A Week with James Horner (4)

A Playlist with Music by James Horner – Teil III

von Basil Böhni

Anfangs diese Woche jährte sich der Tod von James Horner (14. August 1953 – 22. Juni 2015) zum fünften Mal. Dies nahm ich – ein Horner-Enthusiast seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre – zum Anlass, mir während den vergangenen zwei Wochen eine Extradosis seines umfassenden Filmmusikschaffens zu gönnen und eine Artikel-Serie zu persönlich favorisierten Einzelstücken zu schreiben. Dabei ist diese «Playlist» von mir stetig angewachsen und nun beschliesse ich sie mit diesem 4. Teil, meinem 3. Teil der Playlists – von «Beyond Borders» (2003) bis «Wolf Totem» (2015). Hier können bei Interesse Teil 2 – von «The Journey of Natty Gann» (1985) bis «The Spitfire Grill» (1996) – und Teil 3 – von «Titanic» (1997) bis «Windtalkers» (2002) – gelesen werden. Ausserdem geht Phil in Teil 1 auf zehn aus dem Bauch gewählte Filme und Scores ein.

Die Jahre 2003 und 2005 waren für James Horner nicht nur geschäftig, sondern meiner Meinung nach auch wirklich beeindruckend. Nachdem es während knapp einem Jahr ruhig um Horner war, kamen im November und Dezember 2003 sogleich vier neue Horner-Alben auf den Markt. Dass seine Filmmusik für BEYOND BORDERS (2003) mehrheitlich unbemerkt blieb, dürfte zwei Gründe gehabt haben: zum einen floppte der Film an den Kinokassen, zum anderen stahlen ihm die Scores zu THE MISSING (2003) und HOUSE OF SAND AND FOG (2003) wohl die Show – nicht unverdientermassen, aber dennoch schade. Dabei komponierte Horner für BEYOND BORDERS von Regisseur Martin Campbell (*1943) sogleich zwei wunderschöne und eingängige Themen. Diese verwebte er in die musikalischen Porträts der drei Film-Locations Äthiopien, Kambodscha und Tschetschenien, wobei er mit zahlreichen folkloristischen, exotischen Instrumenten, kleinem Orchester, Chor, Gesangsolistin und viel Elektronik arbeitete. Das Ergebnis klingt meiner Meinung nach auch heute noch originell und frisch. Die teils harschen Synthi-Passagen dürften nicht jedermanns Sache sein, aber immer, wenn Horner eines der beiden Hauptthemen erklingen lässt, entstehen betörende Klangcollagen. Während die genannten Themen mehrmals sehr schön angespielt werden, so gefällt mir insbesondere das kurze Stück «Ethiopia iii» sehr gut. Hier präsentiert Horner eine schöne Hommage an Ennio Morricones (*1928) THE MISSION (1986) – gespielt auf Oboe, natürlich. Dies ist daher interessant, da Horner ein bekennender Fan dieser Musik war. Dies ging so weit, dass er selbst mal als Special Guest einer Spezialvorführung von THE MISSION im Skirball Cultural Center in Los Angeles im August 2007 beiwohnte. Nach dem schönen Oboensolo wird dasselbe Thema nochmals verträumt-romantisch vom Chor aufgegriffen. Dieses Stück ist meines Erachtens nach leider nicht referenziell für die ganze, wirklich spannende Filmmusik zu BEYOND BORDERS, aber definitiv ein Schmankerl – weiter sind die Stücke «Ethiopia iv», «Cambodia iii» und «Chechnya iv» sehr zu empfehlen.

Einen Monat nach der Kinoveröffentlichung von BEYOND BORDERS kam THE MISSING (2003) auf die Grossleinwände. Es war die siebte und zugleich letzte Zusammenarbeit zwischen James Horner und Regisseur Ron Howard (*1954), was sehr bedauerlich war, denn dieser Kollaboration entstammten viele hervorragende Horner-Arbeiten und THE MISSING steht diesen in nichts nach. Weshalb es zum Bruch kam, war nie offiziell zu lesen oder hören, doch scheinbar soll Horner die Erzählstruktur des Films wiederholt kritisiert haben, doch Howard sah dies anders. Auffallend ist, dass Horners Musik im Film stärker zerschnitten ist als bei anderen Howard-Filmen, was ein Indiz für diese vermutete Differenz zwischen Horner und Howard sein könnte. Der Film fiel bei den Kritikern und beim Publikum denn auch durch, mir hingegen gefällt dieser Streifen sehr – die dunkle, mysteriöse, bedrohliche Stimmung, die fantastischen Bilder, das tolle Schauspiel und natürlich Horners kraftvolle Musik. THE MISSING zählt für mich zu den besten Arbeiten Horners. Mit der Mischung aus sinfonischer, ausladender Pracht, mystischem Gesang sowie pulsierender und krachender Perkussion schafft er es perfekt, die im Film gezeigte Bedrohung, die indianischen Erzählelemente und die unheimliche Naturkulisse musikalisch einzufangen. Viele sehen in THE MISSING eine Kombination aus LEGENDS OF THE FALL (1994) und THUNDERHEART (1992), was durchaus seine Berechtigung hat und deren Zusammentreffen hier überzeugt mich mehr als die genannten Einzelwerke. Horner hat für diese Arbeit satte 62 Minuten «very authentic native music» aufgenommen, wie er in einem Interview 2003 sagte. Diese Aufnahmen mischte er später mit den Orchesteraufnahmen. Die Highlights sind zahlreich, doch eines meiner Lieblingsstücke ist «Dawn to Dusk; The Riderless Horse». Zum einen, weil hier das Hauptthema erstmals in seiner ganzen Pracht zu hören ist, andererseits weil dieses Stück auch das mysteriöse, unheimliche Musikporträt für New Mexico im Jahr 1885 enthält und zum Abschluss dem Hauptthema mit treibender Perkussion gewaltigen Schub verleiht. Das Stück eröffnet mit der friedvollen Darbietung des Hauptthemas auf der Flöte – noch ist die Welt in Ordnung – und ab 0:58 entwickelt das Thema mit den Streichern eine grosse Sehnsucht. Ab der 2-Minuten-Marke brechen sich dann jedoch unheimliche Klänge Bahn – dunkle Bässe, geisterhafte Akzente auf der Shakuhachi-Flöte, tiefe, grollende Gesangseffekte und dazwischen immer wieder kurze Themenfragmente. Was hier filmisch geschieht: Magdalena Gilkesons Partner ist zusammen mit ihren zwei Töchtern Lilly und Dot in den Wald ausgeritten. Auf den Abend hin wollten sie zurück sein. Als es zu Dämmern beginnt, wartet Magdalena in einem Stuhl auf der Veranda auf deren Rückkehr. Sie döst weg und als sie erwacht, ist die Nacht angebrochen, doch ihr Partner und ihre Töchter sind noch nicht zurück. Sie beginnt, sich Sorgen zu machen und als plötzlich eines der Pferde ohne Reiter aus dem dunklen Wald zu ihr zurückfindet, ist sie sich sicher, dass etwas passiert ist. Bei frühem Tagesanbruch schwingt sie sich auf ihr eigenes Ross, nimmt das zurückgekehrte Pferd an den Zügeln mit und eilt im Galopp ihren Liebsten hinterher. Zu diesem Galopp holt auch Horner ab 3:24 aus – rasselnde, ratternde Perkussion, dramatische Röhrenglocken-Schläge, dunkle Bässe, rasende Streicher und dann das Hauptthema kraftvoll von den Bläsern vorgetragen, bevor alles zu einem abrupten Halt kommt. Fantastisch, wenn auch nur ein erstes von vielen Highlights dieser Filmmusik, die ich mir bereits unzählige Male angehört habe.

