Ein Interview mit Danny Elfman

«Ich hasse Musik, die nur überbrücken soll!»
EIN INTERVIEW MIT DANNY ELFMAN

von Basil Böhni

Wer kennt sie nicht, die Titelmelodie der TV-Kultfamilie «Die Simpsons»? Sie stammt vom Komponisten Danny Elfman, der seit seinem Filmmusik-Debüt 1985 bereits über 100 Filme vertont hat. Im Interview spricht er über das Arbeitsumfeld in Hollywood sowie seinen Hang zu irren Filmprojekten und erklärt, weshalb ihm romantische Komödien ein Graus sind.

 

Seit einigen Monaten führen Sie Auszüge aus Ihrem Filmmusikschaffen konzertant auf. Als Filmkomponist arbeitet man sonst im stillen Kämmerlein. Wie gefällt Ihnen die Konzerterfahrung?

Danny Elfman: Es ist schon seltsam, wieder auf der Bühne zu stehen. Seit meinem letzten Auftritt als Leadsänger meiner Band Oingo Boingo 1996 habe ich bis zur Konzertpremiere meines Programms «Danny Elfman’s Music from the Films of Tim Burton» im Oktober 2013 nicht mehr live vor Publikum gespielt und gesungen – und dann gleich vier Konzerte in der Royal Albert Hall (RAH)! Ich bekam großes Lampenfieber kurz bevor ich auf die Bühne musste und auch meine Kollegin und Co-Sängerin während der RAH-Konzerte, Helen Bonham Carter [britische Schauspielerin, *1966; u.a. als Bellatrix Lestrange in den «Harry Potter»-Filmen 5 bis 7 (2007–2011), «Les Misérables» (2012), «The Lone Ranger» (2013)], war schrecklich nervös. Doch an einem gewissen Punkt sagten wir uns einfach: «Drauf geschissen! Wir geben einfach unser Bestes.» Irgendwie half uns das. (schmunzelt)

 

Waren Sie an der Erarbeitung des Konzertprogramms von «Danny Elfman’s Music from the Films of Tim Burton» beteiligt oder wurden Sie quasi vor vollendete Tatsachen gestellt?

DE: Nein, nein. Ich war intensiv in die Konzertvorbereitungen involviert. Das war auch Bedingung meinerseits, um dieses Projekt überhaupt erst anzugehen. Zu häufig habe ich Auszüge meiner Filmmusiken in Konzerten gehört, mit deren Spiel ich einfach nicht glücklich war – die Arrangements waren nicht ausgereift, die Auswahl der gespielten Melodien nicht stimmig. Für das Konzert «Danny Elfman’s Music from the Films of Tim Burton» wollte ich ein Programm zusammenstellen, mit dem ich selber glücklich war, das aber auch meine Zuhörer zufrieden stellen sollte.

Es gibt ja zwei Arten von Konzertbesuchern: Solche die meine Musik gelegentlich hören und die Fans, die wohl fast jede Stelle auswendig kennen. Die einen wollen einfach die bekannte Titelmelodie eines Films hören, die anderen finden es interessanter, wenn sie auch Zweit- und Drittthemen oder gar neue Variationen auf den bekannten Themen hören. Ich wollte beide Konzertbesucher bedienen. Innerhalb von 15 Monaten stellte ich die Konzertsuiten zusammen, wobei ich die bekanntesten Themen stellenweise mit weniger bekannten Passagen anreicherte oder gar neue Musik komponierte, wie im Falle der «Sleepy Hollow»-Suite, für die ich ein neues Thema für Chor schrieb. Das Zusammenstellen dieser Suiten war sehr aufwändig. Ich wurde seit über 20 Jahren angefragt, mit meiner Filmmusik Konzerte zu gestalten, doch wusste ich, dass ich mich hierzu intensiv mit meiner bisherigen Arbeit auseinandersetzen musste und davor fürchtete ich mich ehrlich gesagt etwas. Doch nach über 25-jähriger Zusammenarbeit mit Tim Burton [1985 arbeiteten Burton und Elfman für «Pee-Wee’s Big Adventures» zum ersten Mal zusammen] schien die Zeit hierfür reif zu sein. Um meine Konzertsuiten zusammenstellen zu können, studierte ich viele meiner Filmmusiken der vergangenen knapp 30 Jahre intensiv. Das machte mir entgegen meinen Befürchtungen mehrheitlich viel Spaß und war eine tolle Erfahrung.

 

Erkannten Sie während dem Studium Ihrer alten Arbeiten Entwicklungen im persönlichen Stil?

