Review aus The Film Music Journal No. 19, 1999
«My Song for You». «Mischa Spoliansky -Ein musikalisches Porträt», so lautet der Titel dieser von Edel Records vorgelegten Doppel-CD, welche das Andenken des einst ungemein populären Komponisten, aus Rußland abstämmig, im Innersten jedoch ein Berliner Junge, aufs Neue belebt. Eine Wagenladung alter Schellackplatten wurde sorgfältig digitalisiert, so daß selbst die ältesten Aufnahmen – sie gehen bis zum Beginn der zwanziger Jahre zurück – mit einigem Goodwill noch akzeptabel sind. Volker Kühns informativer Einführungstext resümiert Spolianskys Werdegang sehr anschaulich.
Als Spoliansky, Jahrgang 1898, nach Berlin kommt, steht der Erste Weltkrieg bevor. Den übersteht er irgendwie, schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, während die Gesellschaft einen krassen Wandel durchlebt. Die «Neue Sachlichkeit» löst spätromantische und expressionistische Tendenzen ab, und in diesem Milieu beginnt Spolianskys Aufstieg. In seinen stets den Zeitbezug wahrenden Vertonungen satirisch-bissiger, manchmal auch zum Schreien komischer Texte – nachtschwarz-zynisch etwa das antifaschistische, 1944 aufgenommene Spott-Lied vom Weib des Nazi-Soldaten (Text: Bertolt Brecht), welches erst mit leichtem Ton aufzählt, was das Weib aus den eroberten Gebieten an Klamotten bekommt; bis zum radikalen Umschlag der letzten Strophe; aus Rußland erhält dieses Soldatenweib nur ein Kleidungsstück: den Witwenschleier – trifft er mit seiner Mischung aus Kleinbürgertum und Anarchie den Ton, nach welchem das Publikum lechzt, und bald wird das Tanzbein zu seinen Songs geschwungen.
Zu seinen Bekannten zählten der große Theatermann Max Reinhardt ebenso wie George Gershwin, voll des Lobes für Spolianskys Aufnahmen seiner Werke. Manche der von ihm betreuten Revuen waren Sprungbretter für große Karrieren, so derjenigen Marlene Dietrichs. «Es liegt in der Luft», ein Song des Jahres 1928, bringt die Stimmen Dietrichs und anderer deutscher Revue-Größen zum Klingen. Zu den Interpreten sonstiger Spoliansky-Hits zählen die Comedian Harmonists, der Tenor Joseph Schmidt, Schauspieler wie Oscar Karlweis und Walter Rilla, einmal sogar Hans Albers mit dem bodenständigen «Der Mensch muß eine Heimat haben». Es ereignet sich über die zweieinhalb Stunden hinweg eine muntere Abfolge von Songs, Sprechgesängen, kabarettistischen Einlagen, Tangos und Walzern mit verruchten Titeln («Morphium») und eine Übernahme («Leben ohne Liebe kannst du nicht») aus dem Filmsoundtrack zu NIE WIEDER LIEBE (1931). All diese Titel machten Spoliansky bekannt, und als er 1933 mit anbrechender Nazi-Herrschaft ins Ausland floh, wartete der Film auf ihn.
Es blieb durchaus nicht bei solch leichter Ware. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb Spoliansky ernste Filmmusiken, und der bei der diesjährigen Preminger-Retrospektive der Berlinale gezeigte, wunderliche Film SAINT JOAN (mit der blutjungen Jean Seberg als zum Untergang verdammter Heldin) von 1957 spornte den Komponisten zu einer recht eindringlichen Orchesterpartitur an, deren Hauptthema hier erklingt. Spoliansky starb erst 1985 in London.
Wer sich die außerordentlich günstige Doppel-CD besorgt, wird ein manches Mal staunen und denken: diese oder jene Melodie, zum Beispiel in Edith Piafs melancholische Programme eingegangen, stammt also auch von Mischa Spoliansky?! Seine Musik weht aus einer fernen Zeit herüber und hat kaum etwas mit den hier üblicherweise vorgestellten Kompositionstechniken zu tun; doch wenn das Ohr fürs Zwielichtig-Zweideutige und den Schellack-Charme der Zwanziger offensteht, tut man gut daran, hier zuzugreifen. Wer in einem richtigen Altbaumietshaus wohnt, kann ja mal die Boxen ins Treppenhaus stellen und abwarten, bis die Mieter tanzend aus ihren Höhlen kommen. Das Leben ist schließlich ein Musical! Und jetzt alle: Du sowohl wie ich, und dann Is This The Beginning Of Love?
Matthias | 1999
MY SONG FOR YOU
Mischa Spoliansky
Edel
2 CDs | 157:25 | 50 Tracks