James Horner beendete sein Schaffensjahr 2003 mit der Musik zum exzellenten Drama HOUSE OF SAND AND FOG (2003). Ich habe diesen Film im Kino leider verpasst, dann jedoch auf DVD geschaut und war nach dem Abspann ergriffen wie selten nach einem Film. Regisseur Vadim Perelman (*1963) gelang meiner Meinung nach ein herausragendes Filmdebüt. Dass es zwischen ihm und Horner zu einer Zusammenarbeit für HOUSE OF SAND AND FOG gekommen ist – und 2007 gar nochmals für THE LIFE BEFORE HER EYES – war kaum absehbar. In einem spannenden Interview mit Film Freak Central im Jahr 2014 äusserte sich Perelman hierzu wie folgt: «Jamey did this film for one dollar, he really pursued this project. We got a lot of interest, any composer you can think of probably threw his name into the hat, but Jamey was persistent so I finally went to his studio with all his scores on CD and stuck ‹em in the player, stopped them now and again, and said, ‹This, I fucking hate this fucking schmaltz.› And Jamey, to his credit, he just listened, just let me have my say. That thing that underscores the boat going out in THE PERFECT STORM, I can’t stand that shit and told him so and, in his defense, he said that he gave the director what he wanted. Wolfgang [Petersen] wanted ‹bigger, bigger› and so that’s what Jamey gave him–but I was really clear that I wanted none of that, and I think he really delivered. I think his score is different from anything he’s ever done – the way he weaves in a little of those Middle Eastern strings, it’s beautiful – if the score is a problem, it’s that I may have overused it, and that’s my fault. […] I got scared that I couldn’t convey the emotions that I wanted to, I didn’t trust myself enough, and my cast, but that’s my fault as an overemotional Russian, not Jamey’s as a composer. »

Die Musik zu HOUSE OF SAND AND FOG kam damals tatsächlich klanglich anders daher als viele andere Arbeiten von James Horner. Dies, da Horner für die Orchesterbesetzung gänzlich auf Blech verzichtet, Synthesizer-Klängen viel Platz eingeräumt und ausgiebig mit einem Layer-Ansatz gearbeitet hat. Viele Stücke bauen auf simple melodische Ideen, die sich wiederholen und die mit jeder Wiederholung von zusätzlichen Orchesterstimmen aufgenommen werden. Daraus ergibt sich ein Effekt der Verdichtung und Massierung von Klängen (jedoch fernab von Epik) – oder im Kontext dieses Films könnte man von einem «aufziehenden Nebel» sprechen, sinnbildlich für das sich entfaltende Drama. Die finalen gut 30 Minuten des Films überspitzen den Konflikt zwischen Kathy, die aus ihrem Haus geworfen wurde, und dem neuen Hausbesitzer, der stolze Iraner Behrani, der mit seiner Familie in diesem Haus den Start seines amerikanischen Traums sehen will. Während diesen 30 Minuten überschlagen sich die Ereignisse, wobei die Betroffenheit den Zuschauer regelrecht festnagelt. Horner trägt hierzu gewichtig bei. Seine Musik spielt quasi durch (ab dem Stück «Break-In» und bis zum Schluss von «We Have Traveled So Far, It is Time to Return to Our Path») und sie schürt den dramatischen Knoten gekonnt. «We Have Traveled So Far, It is Time to Return to Our Path» setzt ein, nachdem der Sohn von Behrani mitten im ausser Kontrolle geratenen Konflikt von Kathys neuem Freund erschossen wurde. Dieser tragische Ausgang zerstört Behranis erhofften amerikanischen Traum endgültig. Als gebrochener Mann kehrt er zu seiner trauernden Frau zurück und gemeinsam nehmen sie sich das Leben. Ihre leblosen Körper werden später von Kathy gefunden.

Im Jahr 2004 ergab sich eine Besonderheit: in derselben Woche im Mai – je nach Land sogar am selben Tag – wurden die CDs zu BOBBY JONES – STROKE OF GENIUS und TROY veröffentlicht. Zwei Scores aus Horners Feder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. BOBBY JONES von Regisseur Rowdy Herrington (*1951) ist ein Biopic über den US-amerikanischen Golfspieler Robert Tyre Jones, Jr. geworden. Die Geschichte spielt überwiegend entlang der Ostküste Schottlands und um diese Lokalität neben den Bildern auch mit der Musik zu porträtieren, sicherten sich die Produzenten James Horners Geschicke. Horners Musik strotz vor Selbstzitaten und stilistischen Altbekannten seines Schaffens, doch wie auch bei BICENTENNIAL MAN (1999) besitzt das Resultat nichtsdestotrotz Charme. Ein Stück, das ich mir immer wieder gerne anhöre, ist das eröffnende «St. Andrews». Ähnlich wie bei BRAVEHEART (1995) und ENEMY AT THE GATES (2001) «erwacht» Hornes Musik mit sachte anschwellenden, hohen Streichern. Ab 0:40 setzt das wohlbekannte Spiel des irischen Dudelsacks ein – Mystik umspielt die Szene. Zu diesen Klängen ist auf der Leinwand der piekfeine Golfplatz St. Andrews während des Morgengrauens zu sehen. Mit dem Einsatz der Hörner ab 2:00 wird St. Andrews ins Sonnenlicht getaucht – der Rasen glänzt taufrisch. Zunehmend kehrt Leben ein auf dem Golfplatz. Dieses musikalische Erwachen finde ich herrlich. Ab 4:03 erklingt erstmals das Hauptthema, gefolgt von verspielter Folklore, bevor das Stück ab 6:00 zu seinen poetischen, ruhigen Anfängen zurückkehrt.

