5 Fingers ‒ eine kleine Würdigung zu Bernard Herrmanns 111. Geburtstag

von Andi Süess

In den vergangenen Wochen durften mehrere runde Geburtstage von verstorbenen und noch lebenden Filmkomponisten gefeiert werden. Elmer Bernsteins und Jerry Fieldings 100., Lalo Schifrins 90. Zahlenmässig ein ganz spezieller fand indes am 29. Juni statt: der 111. Geburtstag von Bernard Herrmann. Ein unvergesslicher Komponist, der auch ausserhalb der Filmmusik-Gemeinde grosse Bewunderung und Respekt geniesst. Seine oftmals eigenwillige und sperrige Musik deckt sich mit seinem schwierigen Charakter, und sein aufbrausendes Temperament wurde von vielen im Business gefürchtet. Aber vielleicht war gerade dieses Temperament massgebend, um in Zusammenarbeit mit anderen Alpha-Tieren wie Alfred Hitchcock zu Höchstform aufzulaufen. Seine Musik hinterlässt bis heute in Filmscores, die in den Bereichen von Nervenkitzel und Horror angesiedelt sind, ihre Spuren.

Warum befasse ich mich in meiner kleinen Würdigung nun ausgerechnet mit 5 FINGERS? Weil es sich hierbei um Herrmanns 11. Filmscore handelt. Die Relevanz zum Schnapszahl-Geburtstag ist damit also gegeben. Ein Score, der selbst unter Herrmann-Fans selten Gegenstand von Diskussionen ist und sicherlich nicht zu des Komponisten Hauptwerken zu zählen ist. Aber einen unwichtigen Eintrag gibt es in seiner Filmografie eigentlich gar nicht, zumindest ist 5 FINGERS wichtig genug, um von Varèse Sarabande und Kritzerland im Original veröffentlicht und von Morgan/Stromberg mit einer Neuaufnahme für ihre Marco-Polo-Filmmusikreihe bedacht zu werden.

Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf den selten im TV gezeigten Film (ich weiss ehrlich gesagt gar nicht, ob ich ihn schon mal gesehen habe). Ein im 2. Weltkrieg spielender Spionagethriller, basierend auf dem Buch «Operation Cicero» von L. C. Moyzisch, der in Ankara angesiedelt ist, wo der britische Botschafter Geheimnisse an die Deutschen verkauft. Unter der Regie von Joseph L. Manciewicz spielen unter anderem James Mason, Danielle Darrieux und Michael Rennie. Klingt spannend und wird auf imdb sehr hoch bewertet.

Das Original von 5 FINGERS kenne ich nicht, ich bin lediglich im Besitz der Neuaufnahme, die, obwohl nur knapp 30 Minuten lang, den kompletten, wie üblich von John Morgan akribisch restaurierten Score präsentiert. Herrmann zeigt sich hier einmal mehr als Meister der subtilen Spannungserzeugung, in deren Rahmen er erwartungsgemäss weniger mit Themen als mit Motiven arbeitet, wobei er oft zu den von ihm gewohnten Ostinati greift, die in erster Linie Streichern und tiefen Holzbläsern sowie teilweise gestopftem Blech übertragen werden. Hie und da werfen VERTIGO oder NORTH BY NORTHWEST ein wenig ihre Schatten voraus. Im verträumt klingenden «The Embassy» wird der Royal-Navy-Marsch «Heart of Oak» zitiert. «Prelude» und «The Old Street» (später in THE SEVENTH VOYAGE OF SINBAD wiederverwendet) verbreiten orientalisches Flair, für das vor allem die Flöten zuständig sind. Ein wenig idyllisch wird es in «Dreams», wo auch das feine Liebesthema Unterschlupf findet. Dieses darf dann aber nur in «Romance» nochmals kurz aufblühen. Angriffiger wird es beim Showdown in «Escape», «The Pursuit» und «The Boat». Auch hier ist alles von den aufgeschreckten Streichern bis zum aggressiven Blech Herrmann pur. Die kurzen Schlusstracks «Rio» und «Finale» rufen gemischte Gefühle hervor. Happy End oder doch nicht?

5 FINGERS wird sicherlich in keiner Herrmann-Favoritenliste weit oben auftauchen, aber wer mal zwischendurch für eine halbe Stunde bei guter Filmmusik abschalten will, der könnte eine weitaus schlechtere Wahl treffen. Dem Booklet meiner CD entnehme ich übrigens, dass die Arbeit am 11. Filmscore des 1911 geborenen Bernard Herrmann am 11.1.1952 mit der Abmischung im Tonstudio abgeschlossen wurde. Numerologen könnten hierzu möglicherweise etwas sagen.

04.07.2022