Die Nibelungen

Review aus The Film Music Journal No. 26/27, 2001

Uns ist in alten maeren wunders vil geseit / von helden lobebaeren, von grözer arebeit / von freuden, hôchgeziten, von weinen und von klagen, / von küener recken strîten muget îr nu wunder hoeren sagen.

So beginnt es, das berühmte Nibelungenlied, mit dem noch heute kräftig Kasse gemacht wird, selbst wenn sich historisch kaum mehr als vage Hinweise erschließen lassen. Nichtsdestotrotz wirbt die Burgunderstadt Worms mit ihrem „Erbe» und hofft auf wohlfeile Touristenströme.

Der Mythos „Nibelungen» war eigentlich erst ab dem 19. Jahrhundert ein großes Thema, als Europa im Zeichen der sich formenden Nationalstaaten brodelte. Friedrich Hebbel „meißelte» ein großes Drama dieses Titels, und Richard Wagner bediente sich zwar vornehmlich beim Fantasiebrunnen der nordischen Sagenwelt, zapfte aber auch die verschiedenen Nibelungen-Mythen an, als er sein vierteiliges Hauptwerk «Der Ring des Nibelungen» konzipierte. Die erste große Verfilmung verdanken wir Fritz Lang. Nach einem Drehbuch seiner politisch rechts außen stehenden Frau Thea von Harbou inszenierte er 1924 den zweiteiligen Nibelungenfilm, der zu den visuellen Meisterwerken des Kinos gehört. Gottfried Huppertz komponierte genug Musik, um fast fünf Stunden zu begleiten.

Dann kam der 2. Weltkrieg, und spätestens bei der Auswertung des Stalingrad-Debakels machte das böse Wort von der „Nibelungentreue bis in den Tod» die Runde, das auch heute noch so manchem Sportreporter und Politkommentator leichtfertig von der Zunge geht. In der Zeit des Wiederaufbaus und auch in den sechziger Jahren schien es keinen Platz zu geben für die Aufbereitung derartiger Szenarien. Oder doch? Aber ja. Und das verdanken wir nicht zuletzt einem Ehepaar, bestehend aus Filmregisseur Harald Reinl und seiner Frau Karin Dor, oft als schönstes Gesicht des deutschen Genrefilms bezeichnet. Ob sie wirklich schauspielern konnte, interessierte dabei weniger. Sie hatte halt diesen „Look». Und ausgerechnet dieses Unschuldslamm des Wallace-Thrillers und der Karl-May-Spektakel übernahm mit der finsteren Brunhild eine tragende Rolle in Reinls gleichfalls zweiteiliger Nibelungen-Produktion des Jahres 1966.

Man sollte sie als großes, farbenprächtiges Ausstattungskino anschauen. Künstlerische oder gar aufklärerische Botschaften bleiben aus. Auch wer wenig Interesse aufbringen sollte an den Heldentaten, Banketten, Gefechten und Gemetzeln, der Rede von Treue und Rache, Sieg und Untergang, dürfte aufhorchen, sobald die Musik der vorliegenden Doppel-CD erklingt. Manches ist vielleicht schon bekannt, denn während die Filme nicht allzu häufig im Fernsehen laufen (eine DVD soll noch in diesem Jahr erscheinen), gab es bereits LP- und CD-Editionen ausgewählter Abschnitte dieser wohl bekanntesten Filmmusik Rolf Wilhelms. Drum sei gesagt, daß die neue, limitierte Ausgabe der Firma Cobra Records ihrer Vorgängerin klanglich überlegen ist, weil die damals zu weit auseinandergedrifteten Kanäle nun wieder ein Ganzes bilden. Darüber hinaus bekommt der Hörer mit fast 110 Minuten deutlich mehr Musik geboten als bisher. Doch wieviel macht dieses Mehr in qualitativer Hinsicht aus?

Obgleich die Musik beider Teile eng miteinander verzahnt ist, läßt sich nicht leugnen, daß der Score-Anteil zu Kriemhilds Rache weitaus weniger eindrücklich geraten ist als die Komposition zum Siegfried-Drama. Dem Komponisten wurde in der Not eine Orchestrierungstugend 36 abverlangt, die immerhin zum auch filmisch schwächeren 2. Teil paßte. Wilhelms Worten zufolge reichte der Musiketat gerade für Siegfried, und der Produzent (Atze Brauner) weigerte sich, nochmals tief in die Tasche zu greifen. Im Sinne der Hunnen-Szenen und der großen Metzelei in Teil 2 verzichtete Wilhelm also ganz auf die Mitwirkung der Streicher und beschränkte sich auf ein kleines, perkussionslastiges Orchester.