Dass es zu einer TROY-Musik aus der Feder von James Horner kommen würde, war nicht absehbar. Die Geschichte hinter diesem «halsbrecherischen» Auftrag dürfte inzwischen weitestgehend bekannt sein. Nur so viel: Nachdem Gabriel Yared (*1949) während mehr als einem Jahr an seiner Filmmusik zu diesem Epos von Regisseur Wolfgang Petersen (*1941) gearbeitet hatte, wurde seine Musik von den Produzenten verworfen und James Horner trat an seine Stelle. Ihm blieben rund zwei Wochen für das Komponieren einer neuen Filmmusik. Das Ergebnis war und bleibt viel debattiert in Filmmusik-Kreisen. Persönlich muss ich zugeben, dass mich die News über Horners Mittun gefreut hat, auch wenn dies für Yared zweifelsohne ein herber Rückschlag und gigantischer Frust gewesen sein musste. Doch ich freute mich auf einen Horner, der hier mal wieder seine krachende, epische sowie romantische Seite ausleben konnte. Dies hat er denn auch getan und während man TROY punkto Originalität sicherlich kritisieren kann und das Liebesthema für Achilles und Briseis leider ein Klon eines Themas aus David Arnolds (*1962) STARGATE (1994) geworden ist, so darf man sich indes an der brachialen Action-Musik und dem starken Thema für Achilles erfreuen. Daher gehört für mich das Stück «The Trojans Attack» in meine Playlist. Dunkle Bässe sowie aus der Ferne erklingendes Blech und Chor künden den Aufmarsch der trojanischen Armee unter der Führung von Hector am Strand vor dem Lager der Griechen an. Während die griechische Armee noch konsterniert auf das sich nähernde Heer starrt, prescht plötzlich der vermeintliche Achilles mit seinen Myrmidonen vor und führt die Griechen in die Schlacht. Dieses Vorpreschen wird begleitet von einem heroischen Statement von Achilles’ noblem, kraftvollem Thema. Sowie die Heere aufeinander los gehen, so wälzt sich Horners Musik über das Gemetzel. Auf dem Schlachtfeld trifft Hector auf Achilles und töten diesen. Doch als Achilles zu Boden geht und Hector ihm den Helm vom Kopf nimmt, muss er feststellen, dass er einen jungen Mann getötet hat, der Achilles lediglich geglichen hat. Es war dessen junger Cousin, Patroclus. Das Tosen in der Musik verebbt und traurige, bedrohliche Klänge stellen sich ein. Hector weiss, dass er sich damit den gefürchteten Zorn von Achilles eingehandelt hat.

Ähnlich unverhofft kam es zur Filmmusik von FLIGHTPLAN (2005) – eines von vier neuen Horner-Alben im geschäftigen Jahr 2005. Der Thriller von Robert Schwentke (*1968) hätte angeblich von Rachel Portman (*1960) vertont werden sollen, doch dazu kam es nicht – aus mir nicht bekannten Gründen. James Horner hat übernommen, wobei im Falle von FLIGHTPLAN der Komponistenwechsel nicht auf den letzten Drücker erfolgt ist (ob Portman überhaupt bereits Musik geschrieben hatte, ist nicht bekannt). Mit einem 95-köpfigen Orchester zeichnete Horner eine, über weite Strecken wuchtige Seelenlandschaft einer Mutter, die auf der Suche nach ihrer verschwundenen Tochter an Bord eines grossen Flugzeuges verschiedene Stadien der Panik, der Hoffnungslosigkeit und Entschlossenheit durchläuft. Dem Psychoterror verlieh Horner mit Streichern, Holzbläsern, fünf Klavieren und viel Perkussion Ausdruck. Doch neben den Tutti-Tumult-Momenten behauptet sich ein anfangs fragiles, feines Thema für die Beziehung zwischen der Mutter und ihrer Tochter. Die Präsentation dieses Themas im Stück «So Vulnerable» gefällt mir besonders gut. In dieser Szene ist es den Flugbegleitern gelungen, die aufgebrachte Mutter etwas zu beruhigen, wobei die Abklärungen des Flugkapitäns ergeben haben, dass die Tochter gar nie zusammen mit der Mutter eingecheckt, sondern zusammen mit ihrem Papa tödlich verunfallt sei. Nun müssen sie der Mutter den scheinbaren Umstand beizubringen versuchen, dass sie mit dem Tod ihres Mannes und ihrer Tochter scheinbar psychisch nicht fertig werde und daher einer Art Wahn verfallen sei. Dieses intensive Gespräch wird auf Bitte der Flugbegleiter hin von einer Psychiaterin geleitet. «So Vulnerable» erzählt von der sich breit machenden Trauer und Verunsicherung in der Gefühlswelt der Mutter, wobei Horner erstmals delikate, vollständige Themenstatements zulässt und als die Mutter der ihr aufgetischten Geschichte zu glauben beginnt, entdeckt sie an einem der kleinen Flugzeugfenster ein Herz, das ihre Tochter vor dem Abflug gezeichnet hat. Damit erlangt sie ihre Überzeugung zurück, dass ihre Tochter sich an Bord dieses Flugzeugs befindet, ungeachtet der Geschichte, die man sie glauben machen will, und sie nimmt ihre Suche sogleich wieder auf. Ab 3:20 rücken damit einhergehend wieder rhythmische Figuren und dunkles Klavierspiel in den Fokus und der kontemplative Moment macht wieder der markig-kantigen Thriller-Musik Platz.

Nach so viel Drama wird es Zeit für eine der wohl ausgelassensten Kompositionen in James Horners Katalog: «The Train» aus THE LEGEND OF ZORRO (2005). Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem FilmMusicReporter.com bestätigt hatte, dass Horner die Musik hierzu komponieren werde. Daher, weil innerhalb derselben Meldung bekannt wurde, dass Hans Zimmer (*1957) die Musik für den nächsten Film von Ron Howard (*1954), THE DA VINCI CODE (2006), beisteuern werde, was die Gerüchte festigte, dass Horner und Howard zumindest temporär separate Wege gehen würden. Letzteres bedauerte ich, doch die Aussichten auf eine ZORRO-Musik-Fortsetzung vermochten diesem Empfinden mit grosser Vorfreude Gegensteuer zu geben. Dass Horner für ZORRO zurückkehren würde, war nicht wirklich gegeben, denn Horner selbst hatte in Interviews mehrmals gesagt, dass er am Vertonen von Fortsetzungen zu früheren Arbeiten nicht interessiert sei, da ihn dies meist in ein zu enges Musikkorsett zwängen würde (für all jene aus dem Selbstzitate-Kritiker-Camp war diese Interview-Aussage von Horner eine regelrechte Kalauer…). So war er denn auch nur an drei eigentlichen Fortsetzungen beteiligt: STAR TREK II (1982) und III (1984); COCOON (1985) und COCOON: THE RETURN (1988) und die beiden ZORRO-Filme. Für die AVATAR-Fortsetzung von James Cameron (*1954) hat er sich zwar verpflichtet, aber diese ging nun an seinen langjährigen Arbeitskollegen Simon Franglen (*NN) über.