DE: Oh ja, absolut. Ich durfte glücklicherweise schnell feststellen, wie sehr sich meine kompositorischen Fähigkeiten seit meiner Arbeit von 1985 verbesserten. Ich denke, ich wurde geschickter und einfallsreicher im Umgang mit dem Klangkörper eines Sinfonieorchesters. Als ich meine Kompositionen für «Pee-Wee’s Big Adventures» zu studieren begann, musste ich feststellen, wie simpel ich die Themen aufbaute und orchestrierte. Es mangelte mir einfach noch an Erfahrung und Wissen im Umgang mit Orchestern. So führte ich die Themen und Melodien über mehrere Instrumente im Orchester einfach parallel, statt dass ich durch Variationen und variable Begleitung die Musik facettenreicher ausgestaltete. Hier gab mir das Erarbeiten der Konzertsuite für «Danny Elfman’s Music from the Films of Tim Burton» die Möglichkeit, meine früheren Kompositionen von der Orchestration her reichhaltiger zu gestalten. Das war sehr spannend und auch befriedigend. Zudem habe ich nun auch die Sicherheit, dass ich während den letzten Jahren etwas gelernt habe. (lacht beherzt)

 

Wie Sie erwähnt haben, starteten Sie Ihre Musikkarriere nicht als Filmmusikkomponist, sondern als Leadsänger der 15-köpfigen Band The Mythic Nights of Oingo Boingo, deren musikalische Leitung sie 1979 von ihrem älteren Bruder übernahmen und die Band in die 8-köpfige Oingo Boingo umformten und -benannten. Deren Musik hatte mit jener, die Sie nun für Filme komponieren, wenig gemein.

DE: Genau. Oingo Boingo verfolgte einen sehr avantgardistischen Musikstil. Wir spielten überwiegend einen Cross-Over von 1930er-Jahre Musik und des Ska-Stils. Es war eine laute und meist aggressive Musik. In dieser Formation spielte ich Posaune und verschiedene Perkussionsinstrumente. Zudem war ich Leadsänger und würzte das eine oder andere Stück gar als Feuerspeier (lacht). Es war eine verrückte Zeit und für meine Gesundheit wenig förderlich (schmunzelt). Die Umstände, dass ich aufgrund der anhaltenden Lautstärke während den Konzerten mit meinem Gehör anhaltende Probleme bekam, aber auch das wiederholte Aufführen der gleichen Songs bewegten mich dazu, die Band 1995 aufzulösen und mich der Filmmusik zu widmen, die ich seit meinem ersten Auftrag von 1985 mit grossem Interesse verfolgte.
Aus meiner Zeit zusammen mit der Band Oingo Boingo konnte ich bezüglich dem Musikstil nicht allzu viel in meine Arbeit als Filmkomponist mitnehmen. Doch ich lernte während diesen Jahren, meine musikalischen Interessen kompromisslos zu verfolgen und zu experimentieren. So machte es mir gar nichts aus, dass die meisten Kritiker die Musik von Oingo Boingo hassten. Ganz im Gegenteil entflammte dadurch meine aufmüpfige Art nur noch weiter. Doch inzwischen bin ich sicherlich milder geworden. Auch verzichte ich heute auf Stagedives nach den Konzerten. (lacht)

 

Wie sind Sie zur Filmmusik gekommen?

DE: Meine erste Erfahrung als Filmmusikkomponist machte ich 1982. Damals komponierte ich die Musik für den Spielfilm «Forbidden Zone», der unter der Regie meines älteren Bruders entstand. Die Musik habe ich mit der Band The Mythic Nights of Oingo Boingo aufgenommen. Das war eine sehr experimentelle Arbeit und mit meinem späteren Filmmusikschaffen kaum zu vergleichen. Aber die gemacht Erfahrung hat mir gefallen.

 

Wie haben Sie das Handwerk des Filmmusikkomponisten erlernt?

DE: Ich habe nie eine eigentliche Ausbildung zum Musiker und Komponisten absolviert, wenn Sie dies vermuten. Ich war einfach an Filmmusik interessiert. Ich war ein Fan. Wenn ich mir Filme im Kino angeschaut habe, habe ich mich häufig auf die Filmmusik konzentriert. Mich faszinierten die effektvollen Kompositionen von Bernard Herrmann, Nino Rota, Erich Wolfgang Korngold, Max Steiner und Miklós Rózsa. Dieses persönliche Interesse an dieser Musikform war mein Ausgangspunkt. Dazu kamen sich mir gebotene Gelegenheiten, die mich faszinierten und packten. Dass meine Filmmusik zu «Pee-Wee’s Big Adventure» (1985) entgegen meinen Erwartungen von Regisseur Tim Burton und den Produzenten für gut befunden wurde, stärkte mich in meinem Ansinnen, den Weg des Filmkomponisten weiter zu verfolgen. Das Interesse an der Herausforderung, den richtigen Ton und Rhythmus für einen Film zu finden, entwickelte sich zu einer regelrechten Sucht. Jedes neue Projekt konsumierte mich fast gänzlich. Nicht selten arbeitete ich 17 Stunden am Tag. Dies gipfelte mit dem Projekt «Batman» (1989). Tim [Burton] wollte unbedingt, dass ich die Filmmusik hierfür komponierte, doch die Produzenten wollten lieber einen sicheren Namen wie John Williams. Sie gaben mir jedoch eine Chance und diese wollte ich nicht vermasseln, weshalb ich mich fast zu Tode gearbeitet habe.

