Wonder Woman 1984

Hans Zimmer heftet sich nach BATMAN V SUPERMAN: DAWN OF JUSTICE (2016) wieder an die Fersen von Wonder Woman. Doch dieses Mal steht die Heroin im Zentrum des Geschehens und Zimmer überflügelt den Film WONDER WOMAN 1984 (2020) von Regisseurin Patty Jenkins mit einem richtig spassigen, emotionalen und kraftvollen Score. Dies kam – zumindest für mich – einigermassen überraschend, denn die Filmmusik-Vorgeschichte dieser Superheldin hat mich bis dato nicht gepackt – weder in BATMAN V SUPERMAN noch in Rupert Gregson-Williams’ WONDER WOMAN (2017). Im Falle von WONDER WOMAN 1984 scheint der Marketing-Stil des Films mit den leuchtenden 80er-Farben jedoch direkt auf den Film und die Filmmusik abgefärbt zu haben (aber keine Angst, hier geben zum Glück nicht die Synthies der 1980er Jahre den Ton an). Zimmer entwickelt die bis anhin eher düstere Wonder-Woman-Musikidentität weiter und liefert eine Filmmusik, die mit überschwänglicher Spielfreude, Noblesse, Kraft, Drama und Emotionalität regelrecht durch die Decke geht – für Orchester, Chor, Synthi und Solisten. Man hört zwar immer wieder Anleihen an frühere Zimmer-Arbeiten sowie auch an Stilismen von Ennio Morricone und Vangelis – das Finale von «Lost and Found» erinnert mich sogar an Beethovens «Allegretto» aus der 6. Sinfonie, die «Pastorale» –, doch tut dies dem Hörspass definitiv keinen Abbruch. So viel Freude an einer Superhelden-Filmmusik hatte ich schon lange nicht mehr.

Das Album eröffnet mit dem Stück «Themyscira», welches bereits im August 2020 als Single ausgekoppelt wurde – vier Monate vor der Veröffentlichung des Films, der wegen der Covid-Situation mehrmals verschoben wurde. Die ersten Takte sind verhalten und präsentieren Teile des in BATMAN V SUPERMAN etablierten «Wonder Woman»-Themas. Doch bereits nach 15 Sekunden macht sich ein treibender Rhythmus bemerkbar und ab der 37. Sekunde lädt sich die «neue Identität» von Wonder Woman mit einem schönen Brass-Statement auf. Hinzu kommen ab 1:11 rhythmischer Chorgesang. Alles in allem wähnt man sich irgendwo zwischen olympischen Fanfaren, Vangelis’ CHARIOTS OF FIRE (1981) und – in Bezug auf den markanten Chorgesang – eine «substanziell lichtere» Version von ANGELS AND DEMONS (2009). Die dazu gezeigten Szenen eines sportlichen Wettkampfs auf Themyscira nehmen die Energie dieser Musik richtiggehend in sich auf. In ähnlichem Stil geht es im zweiten Stück, «Games», weiter. Der Chor mit seinen stark rhythmisierten «Kampfgesängen» ist zurück, dazu knackige Perkussion und nach der ersten Minute auch ein paar dominante Synthesizer. Das Blechspiel ab 1:48 bläst das Stück zu epischer Grösse auf, bevor der Chor ab 2:11 zu einer Horner-TITANIC-ähnlichen Verschnaufpause lädt, die jedoch von kurzer Dauer ist, denn ab 2:28 übernimmt wieder das Perkussionsspiel und es folgt eine Wiederholung der kraftvollen Brass-Fanfare ab 3:12 – von ihr werden wir im Verlauf des Albums noch öfters hören. Das letzte Drittel von «Games» (ab 3:30) wird von patriotischen, reflektierenden Bläsern und Streichern ausgefüllt.

Alle Skeptiker dieses Musikansatzes für Wonder Woman dürften dann mit dem Stück «1984» definitiv auch in Lobgesänge einstimmen, denn die ersten 2:29 sind schlicht fantastisch. Die hier präsentierte Feel-Good-Variation des neuen Themas mag kitschig sein, aber diese Melodie kriegt man spätestens nach dieser Version nicht mehr aus dem Ohr. Danach schleichen sich ein paar PIRATES-Elemente in die Musik ein – zuerst ein kurzes unheimliches Zwischenspiel mit geisterhaft verfremdetem Frauengesang und ab 3:13 blasen die Hörner mit einem kurzen Auftakt zu Action-Musik mit den altbekannten Streicher-Staccati. Noch ein PIRATES-Element gibt es mit «Kraken»-ähnlichen Rhythmen im späteren Action-Stück «The White House».