Doch zurück zu ZORRO. Der Film ist gefloppt. Während der erste Teil noch mit Abenteuerromantik und neben Spass auch packendem Drama aufwarten konnte, verbrannte sich der zweite Teil an zu viel Comedy und einer fahrigen, vertrackten Story. Dies spiegelte sich auch in der Musik wider, wobei der komödiantische Funke die Musik zum Glück nicht zu verbrennen vermochte, sondern sie mit noch mehr Tempo auflud. Doch wie ich bereits in meinen Playlist-Ausführungen zu THE MASK OF ZORRO (in Playlist Teil II) erwähnt habe, fehlen hier ein paar «dramatische Verankerungen», weshalb sich die Musik allem voran dem Spass verschrieben hat – inklusive ein paar wenigen Mickeymousing-Effekten. Thematisch ist bei THE LEGEND OF ZORRO nicht viel mehr zu holen als bei THE MASK OF ZORRO. Doch haben Horner und sein Orchestratoren-Team hier alles noch weiter verdichtet. Interessant ist zum Beispiel, dass das bekannte Liebesthema gegen Ende des zweiten ZORRO-Films oftmals zusammen mit dem Zorro-Thema anklingt, was wohl eine naheliegende Weiterentwicklung war, denn wie Horner 2005 in einem Interview sagte: «There’s a theme for Zorro but, if you listen closely, it’s a bridge to Elena’s theme [aka das Liebesthema].» Während das ganze Album einen hohen Spassfaktor hat, so bietet das 11-minütige «The Train» ein besonders knalliges Action-Finale – die Sequenz dazu im Film ist hingegen Stuss. Auf diese elf Minuten im Detail einzugehen, hilft der Sache nicht. Das Motto ist: Volumen hochfahren und geniessen. Zwei Stellen gefallen mir indes besonders gut: die Streicher und Holzbläser ab 3:18 und dann das Finale ab 8:22 mit den scharfen Blecheinwürfen (die zwar ab 9:07 stark an John Williams’ (*1932) Action-Musik für STAR WARS: EPISODE III – REVENGE OF THE SITH (2005) erinnern; EPISODE III wurde rund fünf Monate vor THE LEGEND OF ZORRO veröffentlicht).

Den 2005er-Abschluss machte James Horner mit THE NEW WORLD (2005) von Regisseur Terrence Malick (*1943). Während er hierfür vom rasanten Orchesterpomp abrückte und dem Hörer eine regelrecht hypnotische, entspannende Klangcollage lieferte, musste für ihn die Arbeit an dieser Filmmusik besonders aufreibend gewesen sein. Malick soll den Film in der Post-Produktion mehrmals neu geschnitten haben und es mussten Kürzungen vorgenommen werden. Horners Musik wurde von Malick nach Lust und Laune zerschnitten und umplatziert, wobei die meiste Musik grad gänzlich rausgeflogen war. Stattdessen ergänzte Malick die Tonspur der Kinoversion mit Auszügen aus Werken von Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) und Richard Wagner (1813–1883). Dies enervierte Horner dermassen, dass er sich sogar im CD-Booklet in ein/zwei Sätzen Luft verschafft hatte. Noch deutlicher äusserte er sich nach der Filmveröffentlichung in einzelnen Interviews, wobei er Malick zwar ein grosses cinematographisches Können attestierte, ihm jedoch jegliches Verständnis für dramatische Narratologie absprach. Sei’s drum, für die Filmmusik-Enthusiasten fand die Geschichte dennoch ein Happy End, denn Horners Arbeit erhielt trotz dem unglücklichen Schicksal innerhalb des filmischen Kontextes eine grosszügige, 80-minütige Albumveröffentlichung. Auch wenn ich mir dieses Album wirklich gerne in voller Länge anhöre, so erachte ich das eröffnende Stück, «The New World», als eine adäquate Zusammenfassung der Musik, wobei die Tonalität dieser Klangcollage besonders in «All is Lost» und «A Dark Cloud is Forever Lifted» noch merklich dunkler und dramatischer wird. Mit «The New World» stösst Horner quasi die Tür zur Natur auf. Während den ersten Sekunden ist nur Vogelgezwitscher zu hören. Dann erklingen ein elektronisch verfremdeter rufender Gesang und das Klavierspiel beginnt Farbtupfen aufzutragen. Hier klingt alles nach unberührter heiler Welt. Diese Grundstimmung baut Horner weiter aus, indem er Streicher und synthetischen Chorgesang hinzunimmt. Ab 1:57 erklingen erste Fragmente des Hauptthemas, die vom Klavier umspielt werden. Ab 3:00 mischt sich nobles Blech in diese funkelnde Natur, was die Ankunft der Engländer signalisieren dürfte. Ab 3:58 erklingt ein erstes, lyrisches Statement des schönen Hauptthemas getragen, betragen von den Streichern und gefolgt von mysteriösen Hornklängen. Während des Hornspiels verstummen das Vogelgezwitscher und das Klavierspiel. Da dieses Stück in dieser Form nicht im Film zu hören ist, ist diese Interpretation nun Spekulation meinerseits, doch wirkt das Spiel zwischen zwar noch verhaltenem, aber noblem und im Kern kraftvollen Blech und dem spielend-tanzenden Naturporträt mit Klavier, Synthi-Chor, Gesang und Streicher wie ein Aufeinandertreffen der neuen und der alten Welt. Für mich ist THE NEW WORLD ein beeindruckender Abschluss dieses mit FLIGHTPLAN, THE CHUMSCRUBBER (wohl 2004 komponiert, im Januar 2005 am Sundance Filmfestival erstmals gezeigt) und THE LEGEND OF ZORRO sehr facettenreichen Schaffensjahres von Horner.

