The Bergman Suites

Review aus The Film Music Journal No. 17/18, 1999

Derweil etliche Marco-Polo-Projekte vor sich hinschlummern, überrascht die Firma plötzlich mit einer CD, welche kühnste Träume wohl nicht für marktfähig gehalten hätten. Das Slowakische RSO präsentiert nämlich unter dem Schweizer Dirigenten Adriano Ausschnitte aus fünf Filmkompositionen, von Erik Nordgren (1913-1992) während der fünfziger und frühen sechziger Jahre für das schwedische Filmgenie Ingmar Bergman komponiert, ehe der Regisseur sich dazu entschloß, mit klassischen Stücken zu arbeiten (eine frevelhafte Entscheidung, zweifelsohne).

Wird europäische Filmmusik schon generell weniger mit Aufmerksamkeit bedacht als der Hollywood-Mainstream, so gilt dies besonders für skandinavische Kompositionen. Wer könnte da von sich behaupten, halbwegs die Übersicht zu besitzen? Tonträger sind so gut wie nonexistent, und im Zeitalter schnellvermarkteter TV-Gurken und aktueller Ramschware haben es Filme aus solchen «Randländern» selbst in den öffentlich-rechtlichen Programmen sehr schwer. Bergman-Reihen gibt es allerdings immer mal, und so mag der eine oder andere auf die sensiblen Filmkompositionen Nordgrens aufmerksam geworden sein. Ohne das persönliche Engagement Adrianos, welcher noch kurz vor Nordgrens Tod Briefkontakt aufnahm und posthum von der Witwe mit Notenmaterial versorgt wurde, wäre es allerdings nichts geworden. Mittlerweile fehlen sowieso schon einige der Partituren im Nachlaß – um so wichtiger, das Erhaltene jetzt diskographisch zu fixieren.

Die fünf Suiten betreffen folgende Filme: KVINNORS VÄNTAN (Sehnsucht nach Frauen, 1952), SOMMERNATTENS LEGENDE (Das Lächeln einer Sommernacht, 1955), ANSIKET (Das Gesicht, 1958), LUSTGÅRDEN (Lustgarten, 1961) sowie Bergmans Meisterwerk SMULTRONSTÄLLET (Wilde Erdbeeren, 1957), ohne Zweifel einer der fünf, sechs schönsten je gedrehten Filme überhaupt. Selbiger inspirierte Nordgren zu einer Komposition von feinsinniger Anmut. SMULTRONSTÄLLET zeigt einen alten Mann, der nur noch auf sein Ende wartet, am Tag einer universitären Ehrung jedoch sein Leben vorüberziehen sieht, wobei nicht nur die Beziehung zu seinen Angehörigen einer Analyse unterzogen wird, sondern in langen, bestürzenden Traumsequenzen die innersten Ängste des Mannes aufscheinen. Erst nachdem er sich mit der Konsequenz einer vom Willen befreiten Ehrlichkeit den zwiespältigen Anteilen seines Charakters gestellt hat, kann er in einem lyrischen Ausklang seinen inneren Frieden mit sich und den Seinen machen.

Nordgrens Musik dazu wirkt mit ihren Harfenarpeggien, elegischen Streichermelismen und «wissenden» Holzbläserlinien wie ein Aufbruch ins Archaische, vollzieht den Prozeß der Aufarbeitung eines Lebens auf faszinierende Weise mit. Leider sind nur acht Minuten rekonstruiert worden. Im Verein mit den teils impressionistischen, teils neoklassizistischen Begleitmusiken der vier anderen Filme ergeben sie jedoch eine packende Soundtrack-CD der unverhofftesten Art.

Matthias  |  1999

THE BERGMAN SUITES

Erik Nordgren

Marco Polo

53:39 | 24 Tracks