In «Black Gold» macht die Musik nach diesem gut 15-minütigen, energiegeladenen Auftakt einen kurzen Richtungswechsel hinab in dunklere Gefilde, was jedoch keinen bleibenden Eindruck hinterlässt. Wenn es hinsichtlich der Musik zu WONDER WOMAN 1984 etwas zu kritisieren gibt, dann wohl noch am ehesten dies, dass dem Wonder-Woman-Thema kein ebenso starkes Bösewicht-Thema gegenübersteht bzw. das musikalische Porträt der beiden Bösewichte Maxwell Lord und Cheetah und deren Machenschaften eher austauschbar ausgefallen ist.

Einen neuen Musikaspekt präsentiert Hans Zimmer in «Wish We Had More Time». Hier erklingt das «Love Theme» dieser Geschichte. Ihm kommt ähnliches Gewicht zu wie damals dem «Marry Me»-Thema aus AT WORLD’S END (2007), wobei letzteres punkto Melodie noch spektakulärer da einzigartiger war. Das Liebesthema dieser Filmmusik weisst nähen zu GLADIATOR (2000) und insbesondere zu SPIRIT: STALLION OF THE CIMARRON (2002) auf, doch geht die Melodie dennoch ans Herz. «The Stone» und «Cheetah» führen weitere musikalische Motive ins Feld, doch haben diese neben dem Hauptthema und dem «Love Theme» einen schweren Stand – beide werden von Synthi-Elementen angeführt. Mit dem achten Stück, «Fireworks», lässt Zimmer nochmals in voller Pracht das Wonder-Woman-Thema erschallen.

Nach «Fireworks» beginnt sich das musikalische Geschehen auf die «ernste» Action und die Konfrontationen mit den Bösewichten zu konzentrieren. Dies resultiert in ein paar krachenden Highlights zwischen ruhigeren Suspense-Momenten, doch die Show-Stopper dieser zweiten Album-Hälfte liegen nun in den tragisch-emotionalen Passagen, zu hören in den Stücken «Without Armor», «Already Gone», «The Beauty In What Is» und «Truth». Hier zelebriert Zimmer mit elegischen Streichern und Chor kraftvoll die «verletzlichen», charakteristisch heroischen Seiten der Titelheldin – so emotional war Zimmer-Musik meiner Meinung nach seit GLADIATOR, PEARL HARBOR (2001) und SPIRIT nicht mehr (wenn man das Live-Action-Remake THE LION KING (2019) nicht mitzählt). Die abschliessenden Stücke «The Beauty In What Is» und «Truth» lassen das Hauptthema mit wirbelnden Streichern regelrecht «emporsteigen».

Als Bonus schliesst das Album mit dem knapp 12-minütigen Stück «Lost and Found». Es ist dies quasi das «Marry Me» von WONDER WOMAN 1984. Noch einmal kann man ausgiebig dem «Love Theme» frönen, wobei hier die GLADIATOR- und SPIRIT-Anleihen ab 7:40 wohl am stärksten zu hören sind. Und jetzt wird’s für den einen oder anderer allenfalls etwas abstrus, aber für mich weist «Lost and Found» ab 10:18 zudem im Klang und punkto friedvolle Elegie Parallelen zum 5. Satz aus Beethovens «Pastorale» auf – herrlich, meiner Meinung nach.

Fazit: WONDER WOMAN 1984 zählt zu den besten Arbeiten von Hans Zimmer und definitiv zu den Score-Highlights des Jahres 2020. Mit ein paar Kürzungen werde ich mir eine gut 60-Minuten-Version hiervon mit viel Vergnügen noch unzählige Male anhören. Ein Wermutstropfen besteht darin, dass dieses tolle Werk (bis dato) nur als CDR und Digital Download verfügbar ist.

Basil 28.12.2020

WONDER WOMAN 1984

Hans Zimmer

Water Tower Music

90:23 Min.
18 Tracks