Nun folgt ein zeitlicher Sprung und ein thematischer Fokus auf Horners «Flight»-Kompositionen (wie im 1. Teil dieser «Playlist» bereits angedroht). Nachdem sich Horner 2007 eine Schaffenspause gegönnt zu haben scheint, reizte ihn 2008 die Verfilmung von THE SPIDERWICK CHRONICLES von Regisseur Mark Warters (*1964), basierend auf Erzählungen von Holly Black (*1971) und Tony DiTerlizzi (*1969). Die Geschichte handelt von der Familie Grace, welche ihre Bleibe in New York City verlassen möchte, um auf das ruhige Land zu ziehen. Kaum umgezogen, muss die Familie merken, dass sie sich mit ihrem neuen Zuhause nicht wirklich ländliche Ruhe eingehandelt hat. Als der Sohn Jared eines Tages in einer geheimen Werkstatt im alten Haus ein uraltes Buch entdeckt, eröffnen sich ihm mit jeder Seite eine völlig unbekannte, neu Welt, welche nicht nur Schönes und Liebliches enthält, sondern auch Monster in die Gegenwart ruft…

Mit THE SPIDERWICK CHRONICLES begab sich James Horner zurück in das Fantasy/Abenteuer-Genre, wobei seine Musik für einen Abenteuerfilm für Kids überraschend düster und dissonant geworden ist. Horner sorgt hier mit Paukenschlag und Trompete für viel Furore. Ein Highlight ist indes das Stück «The Flight of the Griffin» geworden. Anfangs noch verhalten, bricht dieses wunderbare Stück ab 2:24 zu einem rasanten und glorreichen Flug aus, welcher in einem berauschenden Ende ab 4:20 gipfelt (die eingeflochtene TROY-Fanfare, zitiert aus Benjamin Brittens «War Requiem», sei an dieser Stelle auch noch erwähnt). Das Stück gewinnt zum Schluss hin wieder Bodenhaftung.

Im selben Jahr schrieb James Horner die Filmmusik zum Holocaust-Drama THE BOY IN THE STRIPED PYJAMAS (2008) von Regisseur Mark Herman (*1954). Der «Flight»-Bezug vom vorherigen Abschnitt beschränkt sich hier auf den gewählten, wunderschönen Anfangs-Track «Boys Playing Airplanes».

Für diese Filmmusik konzentrierte sich Horner auf eine kleine Besetzung. Die Filmmusik wurde überwiegend für Klavier und Streicher geschrieben. Dazu Synthi-Effekte, jedoch keine Perkussion. Horner zum Klavier als führendes Soloinstrument: «Es war mir sehr wichtig, etwas ‹neutral› klingendes zu haben, etwas sehr, sehr schlichtes in der emotionalen Tongebung – ein Leitinstrument mit klassischem Grundcharakter und deutschem Bezug.» Dabei wollte er bewusst nicht auf die häufig verwendete (um nicht zu sagen, stereotyp gewordene) Violine zurückgreifen und auch Chor wäre seiner Ansicht nach viel zu massiv gewesen. «Es musste schlicht und nüchtern sein, weiter wagte ich bei diesem Score nicht zu gehen.» So versammelten sich in Burbank für die Musikaufnahmen gerade mal zwischen 20 und 25 Musiker, welche zusammen mit James Horner und seinem eingespielten Team die Filmmusik aufnahmen. Dabei spielte James Horner sämtliche Klaviersoli selbst ein – darunter auch «Boys Playing Airplanes», mit dem das Album eröffnet. Dass Horner hierfür auf das Thema aus SWING KIDS (1993) zurückgreift, ist zwar etwas ernüchternd, aber die Darbietung hier besticht mit dem luftig-wirbelndem, richtiggehend frohlockenden Klavierspiel. Dieses Stück zeugt von einer noch ‹heilen› Welt in Berlin. Doch diesen Ort und seine Freunde, mit denen er in dieser Szene mit ausgestreckten Armen Flugzeug spielt, muss der Junge Bruno schon bald zurücklassen. Mit seiner Familie zieht er aufs Land, denn sein Vater, ein SS-Offizier, erhielt neue Aufträge in einem dort errichteten Konzentrationslager. Das Thema aus «Boys Playing Airplanes» durchläuft in der Folge zahlreiche Variationen, wobei der verspielte Ton aus dem ersten Stück nicht mehr wiederkehrt.

Über eineinhalb Jahre arbeitete James Horner exklusiv an seiner Musik zum Science-Fiction-Spektakel AVATAR (2009) von Regisseur James Cameron (*1954). Der fremde Planet Pandora und die Na’vi eröffneten Horner allerlei Chance und Herausforderungen, mit Orchester, Chor, Solosängern, Synthesizer und einem Arsenal an exotischen Instrumenten und Perkussion eine traumhafte als auch brutale Welt musikalisch einzufangen.

Horner besuchte das Filmset, studierte Camerons visionäre Optik sowie die Gegenstände und Charaktere von Pandora. Der Arbeitsaufwand soll sich mit jedem Tag zugespitzt haben, bis sich Horner in 15-Stunden-Arbeitstagen durch die Monate Mai bis November 2009 geschuftet haben soll. Für die Na’vi wurde extra eine Sprache entwickelt. Diese wurde von Horner auch in seiner Musik aufgegriffen und bereits im April 2008 nahm er mit fünf Sängerinnen Gesänge in der Sprache der Na’vi auf. Für die eigentlichen Orchesteraufnahmen fanden sich mehr als 100 Musikerinnen und Musiker ein. Horner: «Ein Stück musste nicht selten mit Elementen von insgesamt sieben verschiedenen Ensembles angereichert werden.» Als erstes wurden die (1) orchestralen Elemente aufgenommen, dann wurden diese mit den (2) Gesängen ergänzt, gefolgt von (3) fremdartigen Effekten, gespielt auf indigenen Instrumenten, gefolgt von (4) Synthesizer-Elementen, bis es dann (5) zu allenfalls weiteren Aufnahmen mit dem Orchester kam. Anschliessend folgten noch (6) Solo-Passagen gespielt bspw. auf Violine oder Gitarre und abschliessend (7) wurden u.a. von Tony Hinnigan (*NN) auf Windinstrumenten erzeugte Effekte eingearbeitet. «All diese Ensembles haben ihre ganz eigenen musikalischen Farben, welche kombiniert die Welt der Na’vi porträtieren», erklärte Horner für eines der DVD-Features auf der «Director’s Cut»-Version.