Doch noch etwas anderes blieb auf der Strecke. Die Musik des ersten Teils beruht maßgeblich auf einem Siegfried zugedachten, melodisch, harmonisch und charakterlich wandlungsfähigen Hauptthema, das gerade von den Streichern sehr nobel vorgetragen wird. Diesen Verlust verkraftet die Komposition nicht mehr, weshalb kaum anzunehmen ist, daß ein Hörer die Edition vor allem um des vollständigen 2. Teiles willen besitzen möchte. Und dennoch gehört die Nibelungen-Musik zum Eindringlichsten, was in den sechziger Jahren für den Film komponiert worden ist. Ich kannte sie etliche Jahre vor meinen ersten Begegnungen mit Wagners Orchestersprache, deshalb ist sie für mich ein alter Vertrauter.

Wer hingegen den überbordenden Bayreuth-Sound „mitbringt`, wenn er erstmals auf Wilhelms Meisterwerk trifft, wird gespannt den Atem anhalten. Denn wie konnte man, fast schon am Vorabend der 68er Revolution, musikalisch auf die Nibelungen zugehen? Zunächst einmal in ganz vertrauter Weise, mit einer Partitur, die ihr Erbe nicht verleugnet. Da gibt es Märsche, Fanfaren, Themen von bedeutender Schönheit, heldenhafte Aufschwünge und pathetische Überhöhungen, die im Verbund mit tonaler Musiksprache jeden Liebhaber großer Orchestermusik beglücken.

Nach der einprägsamen Einleitung, einem düsteren Marsch, beginnt Volker von Alzey mit seiner Erzählung der Ereignisse. Und die Harfenarpeggien zu Beginn von Track 3, sie haben mit Smetanas berühmten Tondichtungen und manch anderem Stück den episch-begleitenden Charakter gemein. Gerade diese Komposition gehört zu den besonders feinsinnigen, denn obwohl es um Siegfried geht, den Recken, wie es im Nibelungenlied heißt, wird sehr melancholisch verhalten das Thema in Moll ausgebreitet. Die Drachenkämpfe fordern natürlich dissonantere Harmonien herbei und sorgen für wilde orchestrale Manöver. Dann aber kommt, da werden sicher viele Kenner der Musik zustimmen, der aufregendste Teil des Ganzen: die Island-Szenen, begleitet von der wohl grandiosesten deutschen Filmkomposition überhaupt. Auf dem Höhepunkt von Track 8 (ab ungefähr 3:20) gelingt Wilhelm eine überwältigende Verbindung großformalen Denkens und detailversessener Instrumentierungskunst.

Immer neue Kraftwellen rauschen heran, türmen sich auf und finden zu einer Entladung. Wenn in 4:32 der Grundton erreicht ist, könnte sich die Kurve senken, doch nein, gleich dreimal lassen die Orchestergruppen den Quintton a erschallen, halten die Spannung also hoch. Einzelne Streichersoli werden vor dem mächtigen Orchesterhintergrund ausgebreitet. Und als man endlich glaubt, es sei vorbei, da führt ein unwiderstehliches ritenuto zur letzten Gefühlsaufwallung. Endlich kommt das Stück mit einem Durakkord und einer etwas schelmisch wirkenden Schlußwendung der Trompeten zur Ruhe. Es ist ein Ungemach, daß diese herrliche Partitur der musikinteressierten Öffentlichkeit vorenthalten wird. Sicher, wer Ohren hat zu hören, der wird viel entdecken in diesen über hundert Minuten. Doch das i-Tüpfelchen wäre es, die vielen Querverstrebungen der Musik auch einmal lesend nachzuvollziehen und den durch Quartsprünge eingeleiteten, untereinander verwandten Themen nachzuspüren.

Das Orchester ist zwar spieltechnisch nicht auf dem höchsten denkbaren Niveau, agiert jedoch hörbar auf der Stuhlkante und mit einer Inbrunst, die so manche Unebenheit vergessen läßt. Und das reich bebilderte, hervorragend getextete Booklet lädt erst recht dazu ein, sich neuerlich auch dem eigenartig naiven Reiz des zweiteiligen Cinemascope-Popkunstwerk DIE NIBELUNGEN zu überlassen.

Matthias | 2001

Teil 1
Teil 2
DIE NIBELUNGEN

Rolf Wilhelm

Cobra Records

2CD 108:00 | 38 Tracks