 

Inzwischen sind über 20 Jahre vergangen und Sie sind als Filmmusikkomponist umtriebiger denn je. Haben Sie die Arbeitsbelastung akzeptiert oder etwas verändert?

DE: Ich habe meine Arbeitsweise verändert. Zudem konnte ich meine Fähigkeiten als Filmmusikkomponist sicherlich über all die Jahre und Projekte ausbauen und professionalisieren. Jeder Film bringt seine ganz eigenen Herausforderungen mit sich, doch aus rein handwerklicher Sicht fällt es mir heute einfacher, meine Ideen in Musik umzusetzen. Sehr entscheidend war auch, dass ich von der Arbeit mit Stift und Papier auf elektronische Hilfsmittel umgestiegen bin. Die Filmmusik zu meinen ersten Filmen habe ich Seite um Seite auf Papier aufgeschrieben. Das hat wahnsinnig viel Zeit in Anspruch genommen und auch wenn es sehr lehrreich war und ich es daher als äußerst wertvolle Erfahrung in Erinnerung behalte, wäre mir diese Arbeitsweise heute aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich. Heute zeichnet eine spezielle Software die Musikideen, die ich an Synthesizern ausprobiere sogleich parallel ins Musiknotationssystem auf.

 

Im Jahr 2012 vertonten Sie sechs Spielfilme und einen Kurzfilm, 2013 waren es drei Spielfilme, ein Dokumentarfilm und ein Kurzfilm.

DE: Ja, die letzten zwei Jahre waren sehr arbeitsintensiv. Ich bekam viele interessante Projekte angeboten. In Zukunft möchte ich mich jedoch wieder auf ein bis zwei Großproduktionen und ein bis zwei kleinere Studioproduktionen pro Jahr versuchen zu beschränken.

 

Da Sie dies soeben erwähnten: Ist Ihnen die Mischung aus Groß- und Kleinproduktionen wichtig?

DE: Ja, sehr. Würde ich nur für Hollywood-Großproduktionen Filmmusik komponieren, würde ich wohl durchdrehen. Großproduktionen sind spannend, doch häufig ist der Arbeits- und Erwartungsdruck wirklich hoch. Die oftmals genannte Kritik, dass man im Rahmen von Großproduktionen keine künstlerischen Freiheiten hätte, würde ich nicht unterstützen. Doch ist es so, dass ich meine Filmmusikarbeit für eine solche Produktion einer großen Anzahl Involvierten präsentieren und sie für meine Ideen gewinnen muss. Dabei stehen einem natürlich manchmal gefestigte Vorstellungshaltungen gegenüber. Es reden viele Personen mit, was die Arbeit je nachdem fordernd macht.
Die Arbeit an Kleinproduktionen empfinde ich in den meisten Fällen als ruhiger und etwas entspannter. Die Teams sind kleiner, die Studiopolitik ist diskreter.

 

Hat sich die Arbeit in Hollywood im Laufe der letzten Jahre verändert? Die Kritik, dass heute mehr Leute reinreden als früher, hört man auch von anderen Filmmusikkomponisten.

DE: Ja, es hat sich verändert. Ich würde jedoch nicht sagen, dass heute mehr Personen reinreden als früher. Es sind heute wie damals immer mehrere verschiedene Meinungen im Raum und diese gilt es bestmöglich zu berücksichtigen, beziehungsweise sich auf einige davon zu einigen. Was sich jedoch sicherlich verändert hat, sind die finanziellen Aspekte. Die heutigen Produktionssummen sind teils gigantisch, die Erwartungen an den kommerziellen Erfolg entsprechend hoch. Daraus erwächst teils Stress und viel Nervosität. Damit muss man umgehen lernen.

 

Sie haben bereits für beinahe jedes Genre Filmmusik komponiert. Haben Sie ein bevorzugtes Genre, dem Sie sich in Zukunft vermehrt widmen möchten?

DE: Nein, eigentlich nicht. Gerade die Tatsache, dass ich als Filmkomponist in viele verschiede Projekte und Kompositionsaufträge involviert sein kann, empfinde ich als spannend. Das macht für mich einen grossen Teil des Reizes an dieser Arbeit aus. Mir gefällt die Mischung, weshalb ich mich keinesfalls nur auf ein einziges Genre konzentrieren möchte. Ich kann Ihnen jedoch sagen, welches Genre ich hasse, wenn Sie das wissen möchten?

 

Gerne.

DE: Die romantische Komödie. (lacht) Hierzu kann ich keine Filmmusik schreiben. Ich krieg‘s nicht hin. Dabei gilt es aus kompositorischer Sicht als eines der einfacheren Genres. Viel zu häufig jedoch muss in romantischen Komödien die Filmmusik den Zuhörer einfach nur etwas amüsieren und einlullen. Ich hasse Musik, die einfach nur Zeit überbrücken soll. Mit meiner Musik will ich immer versuchen, möglichst viele Ideen, Stimmungen und Bewegungen des Films und der parallel gezeigten Bilder einfangen zu können.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Basil Böhni mit Danny Elfman

 

 

 

 

 

Basil, 31.7.2014

 

 

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