Die Highlights auf dem AVATAR-Album sind zahlreich, dennoch höre ich mir das Stück «Jack’s First Flight» besonders gerne an. Auch hier scheint mir, dass Horner für aeronautische Sequenzen ein besonderes Händchen hatte. Nachdem sich Jack in einer wilden Rangelei seinen drachenartigen Banshee folgsam machen konnte, stürzt er sich mit diesem Hals über Kopf in sein erstes Flugabenteuer. Die ersten Meter sind noch turbulent und Horners Musik begleitet das ganze Geschehen mit vielen fremdartigen Synthi-Klängen (nicht wirklich schön anzuhören), doch bald gelingt es Jack, den Flug des Banshee zu stabilisieren und mit der einkehrenden Kontrolle und Ruhe macht die Synthi-Soundkulisse einem schönen, edlen, kontemplativen Horn-Solo Platz. Damit beginnt das Stück «Jack’s First Flight». Ab 0:30 hechtet auch Neytiri auf ihren getreuen Flugfreund und jagt mit diesem entlang den senkrechten Klippen der fliegenden Inseln hinunter zu Jack. Leichte, treibende Rhythmen und Chorgesang verleihen der Musik ein sanftes Pulsieren. Ab 0:57 setzt das funkelnde, schnelle Klavierspiel ein und Flöten ahmen Tiergeräusche nach – Jack und Neytiri schweben im Einklang mit der Natur durch Pandora und sobald die Kamera die beiden im Fluge umkreist, so wirkt auch die Musik im Spiel flattrig und freigelassen. Frohlockendes Blechspiel ab 2:15, gefolgt von kurzem ausladendem Tutti-Spiel, bis wieder die nativen Rhythmen kurz einsetzen, gefolgt von mystischem Spiel der Streicher und Sologesang (ab 3:45) beim Eintreffen von Neytiri und Jack beim heiligen Seelenbaum. Hier umschreibt Horner mit seiner Musik während knapp fünf Minuten keinen aufregenden, stürmischen Flug, sondern mehr ein friedvolles Gleiten durch atemberaubende Landschaften.

Anfangs 2008 stiess James Horner aufgrund seiner Begeisterung fürs Fliegen zur Kunstflug-Truppe «The Flying Horsemen». Dabei erwuchs in Horner zunehmend das Anliegen, für die «Flying Horsemen» eine Musik zu schreiben und dabei seine eigenen Gefühle und Erfahrungen mit dem Fliegen zum Ausdruck zu bringen. Ihm schwebte eine Art Ballett vor, zu welchem die P-51-Flieger tanzten. So entstand u.a. das Stück «Flight Demonstration Music» (ab 2014 mit dem Titel «Flight» konzertant aufgearbeitet), in dem sich Horner unter Verzicht auf filmische Vorlagen und Soundeffekte musikalisch dem Kunstflug annäherte.

Seine Komposition für die Flugakrobatik der «Flying Horsemen» kommt makellos und sehr poetisch daher. Auch wenn das Stück energisch mit einer regelrecht explodierenden Fanfare beginnt – mit den anspringenden Motoren gibt auch die Musik zu Beginn kräftig Schub –, so stellt sich bald das poetische Hauptthema ein. Dieses wird von schwelgerischen Streichern getragen, ausgeschmückt mit Einwürfen der Blech- und Holzbläser. Ab der 3-Minuten-Marke folgt noch ein drittes Thema – ähnlich der Musik aus THE ROCKETEER (1991) – und mit diesen drei Themen setzt Horner ab 3:40 zu mehreren Durchführungen mit Variationen an. Diese Komposition fügt sich lückenlos ins Schaffen des Komponisten und lädt immer wieder zum geistigen Mitfliegen ein.

2011 folgte die dritte Zusammenarbeit zwischen James Horner und Regisseur Jean-Jacques Annaud (*1943): BLACK GOLD. Es war die erste neu veröffentlichte Filmmusik von Horner nach dem Remake von THE KARATE KID (2010), wobei mich damals BLACK GOLD nicht nur hinsichtlich der Musikthemen begeisterte, sondern auch mit der reduzierten Präsenz von elektronischen Elementen. Nachdem Horner bei AVATAR als auch bei THE KARATE KID stellenweise fast schon Remote Controle-ähnliche, stark präsente Synthi-Parts einarbeitete, erschien mir die BLACK GOLD-Musik punkto Klang wieder «klarer» und weitestgehend orchestral. Allenfalls wollte er damit auch dem Film Referenz erweisen, denn Horner habe zu Annaud nach der Sichtung erster Filmszenen gesagt, dass solch aufwändige Filme kaum noch mit so wenig CGI-Effekten gemacht würden. Wie Horner in einem Interview 2011 sagte, habe ihn diese traditionellere Filmmachart als auch die Thematik des Films gereizt. Gemäss Annaud habe Horner für einen Zehntel seiner regulären Gage und mit einem Fünftel des durchschnittlichen Musikbudgets an diesem Film gearbeitet. Der Film spielt im Arabien der 1930er Jahre – er wurde auch überwiegend auf der arabischen Halbinsel gedreht. Zwei verfeindete Königreiche kämpfen um einen ölreichen Landstrich. Diesen kulturellen und geographischen Hintergrund liess Horner denn auch in seine Musik einfliessen – u. a. mit Gesang von Dhafer Youssef, Fahad Al-Kubaisi und Susheela Raman sowie Soli der arabischen Kurzhalslaute Oud. Neben diesem musikalischen Lokalkolorit arbeitete Horner mit zwei sehr starken thematischen Ideen, die im Verlauf des Scores alle möglichen Emotionen durchlaufen – romantisch, verträumt, verspielt, mystisch, Action geladen. Im finalen Stück, «A Kingdom of Oil», präsentiert er diese Themen nochmals ausgiebig und perfekt mit den lokalen Klangfarben ineinandergreifend.

