehabt, 1975, etwas zu erfahren, ein Weilchen ist das her: Da gibt es „diese Melodie“, recht simpel aber treffend, Grenzfall jedenfalls.
Millionen Kinobesucher – kann es denen schnurz sein, ob BRIDGES OF MADISON COUNTY oder TERMINATOR 2 individuelle Filmmusik-Handschriften präsentieren? Unterbewusster Klangteppich wäre da fatal, trainierte Soundtrack-Genießer wissen darum. Und man versucht, wo es möglich ist, zu missionieren – nun ja, es kostet wohl weiterhin Freunde, Ehen, Arbeitsplätze.
Soundtrack-Maniacs – gewöhnlich hält man sie für verkorkste Spinner. „Die hören nun mal irgendwie so andere Musik“. Wenn Queen, Reinhard Mey, Grönemeyer, Depeche Mode oder Uschi Blum (old school trifft auf innovativ) im Radio gespielt werden, wechselt unser Soundtrack-Nerd auch nicht den Sender – jedoch, so viele Sender bringen erst gar keine Soundtracks. Von Gesellschaft isolierte Soundtrack-Befürworter haben folglich gar keine Radios in Betrieb. Man kann zum Phantast, mindestens zum ganzheitlichen Feierabendphilosophen mutieren – dieser Planet ist schon hart. In letzten Jahren vermehrt zu beobachten, ein winziger Mutmacher: Mit entschiedenem „vielleicht“ quittiert sogar der Eine oder die Andere des Soundtrack-Sammlers hingehauchte Konzerteinladung – doch, immer mehr Live-Events sind am Start. Man trifft unter Umständen auch ehemalige Kollegen.
WYATT EARP – hier gehen die Männer zum Duell ihre Strasse runter: Das kommt (wir sind im Film) durch bombastische Filmmusik kerniger, staubiger, besser. Und exakt dafür ist der ganze Spaß gedacht, für das klangvolle Filmerlebnis. Tapfere Stummfilm-Pioniere dachten bereits so. Vielleicht beglückt man das Publikum bald mit JAWS (oben erwähntem 1975er-Original – oder unnütz neu verfilmt als 5D-Geschütz). Dann würde man wieder eine Umfrage wagen, hinterher im Foyer – selbst die Ex-Frau könnte sich dazu herablassen, eine gescheite Schlussfolgerung zu kredenzen.
22.02.2020