Lokalkolorit und Gesang waren auch in James Horners Arbeit für das Historiendrama FOR GREATER GLORY – THE TRUE STORY OF CRISTIADA (2012) Trumpf. Dem Regiedebut von Dean Wright (*1962) war nach holpriger Produktion, Filmtiteländerung (ursprünglich hiess der Film CRISTIADA) und monatelanger Release-Verzögerung zwar kein Erfolg beschieden, doch für die Horner-Fans ergab sich eine epische Filmmusik für Orchester, Chor und Solisten. Während viele Musikmomente in FOR GREATER GLORY nach Altbekanntem aus Horners Feder klingt, so präsentiert er mit dem viel präsenten Sologesang von Clara Sanabras ein Musikelement, das unter die Haut geht und dessen Dramatik und klagender Trauer man sich nicht entziehen kann. Dieser Gesang und die markante «Entre la Luz y el Pecado»-Melodie gipfeln im Stück «José’s Martyrdom». Hier kam Horner keine geringere Aufgabe zu, als Musik für eine Sequenz zu schreiben, in der der Junge José gefoltert und anschliessend für die bevorstehende Exekution zu seinem bereits ausgehobenen Grab geleitet wird. Zu Beginn ist nur Sanabras Gesang zu hören, dann folgt die Oboe und mit sanftem Röhrenglockenschlag setzen Streicher ein. Per 1:26 erklingt das Thema für General Gorostieta, der von der bevorstehenden Exekution des Jungen hört und ihm sofort zu Hilfe eilen will. Während er auf seinem Pferd zu José eilt, stimmt Sanabras nochmals die «Entre la Luz y el Pecado»-Melodie an, dieses Mal kraftvoller und zusammen mit Chor. Ab 2:30 ist die Schwester von José zu sehen und wie sie dessen letzten Gang mitverfolgen muss. Hier singt Sanabras in sehr hoher Tonlage, was einen Knabensopran vermuten lässt. Dazu berichtete die «James Horner Film Music»-Website eine nette Anekdote von den Musikaufnahmen: «Berichten zufolge war sie [Clara Sanabras] bei den letzten beiden Tönen dermassen ausser Atem, dass sie kaum weiter singen konnte. Man kann hören, wie sie vor der letzten Note einen kurzen Atemzug macht. James Horner mochte diesen ‹Fehler› anscheinend so sehr, dass er nicht wollte, dass sie eine weitere Aufnahme machte. Für ihn war es eine ‹glückliche Fügung›, denn er sah dies sinnbildlich als den letzten Atemzug des Junge José.»

Während diesem Stück hat Horner zugegebenermassen einmal mehr keine musikalische Zurückhaltung an den Tag gelegt, was ihm einige Filmkritiker in Bezug auf FOR GREATER GLORY explizit ankreideten. Als Stand-Alone-Stück ist «José’s Martyrdom» punkto Musikthema, Aufbau und emotionale Kraft indes ausgezeichnet. Und dass Horner mich als Zuhörer emotional manipuliert, dies habe ich nicht nur seit Jahrzehnten akzeptiert, sondern hierauf bin ich in Bezug auf (Film-) Musikkonsum sogar aus.

James Horner beendete das Jahr 2012 mit einem Knall, den kaum jemand hat kommen sehen: Er kehrte ins Superhelden-Genre zurück – mehr als 20 Jahre nach seiner ROCKETEER-Musik, die diesem Genre am ehesten zugeordnet werden kann (wobei ROCKETEER kein eigentlicher Superheldenfilm ist) – und schrieb die Musik für THE AMAZING SPIDER-MAN (2012) von Regisseur Marc Webb (*1974). Offensichtlich sah er in SPIDER-MAN mehr also «nur» eine Hollywood-Spezialeffekte-Kiste. Webb: «I wanted him to create a score that felt massive and huge but also intimate and small.» Dies dürfte Horner an der Produktion gereizt haben. Zudem das zerrüttete Schicksal des Hauptprotagonisten Peter Parker in Kontrast zu seinen Superhelden-Stunts und die Tatsache, dass er seit (500) DAYS OF SUMMER (2009) ein Fan des Regisseurs war, wie er in einem Interview 2011 sagte, als es darum ging, dass er sich für oder gegen dieses neue Projekt zu entscheiden hatte. Zum Glück entschied er sich dafür, denn damit wuchs seine Discographie um eine beachtliche und sehr vergnügliche Superhelden-Musik an. Sein SPIDER-MAN-Thema ist ein Ohrwurm sondergleichen. Wie gekonnt Horner in dieser Filmmusik die krachenden und leisen Töne balanciert, verdeutlicht für mich das Stück «The Bridge» sehr gut.

Das Stück eröffnet mit lauten Posaunen, wobei dem Zuschauer der Blick auf die Manhattan Bridge frei gegeben wird. Dort wütet der Bösewicht Lizard. Horner verpasste dem Echsenganoven ein fernöstlich klingendes Thema, das er hier nun mit gequälten Streichern und Dhafer Youssefs Gesang (der Solist von BLACK GOLD (2011)) erklingen lässt. Doch Spider-Man lässt nicht lange auf sich warten und mit seiner Ankunft erklingen kurze triumphale Statements des Hauptthemas (0:36), die jedoch sogleich von tosendem, elektronischem Schlagwerk, kreischendem Blech und E-Gitarre überlagert werden. Dies da Lizard Auto um Auto zerschmettert. Dabei fliegen auch Autos von der Brücke, doch Spider-Man kann diese dank seinen hervorschiessenden Spinnenfäden am Brückengeländer festzurren, bevor sie auf dem Fluss aufschlagen. Parallel dazu startet er seine Attacke auf die Echse – heroisches Blech ab 1:20 im Wechselspiel mit kurzen Lizard-Themenstatements inklusive Gesang von Youssef. Doch Spider-Man muss den Zweikampf kurz aussetzen, denn ein Vater macht ihn darauf aufmerksam, dass sein Sohn in einem der Autos gefangen ist, das am Spinnenfaden von der Brücke baumelt. Spider-Man setzt zur Rettung an (1:42) und Horner präsentiert wieder sein Thema in triumphal aufspielenden Hörnern. Doch das nächste Problem steht an: Der Motor des Autos fängt Feuer und die Flammen arbeiten sich zum Knaben vor. Während der Junge zusammen mit Spider-Man den Flammen zu entkommen versucht, schaffen Gesang von Lisbeth Scott und Luca Franglen eine mystische Stimmung. Schliesslich kehrt das emotionale, nur auf Klavier gespielte Liebesthema zurück, als Spider-Man dem Vater das gerettete Kind in die Arme überreichen kann. Dann geht es für Spider-Man zurück zum Lizard-Problem und damit verschafft sich wieder das Titelthema Platz auf der Tonspur. Dieses Titelthema zählt für mich zu den wandlungsfähigsten und eingängigsten von Horner – und es sorgt für gute Laune.

Nach THE AMAZING SPIDER-MAN wurde es ruhig um James Horner, doch mit WOLF TOTEM (2015) meldete sich der Komponist nach knapp 2.5-jähriger «Pause» zurück. Nicht dass Horner tatsächlich eine Schaffenspause gemacht hätte, doch seine Arbeit für ROMEO & JULIET (2013) wurde letztlich verworfen und von der Kinderbuchverfilmung ENDER’S GAME (2013) hat er sich frühzeitig wieder zurückgezogen. Doch Regisseur Jean-Jacques Annaud (*1943) schaffte es, ihn für sein im mongolischen Hochland und mit lokalen Laiendarstellern gedrehtes Drama zu begeistern. Diese authentische lokale Verankerung einer Filmhandlung (inkl. den Filmdialogen im mongolischen Dialekt) schien Horner für seine Projektwahl stets wichtig gewesen zu sein – THE KARATE KID (2010) solle ihn auch deshalb gereizt haben, weil grosse Teile des Films in China selbst gedreht worden sein sollen. Auf diesen kulturellen und geographischen Hintergrund reagierte Horner mit einzelnen folkloristischen Farbtupfen. Horner lässt hie und da eine Art Balalaika erklingen und, wenn ich mich nicht irre, ein Erhu. Zudem eröffnet dramatischer Gesang das Album. Neben der vielschichtigen Action-Musik ist das traumhafte Hauptthema hier der Show-Stopper und dieses Thema lässt Horner in all seiner Pracht im abschliessenden Stück «Return to the Wild» aufspielen. Viel will ich hierzu eigentlich nicht schreiben, bis auf den Hinweis, dass mich nach den verschiedenen Themenvariationen insbesondere die Transposition von 7:15 bis 7:49 jedes Mal fast umhaut. Für mich ist dieses Stück die Coda zu James Horners am 22. Juni 2015 abrupt zu Ende gegangenen filmmusikalischen Lebenswerk.

Ausklang

Mit diesem 3. Teil beende ich diese «Playlist»-Serie. Als ich vor rund zwei Wochen hiermit begann, schwebten mir rund ein Dutzend Tracks vor, mit denen ich mich im Rahmen eines solchen Artikels befassen wollte. Darunter gab es eine Handvoll Wackelkandidaten, von denen ich mir zur «Prüfung» nochmals das gesamte Album angehört habe. Ein paar flogen raus, ein paar kamen neu hinzu. Problematisch wurde die Tatsache, dass ich mit jedem weiteren angehörten Album noch ein anderes auch wieder in den CD-Player einlegen wollte. Und so zerronnen die Stunden und es kamen immer weitere Tracks hinzu, die anfangs noch nicht auf meinem «Playlist-Radar» waren. Dem interessierten Leser ist eventuell aufgefallen, dass ich Horners Schaffen ab Mitte der 1990er Jahre sehr ausgiebig in die Playlist aufgenommen habe, hingegen seine Arbeiten der 1980er Jahre fehlen – darunter so vielgepriesene, ikonische Scores wie STAR TREK II und III, KRULL, ALIENS, BRAINSTORM und AN AMERICAN TAIL. Ich bin mit Horners Musik ab Mitte der 1990er Jahre aufgewachsen. Seine früheren Arbeiten habe ich mir allesamt auch gerne angehört, doch der Bezug zu diesen ist bis dato nicht annähernd so stark. Darin sehe ich indes die Chance, dass ich diese frühen Arbeiten von James Horner zu einem späteren Zeitpunkt eingehender hören kann und dass sich mir damit sicherlich noch viele weitere Filmmusik-Perlen eröffnen werden. Und dieser Gedanke tröstet mich über die Tatsache hinweg, dass Horners Feder leider ausgeschrieben hat.

Die Playliste im Überblick
  1. THE JOURNEY OF NATTY GANN (1985) | «Freight Train» | 2:45
  2. COCOON (1985) | «The Ascension» | 6:01
  3. WILLOW (1988) | «Willow’s Theme» | 3:54
  4. GLORY (1989) | «Closing Credits» | 6:51
  5. IN COUNTRY (1989) | «Fallen Friends» | 10:04
  6. THE ROCKETEER (1991) | «Rocketeer to the Rescue / End Title» | 6:30
  7. A FAR OFF PLACE (1993) | «Epilogue / End Credits» | 5:32
  8. LEGENDS OF THE FALL (1994) | «Samuel’s Death» | 8:26
  9. CASPER (1995) | «Casper’s Lullaby» | 5:39
  10. BRAVEHEART (1995) | «The Secret Wedding» | 6:36
  11. APOLLO 13 (1995) | «End Credits» | 6:55
  12. BALTO (1995) | «The Journey Begins» | 5:04
  13. THE SPITFIRE GRILL (1996) | «Reading the Letters» | 2:02
  14. TITANIC (1997) | «Titanic Suite» | 19:05
  15. THE MASK OF ZORRO (1998) | «Elena and Esperanza» | 8:20
  16. MIGHTY JOE YOUNG (1998) | «Dedication & Windsong» | 9:44
  17. BICENTENNIAL MAN (1999) | «The Machine Age» | 3:32
  18. THE PERFECT STORM (2000) | «Small Victories» | 8:31
  19. ENEMY AT THE GATES (2001) | «Betrayal» | 11:28
  20. A BEAUTIFUL MIND (2001) | «Saying Goodbye to Those You so Love» | 6:43
  21. THE FOUR FEATHERS (2002) | «The Mahdi» | 10:47
  22. WINDTALKERS (2002) | «Calling to the Wind» | 10:33
  23. BEYOND BORDERS (2003) | «Ethiopia iii» | 2:13
  24. THE MISSING (2003) | «Dawn to Dusk; The Riderless Horse» | 4:22
  25. HOUSE OF SAND AND FOG (2003) | «We Have Traveled so Far, it is Time to Return to Our Path» | 9:05
  26. BOBBY JONES – STROKE OF GENIUS (2004) | «St. Andrews» | 6:17
  27. TROY (2004) | «The Trojans Attack» | 5:01
  28. FLIGHTPLAN (2005) | «So Vulnerable» | 4:01
  29. THE LEGEND OF ZORRO (2005) | «The Train» | 11:11
  30. THE NEW WORLD (2005) | «The New World» | 5:22
  31. THE SPIDERWICK CHRONICLES (2008) | «The Flight of the Griffin» | 6:55
  32. THE BOY IN THE STRIPED PYJAMAS (2008) | «Boys Playing Airplanes» | 4:13
  33. AVATAR (2009) | «Jack’s First Flight» | 4:50
  34. «Flight Demonstration Music / Flight» (2010 / 2014) | 12:20
  35. BLACK GOLD (2011) | «A Kingdom of Oil» | 8:46
  36. FOR GREATER GLORY (2012) | «Jose’s Martyrdom» | 4:05
  37. THE AMAZING SPIDER-MAN (2012) | «The Bridge» | 5:15
  38. WOLF TOTEM (2015) | «Return to the Wild» | 9:52

26.06.2020

< Zu Teil 3: A Week with James Horner (Playlist)